Aktien – 26.10.20
An den US-Aktienmärkten gab es bei allem Auf und Ab in den vergangenen Jahren vor allem einen Gewinner: den Technologiesektor. Die gute Wertentwicklung der Branche wurde allerdings im Großen und Ganzen von nur einer Handvoll Unternehmen getrieben: den fünf größten US-Techgiganten, auch „Big Tech“ genannt. Sie vervielfachten ihren gemeinsamen Marktwert in den vergangenen fünf Jahren von rund zwei Billionen US-Dollar auf mittlerweile sieben Billionen US-Dollar. Das entspricht fast einem Viertel der heutigen Marktkapitalisierung des 500 Unternehmen umfassenden US-Leitindex S&P 500. Selbst in der Corona-Zeit legten sie weiter zu und entwickelten sich zu einigen der wertvollsten Unternehmen der Welt. Die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung wird unter Marktteilnehmern allerdings zunehmend infrage gestellt – und auch politisch droht den Konzernen vermehrt Gegenwind.
Die in vielen Bereichen marktbeherrschende Stellung von „Big Tech“ gibt immer öfter Anlass zur Kritik – nicht erst seit die US-Regierung jüngst Klage gegen die weltweit beherrschende Internetsuchmaschine wegen unfairer Geschäftspraktiken erhoben hat. In einem Bericht des „House Judiciary Subcommittee on Antitrust”, einem Kartelausschuss des US-Repräsentantenhauses, hatten die Autoren bereits einige Wochen zuvor festgestellt, dass es bei „Big Tech“ zu Machtmissbrauch zulasten von Geschäftspartnern und Kunden komme – etwa in den Bereichen Cloud-Computing und digitale Werbung sowie beim Vertrieb digitaler Anwendungen. Zudem werde eine aggressive Übernahmepolitik betrieben, mit dem Ziel, die Konkurrenz frühzeitig auszuschalten. Vom Ausschuss empfohlene Gegenmaßnahmen reichen von strengeren Übernahmevorschriften bis hin zur funktionellen Trennung von Geschäftsbereichen oder deren erzwungener Abspaltung.
Zusätzlich an Brisanz gewinnt dieses Thema durch die anstehenden US-Präsidentschafts- und Kongresswahlen. Denn während den Republikanern einige Forderungen des Ausschusses zu weit gehen, haben die Demokraten bereits angekündigt, direkt nach einem möglichen Wahlsieg einige der empfohlenen Maßnahmen umsetzen zu wollen.
Auch außerhalb der Vereinigten Staaten gerät „Big Tech“ seitens der Politik zunehmend unter Druck. China und Indien untersuchen derzeit unter anderem die marktbeherrschende Stellung des Android-Betriebssystems. Die Europäische Union wiederum hat jüngst eine Liste von rund 20 Internetunternehmen erstellt, die aufgrund ihrer großen Marktmacht mit verschärfter Regulierung rechnen müssen, darunter auch die US-Techriesen.
Hinzu kommen Bestrebungen zur Einführung einer global einheitlichen Besteuerung von digitalen Dienstleistungen – eine Initiative, die ebenfalls auf die wegen ihrer Steuervermeidungspraktiken in der Kritik stehenden großen Techkonzerne abzielt. Zwar gilt eine Einigung auf OECD-Ebene vor Mitte 2021 als unwahrscheinlich. Allerdings hat die EU bereits angekündigt, im Zweifel einen eigenen Ansatz zu erarbeiten. Einige europäische Staaten wie Frankreich und Spanien haben die Einführung einer Digitalsteuer sogar bereits für Anfang 2021 vorgesehen.
All diese Aspekte dürften in absehbarer Zeit einigen Druck auf „Big Tech“ ausüben. Hinzu kommt der schwelende Handels- und Technologiekonflikt zwischen den USA und China, der die Wirtschaftsbeziehungen und den Technologietransfer nicht nur zwischen den beiden Supermächten, sondern weltweit belastet. Am Aktienmarkt scheint auch vor diesem Hintergrund das Vertrauen in die kurz- und mittelfristige Wachstumsstärke der Techtitel zu schwinden: Mittlerweile hält die Analystengemeinde eine mögliche „Technologieblase“ für eines der drei größten Marktrisiken überhaupt.
Sollten sich Anleger also von Techtiteln abwenden? Zwar könnten im Zuge einer konjunkturellen Erholung zyklische Titel in absehbarer Zeit stärker gefragt sein. Langfristig bleiben Technologieaktien dennoch für entsprechend risikobereite Anleger ein interessanter Depotbestandteil. Vor allem die unaufhaltsam voranschreitende Digitalisierung unseres Lebens dürfte der Branche nachhaltig einen kräftigen Schub verleihen. Hinzu kommt, dass die angekündigten Regulierungsmaßnahmen in den USA nicht unbedingt nachteilig für das Geschäftsmodell der Technologiegiganten sein müssen. Einige Sektoranalysten bewerten beispielsweise die geforderte Aufspaltung der Geschäftsbereiche durchaus positiv und bescheinigen den einzelnen Unternehmensteilen ein hohes Potenzial, ihren Wert weiter zu steigern.
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Redaktionsschluss: 26.10.2020, 10 Uhr