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Aktien / Volkswirtschaft/Geldpolitik– 16.09.21

Bundestagswahl 2021: Was Anleger im Blick haben sollten

Die wichtigsten Fakten:

  • Umfrageergebnisse lassen viele Koalitionen möglich erscheinen
  • Kaum Impulse für das Potenzialwachstum zu erwarten
  • Deutscher Aktienmarkt bleibt für Anleger interessant

Am 26. September ist Bundestagswahl und selten war die Spannung so groß wie in diesem Jahr. Nach 16 Jahren mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin an der Spitze einer CDU-geführten Regierung können sich aktuell gleich drei Parteien noch berechtigte Hoffnungen auf den Wahlsieg machen – nicht zuletzt, weil sich in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt hat, wie unzuverlässig Wahlprognosen mitunter sein können. Neben der CDU und der SPD bleibt so auch den zuletzt scheinbar in der Wählergunst gefallenen Grünen eine Siegchance. Zumal dieses Jahr besonders viele Wähler noch immer unentschlossen zu sein scheinen.1 Entsprechend vielfältig ist das Spektrum möglicher Regierungskoalitionen. Anders als bei der vergangenen Wahl ist auch, dass das Ergebnis dieses Mal durchaus Einfluss auf die Kapitalmärkte haben könnte und daher für intensivere Aufmerksamkeit bei den Marktteilnehmern sorgen dürfte.

Wirtschaft und Aktienmärkte im Wandel der Regierungen

Alles nach wie vor offen

Insgesamt scheint nicht nur völlig offen, welche Partei die meisten Stimmen bekommt, sondern auch, welche Regierungskonstellation sich am wahrscheinlichsten ergeben könnte – selbst, wenn das Wahlergebnis bereits bekannt wäre – und wie der entsprechende Koalitionsvertrag aussehen würde. Möglicherweise werden sich die Bundesbürger auf längere Verhandlungen einstellen müssen bevor die neue Regierung die Arbeit aufnehmen kann.

Während die Marktteilnehmer ihren Fokus aktuell auf die Gewinnentwicklung der Unternehmen sowie die Zinssituation in den USA und Europa richten, dürfte die Uneindeutigkeit der Umfragen auch ein Grund dafür sein, dass die Kapitalmärkte bislang kaum von der bevorstehenden Wahl beeinflusst zu sein scheinen. Während die Grünen im Mai noch vor der CDU die populärste Partei waren und die SPD weit abgeschlagen zu sein schien, hat sich dieses Bild mittlerweile umgekehrt.2 Derzeit liegt die SPD vor der CDU/CSU und den Grünen. Als realistische potenzielle Koalitionspartner dürften zudem die Linke und die FDP den Einzug in den Bundestag schaffen. Letztere liegt in Umfragen aktuell in etwa gleichauf mit der AfD und könnte bei Koalitionsverhandlungen durchaus das Zünglein an der Waage sein.

In Wahlprognosen und Umfragen werden als mögliche Koalitionen immer wieder eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP genannt. Zwar bestehen zwischen den beteiligten Parteien zum Teil erhebliche inhaltliche Differenzen. Mit Beginn möglicher Koalitionsgespräche könnten sich die Fronten jedoch teilweise auflösen. Ein weiteres mögliches Szenario ist eine Koalition aus SPD, Grüne und Linkspartei. Zwar stehen sowohl SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz als auch seine Kollegin von den Grünen, Annalena Baerbock, für die pragmatischen Flügel ihrer jeweiligen Parteien, die einer Zusammenarbeit mit der Linken eher skeptisch gegenüberstehen. Die Parteibasen scheinen jedoch weniger Berührungsängste zu haben. Zumal die Parteiführung der Linkspartei ihre Forderung eines NATO-Austritts Deutschlands zuletzt zumindest aufgeweicht hat.

Wofür stehen die Kandidaten und ihre Parteien?

Bei allen Verschiedenheiten bekennen sich alle drei Kanzlerkandidaten klar zu Europa. Das gilt für Scholz und Baerbock ebenso wie für Armin Laschet von der CDU. Im Detail gibt es aber erhebliche Unterschiede in den Programmen der Parteien, die in den Koalitionsverhandlungen eine entscheidende Rolle spielen dürften.

