Volkswirtschaft – 10.10.22
Das Treffen der US-Notenbanker im September brachte zwei Erkenntnisse: Erstens wird der aktuelle Zinserhöhungszyklus der Federal Reserve (Fed) länger andauern als bislang erwartet. Und zweitens befindet sich die Volkswirtschaft der USA in einer besseren Verfassung als zuletzt befürchtet. Für 2022 prognostiziert die Fed nur noch einen minimalen Zuwachs von 0,2 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) – eine Rezession erwartet sie, anders als die Deutsche Bank, aber nicht. So deute eine Reihe von Indikatoren auf ein moderates Wachstum der Konsumausgaben und der Produktion hin. Die Beschäftigungszuwächse hätten sich robust entwickelt und die Arbeitslosenquote sei niedrig geblieben.
Die aktuell größte Herausforderung bleibt auch in den USA die Inflationsbekämpfung. Während im August die Gesamtinflation im Jahresvergleich vor allem wegen gesunkener Kraftstoffpreise weiter auf 8,3 Prozent zurückging, stieg die Kerninflationsrate überraschend von 5,9 Prozent auf 6,3 Prozent – ein neuer Höchststand im laufenden Zyklus. Ausschlaggebend war der außergewöhnlich deutliche Anstieg der Wohnkosten um 0,7 Prozent gegenüber dem Vormonat. Letztere machen fast ein Drittel des gesamten Warenkorbs zur Berechnung der Verbraucherpreisinflation aus.
Noch also scheint sich die robuste US-Wirtschaft nicht genug abzuschwächen, um den Preisdruck zu verringern. Dazu würde vermutlich selbst ein weiterer Anstieg der Erwerbsquote vorerst wenig beitragen. Außerdem werden auch in den USA staatliche Leistungen wegen der gestiegenen Inflation erhöht, was besonders die Einnahmen sowie den Konsum der Haushalte mit geringem Einkommen stützt. Die verfügbaren Einkommen könnten nach Abzug der Inflation 2023 um etwa 3,5 Prozent steigen – ein Prozentpunkt mehr als im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre. Steigende Lohnkosten könnten einige Branchen belasten – zyklische und lohnsensible Bereiche wie Wohnen, Restaurants und medizinische Versorgung heizen aktuell die Inflation an. Das erhöht das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale. Die positiven Effekte einer Erholung des für die US-Wirtschaft sehr wichtigen privaten Konsums könnten dem aber entgegenwirken.
Von einer Erholung ist die deutsche Volkswirtschaft weit entfernt. Im Gegenteil: Nicht nur nach Einschätzung des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo rutscht Deutschland in eine Rezession – oder ist dort bereits angekommen. Für diesen Befund sprechen die jüngsten Konjunkturdaten. Nach dem erneuten, zum Teil deutlichen Rückgang der Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor bestätigte auch der ifo Geschäftsklimaindex für September eine weitere Verlangsamung des Wachstums in Deutschland im Vergleich zum Vormonat. Nach 88,6 Punkten im August fiel das aussagekräftige Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft auf 84,3 Indexpunkte deutlich zurück. Damit steht der konjunkturelle Frühindikator so tief wie zuletzt im Mai 2020.
Der Rückgang vollzog sich in der Komponente zur aktuellen Lage, besonders aber bei den Erwartungen. Alle befragten Branchen waren betroffen. Besonders schlecht ist die Stimmung im Einzelhandel. Dort fielen die Erwartungen auf ein historisches Tief. Die deutsche Wirtschaft, die im 2. Quartal dieses Jahres noch überraschend um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen war, belasten gleich mehrere Krisenfaktoren, die sich zum Teil gegenseitig verstärken: globale Lieferkettenprobleme als Folge der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine, steigende Inflation und Zinsen sowie hohe Energiekosten und Versorgungsunsicherheit. Die OECD prognostiziert nun für 2023 ein BIP-Minus von 0,7 Prozent.
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Redaktionsschluss: 06.10.2022, 18.00 Uhr