Aktien – 10.10.22

Korrektur mit Perspektive

Die wichtigsten Fakten:

  • Die deutlichen Kursverluste insbesondere bei europäischen Aktien sind auch Folge der Energiekrise.
  • Für einen Einstieg in defensive Werte könnte es angesichts hoher Bewertungen zu spät sein. Zykliker dürften langfristig bessere Perspektiven bieten.
  • Deutsche Mittelständler verfügen über solide Bilanzen.

Quelle: oben901 / Adobe Stock

Die Erholung im Sommer entpuppte sich als Bullenfalle. Es hatte den Anschein, als ob die Anleger – angefangen beim Krieg in der Ukraine bis zu Rezessionsszenarien – allen Risiken trotzen wollten. Doch seit für August eine überraschend hohe US-Inflation gemeldet wurde und die Notenbank Federal Reserve (Fed) absehbar ihre Leitzinsen stärker als bisher erwartet anhebt, hat die Anleger der Mut verlassen: Viele Leitindizes in Europa und den USA notierten zuletzt in der Nähe ihrer bisherigen Jahrestiefs oder darunter. Der STOXX Europe 600 büßte seit Jahresbeginn gut 20 Prozent ein. Zuletzt wurde der marktbreite Leitindex mit einem Abschlag von über 20 Prozent gegenüber seinem langjährigen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) gehandelt. Noch deutlicher fällt der Vergleich mit dem US-Pendant S&P 500 aus: Hier beträgt der Abschlag sogar fast 40 Prozent. Darin spiegelt sich die Unsicherheit der Anleger über das Ausmaß der Energiekrise und die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Europa wider.

Aktienmärkte preisen Zinsanhebungen und Wachstumsschwäche ein

Quelle: Bloomberg L.P. Stand 29.09.2022. Die bisherige Wertentwicklung lässt keine Rückschlüsse auf die künftige Wertentwicklung zu. Die Wertentwicklung bezieht sich auf einen Nominalwert, der auf Kursgewinnen/-verlusten beruht und die Inflation nicht berücksichtigt. Die Inflation wirkt sich negativ auf die Kaufkraft dieses nominalen Geldwerts aus. Je nach aktuellem Inflationsniveau kann dies zu einem realen Wertverlust führen, selbst wenn die nominale Wertentwicklung der Anlage positiv ist.

Unterschiedliche Ansichten

Allerdings gehen die Einschätzungen der Analysten über europäische Aktien weit auseinander. Die eine Fraktion erwartet, dass erodierende Margen und eine sinkende Kaufkraft zu weiteren Kurskorrekturen führen könnten. Die andere Fraktion verweist auf die bereits historisch niedrigen Bewertungen und traut der europäischen Wirtschaft eine V-förmige Erholung zu. Die europäischen Regierungen ergreifen umfangreiche Maßnahmen, um die Folgen der hohen Energie- und Versorgungspreise einzudämmen. Deshalb könnte ein weiterer Rückgang der Aktienkurse ein zu trübes Bild europäischer Firmen zeichnen – und eine interessante Einstiegsgelegenheit bieten.

Mit Ausnahme der Sommerrally haben Aktien insbesondere aus den defensiven Sektoren besser abgeschnitten als Zykliker. Für einen Einstieg in defensive Aktien ist es aber vermutlich zu spät. Viele Sektoren erscheinen gemessen an ihrem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der vergangenen 10 Jahre überbewertet – allen voran Basiskonsum, Gesundheitswesen, Nahrungsmittel und Getränke sowie Tabak. Auf der anderen Seite werden zyklische Branchen wie Banken, Energie, Automobile und Rohstoffe mit deutlich überdurchschnittlichen Abschlägen gehandelt. Langfristig orientierte Anleger könnten im weiteren Jahresverlauf beginnen, hier Positionen aufzubauen.

Insbesondere Banken, in deren niedrige Bewertungen (KGV: 7) das Risiko steigender Kreditausfälle im Falle einer tiefen Rezession bereits ausreichend berücksichtigt sein dürfte, profitieren direkt von höheren Kapitalmarktrenditen: Die Nettozinseinnahmen der Geldinstitute steigen. Trotz der Pläne der EU-Kommission, sogenannte Übergewinne im Öl- und Gassektor vorübergehend steuerlich abzuschöpfen, dürften die Profite der Rohstoffkonzerne weiter sprudeln. Einen Großteil seiner Einnahmen generiert der Sektor außerhalb Europas – Doppelsteuerabkommen könnten den Ertragsrückgang je Aktie auf durchschnittlich 5 Prozent begrenzen.

„Nach deutlichen Kursverlusten: ausgewählte europäische Zykliker mit langfristig interessanten Perspektiven.“

Solide Bilanzen

Unterdessen ist im deutschen Mittelstand kein massenhafter Exodus infolge der hohen Energie- und Rohstoffpreise zu befürchten. Die Unternehmen verfügen über solide Bilanzen und dürften Ertragseinbußen dank einer moderaten Verschuldung sowie hoher Liquiditätsreserven eine Zeit lang verkraften. Auch sind viele Firmen Weltmarktführer in ihrer Branche und können Kostensteigerungen leichter an ihre Kunden weitergeben. Darüber hinaus dürfte der schwache Euro, der in letzter Zeit maßgeblich zu positiven Gewinnrevisionen beigetragen hat, die Auswirkungen eines Abschwungs auf die Aktienkurse abfedern und den EUR-Anlegern eine gewisse Inflationsabsicherung bieten.

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Redaktionsschluss: 06.10.2022, 18.00 Uhr