Finanzpolitik

Sowohl die SPD als auch die CDU/CSU will an der Schuldenbremse festhalten, wobei die SPD es weniger eilig zu haben scheint, die derzeitige coronabedingte Sondersituation zu beenden und zur strengen Schuldenbremse zurückzukehren. Auf europäischer Ebene will die SPD den Europäischen Aufbauplan (Recovery Plan for Europe) zu einem dauerhafteren Instrument ausweiten. Im Vergleich dazu treten Grüne und FDP für Änderungen in der aktuellen Finanzpolitik ein – wobei sich ihre Forderungen diametral gegenüberstehen. Die FDP will sowohl die Schuldenbremse als auch den Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärfen, die Grünen wollen beides lockern. Eine von der CDU geführte Koalition unter Einbeziehung der FDP könnte daher zu einer konservativeren Finanzpolitik sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene führen. Da eine solche Koalition derzeit jedoch nur unter Einbeziehung der Grünen oder der SPD realistisch erscheint, dürfte der Erhalt des Status quo zumindest für eine gewisse Zeit einen möglichen Kompromiss darstellen. Bei einer SPD-geführten Koalition könnte es zu einer proaktiveren Finanzpolitik kommen. Eine langfristige Aussetzung der Schuldenbremse erscheint nur in einer rot-grün-roten Koalition möglich – was für den Euro Gegenwind bedeuten könnte.

Steuerpolitik

Während allen voran die FDP eine geringere Steuerbelastung etwa durch eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie niedrigere Einkommens- und Unternehmenssteuern verspricht, wollen SPD, Grüne und Linkspartei die Steuern für Spitzenverdiener erhöhen und eine Vermögenssteuer wieder einführen. Weitgehende Einigkeit zwischen den Parteien besteht nur bei der Senkung der Steuern auf niedrige und mittlere Einkommen. Bei der Kapitalertragssteuer wollen die konservativen Parteien und die Liberalen den Freibetrag auf Zinsen, Dividenden und Kursgewinne erhöhen und die Spekulationsfrist wieder einführen. Die Grünen wollen die Kapitalertragssteuer an den persönlichen Einkommenssteuersatz binden, aber nur zur Hälfte, um der vorgelagerten Besteuerung auf Unternehmensebene Rechnung zu tragen.

Klimapolitik

Alle Parteien, die für eine mögliche Regierungsbildung infrage kommen, haben sich für ein klimaneutrales Deutschland ausgesprochen. CDU/CSU und SPD wollen dieses Ziel bis 2045 erreichen, die FDP bis 2050 und die Grünen in den „kommenden 20 Jahren“. CDU/CSU und FDP setzen dabei vor allem auf Forschung, Entwicklung und Innovation sowie auf die Bepreisung von CO2-Emissionen. Auch die Grünen konzentrieren sich auf eine CO2-Bepreisung. Darüber hinaus fordern sie Subventionen für grüne Technologien und sprechen sich für einen vorzeitigen Kohleausstieg aus.

Umweltpolitik ist nicht kostenlos: Allein die Bepreisung von Emissionen senkt die Margen der Unternehmen, wenn die Kosten nicht weitergegeben werden können. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie werden die zukünftigen Energiepreise daher eine entscheidende Rolle spielen. Die Deutsche Bank erwartet in den kommenden Jahren einen Mix aus marktbasierter Klimapolitik und regulatorischen Maßnahmen, etwa eine Festlegung von Emissionsquoten (Regulatorik), während der Handel mit CO2-Zertifikaten dem Markt überlassen wird. Alle Parteien scheinen sich der zu hohen Strompreise in Deutschland durch Steuern und Abgaben bewusst zu sein. Um einen zusätzlichen Preisschub durch eine CO2-Bepreisung abzufedern, könnte nach den Wahlen daher die EEG-Umlage gesenkt werden.

