Renten – 11.11.22
Während in den USA Jerome Powell, Chef der Notenbank Federal Reserve (Fed), die Märkte davor warnt, das Ausmaß weiterer Leitzinserhöhungen zu unterschätzen, sendet die Bank of England (BoE) die gegenteilige Botschaft aus. Die Währungshüter von der Insel erhöhten zwar wie erwartet ihren Leitzins ebenfalls um 75 Basispunkte auf 3 Prozent. Gleichzeitig erklärten sie jedoch ungewöhnlich explizit, dass sie die Markterwartungen zum Ausmaß zukünftiger Erhöhungen für deutlich zu hoch halten. Das ist insofern erstaunlich, weil diese bereits von rund 6 Prozent Anfang Oktober auf 4,75 Prozent gesunken waren. Zum Vergleich: Zum Zeitpunkt der Fed-Warnung hatten die Märkte einen US-Zielzinssatz von 5 Prozent eingepreist.
Die BoE sorgt sich um die Refinanzierung von Immobilienkrediten. Etwa zwei Millionen Haushalte müssen eine Anschlussfinanzierung bis Ende 2023 abschließen, weshalb die Währungshüter offenbar moderatere Zinsschritte erwägen – die aus Sicht der Märkte langfristig höhere Inflationsraten zur Folge haben könnten. Angesichts dieses Szenarios legten die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen um rund 20 Basispunkte auf zuletzt rund 3,8 Prozent zu.
Unterdessen bleibt die US-Notenbank Fed auf Kurs (s.a. Kapitel Liquidität). In ihrem Statement zu den geldpolitischen Entscheidungen Anfang November räumten die Fed-Vertreter aber ein, dass es einige Zeit dauern könnte, bis sich die 2022 beschlossenen Leitzinserhöhungen in der Realwirtschaft niederschlagen. Der Offenmarktausschuss werde diese Verzögerungen berücksichtigen. Die Marktakteure werteten dies als Hinweis darauf, dass die Fed die Zinssätze künftig in kleineren Schritten anheben könnte. Am Geldmarkt wurde in einer ersten Reaktion eine Leitzinserhöhung von nur noch 50 Basispunkten im Dezember eingepreist. Die Renditen der US-Staatsanleihen gaben aber nur kurzzeitig nach. Die Aussicht auf einen höheren finalen Leitzinssatz als bislang erwartet, trieb die US-Renditen über alle Laufzeiten wieder nach oben.
Im Gegensatz zur Fed-Sitzung werteten die meisten Analysten die der Europäischen Zentralbank (EZB) Ende Oktober als „taubenhaft“. Die deutliche Leitzinserhöhung um 75 Basispunkte wurde rhetorisch entschärft. Außerdem sparten die Währungshüter überraschend das Thema quantitative Straffung aus: Es bleibt vorerst unklar, wann die EZB mit dem Abbau ihrer Bilanz beginnen wird. Viele Marktteilnehmer rechnen nun mit einer Ankündigung Anfang nächsten Jahres und einem Beginn im 2. Quartal 2023. Ungeachtet der Verschiebung belasten die Unsicherheit bezüglich der Ausgestaltung des Straffungsprogramms sowie Rezessionsängste die Aussichten für Euro-Unternehmensanleihen mit guter und sehr guter Bonität (Investment Grade, IG): Der Zinsaufschlag für entsprechende Euro-Unternehmensanleihen gegenüber Bundesanleihen liegt beinahe auf Corona-Niveau.
Damit könnten die Anleger aber zu pessimistisch liegen. Zum einen dürfte die EZB nicht aktiv Unternehmensanleihen verkaufen, sondern nur fällig werdende Beträge nicht vollständig reinvestieren. Die Nachfrage nach IG-Unternehmenspapieren würde nach Einschätzung der Deutschen Bank um rund 25 Milliarden Euro sinken – das sollte aber nicht ausreichen, um den Zinsaufschlag maßgeblich anzutreiben. Außerdem dürfte auch das Angebot an Unternehmensanleihen infolge der gestiegenen Kreditkosten sinken. Sobald die Unsicherheit am Markt nachlässt, könnte bei diesen Papieren eine Kurserholung einsetzen.
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Redaktionsschluss: 04.11.2022, 18 Uhr