„Bundestagswahl und Kapitalmärkte: Was Anleger in
den kommenden Monaten im Blick behalten sollten.“

Konjunkturelle Dynamik dürfte abnehmen

Ökonomisch dürfte sich der Schub für das Potenzialwachstum in den wahrscheinlichsten Koalitionsszenarien in Grenzen halten.3 Dieses beschreibt das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft, basierend auf der vorhandenen menschlichen Arbeitskraft (zum Beispiel Know-how) und den verfügbaren finanziellen und technologischen Mitteln. Das Bruttoinlandsprodukt könnte 2022 nach Einschätzung der Deutschen Bank um 4,5 Prozent zulegen, sich im Laufe der Legislaturperiode aber wieder deutlich abschwächen. Mit Blick auf die Inflation dürften temporäre Faktoren wie die fortschreitende konjunkturelle Erholung, eine erhöhte Nachfrage durch einen coronabedingt nachgelagerten Konsum sowie die erwartete Umwelt- und Verteilungspolitik ebenso Druck auf die Preise erzeugen wie strukturelle Faktoren, etwa die anhaltend expansive Geldpolitik der EZB. Die Teuerungsrate könnte 2022 mit 2,6 Prozent auf einem leicht erhöhten Niveau bleiben.

Mögliche Auswirkungen auf Anleiherenditen

Mit Blick auf die Kapitalmärkte bleiben die Staatsausgaben und die Staatsverschuldung zwei Kernpunkte. Ausgabendruck dürfte vor allem in zwei Bereichen entstehen: im Kampf gegen den Klimawandel und im Umgang mit den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Sollten zur Finanzierung entsprechender Projekte und Maßnahmen auf nationaler Ebene mehr Staatsanleihen emittiert werden, hätte dies Auswirkungen auf die Rendite von Bundesanleihen. Auch die Ausgabe von europäischen Anleihen könnte sich auf den Stellenwert von deutschen Staatsanleihen auswirken.

Kurzfristige Schwankungen am Aktienmarkt möglich

Marktteilnehmer könnten eine rot-grün-rote Regierung negativ beurteilen. Eine Verschiebung der Umfragewerte in diese Richtung könnte zur Folge haben, dass viele Anleger ihr Engagement am deutschen Aktienmarkt etwas zurückfahren. Zwar sollte sich der politische Einfluss einer entsprechenden Regierung auf Branchen beschränken, die zum Beispiel besonders viel CO2 ausstoßen, etwa Wohnungsbauunternehmen oder die Chemie- und Luftfahrtindustrie. Jedoch könnte sich dadurch – insbesondere unter ausländischen Investoren – die Einstellung zu deutschen Aktien insgesamt verändern und den Markt für eine längere Zeit belasten.

Deutscher Aktienmarkt bleibt für Anleger langfristig interessant

Eine eher linksgerichtete Regierung, beispielsweise unter Beteiligung der Linkspartei, dürfte besonders auf der Nachfrageseite aktiv werden wollen, etwa über eine Ausweitung des Mindestlohns oder die Einführung einer Mindestrente. Andere Parteienkonstellationen dürften dagegen verstärkt die Angebotsseite in den Fokus nehmen – was sich positiver insbesondere auf den deutschen Aktienmarkt auswirken sollte. Dies könnte zum Beispiel im Rahmen verbesserter Investitionsbedingungen, beschleunigter Genehmigungsverfahren oder von mehr Technologieoffenheit geschehen.

Zu den potenziellen Profiteuren einer auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichteten Investitionspolitik dürfte aufgrund geplanter Maßnahmen in den Bereichen Elektromobilität, Bahninfrastruktur und Windkraft der deutsche Industriesektor zählen. Versorger wiederum würden von einer zunehmenden Stromnachfrage profitieren, wobei einige Unternehmen von einem möglicherweise schnelleren Kohleausstieg negativ betroffen sein könnten. Eine genaue Differenzierung innerhalb der Sektoren ist daher ratsam.

Insgesamt sollten sich die Gründe für ein Investment in den deutschen Aktienmarkt im Rahmen eines breit gestreuten Wertpapierdepots nach der Wahl nicht ändern. Durch ihre oftmals zyklische Ausrichtung und ihren hohen Anteil von im Ausland erzielten Umsätzen könnten in Deutschland ansässige Unternehmen auf absehbare Zeit von der konjunkturellen Erholung in vielen Ländern weltweit in besonders hohem Maße profitieren. Wobei Anleger die Risiken einer Ausbreitung hochansteckender Coronavirus-Varianten und dadurch möglicherweise wieder ansteigende Infektionszahlen genau im Blick behalten sollten.

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Redaktionsschluss: 15.09.2021, 10:00 Uhr