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Aktien – 20.06.22
Alle vier Jahre steht in den USA das Amt des Präsidenten zur Wahl. Parallel dazu wird von den Wählern auch ein Teil der Abgeordneten der beiden Kongresskammern neu bestimmt: Im Senat muss sich rund ein Drittel der Abgeordneten zur Wahl stellen, im Repräsentantenhaus werden alle Abgeordneten neu gewählt. In der Mitte der Amtszeit des Präsidenten werden die US-Bürger dann erneut an die Wahlurnen gerufen, um ein anderes Drittel der Senatssitze und wiederum alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu zu bestimmen. Diese Zwischenwahlen (engl.: midterm elections) stehen in diesem Jahr am 8. November an. In der Vergangenheit konnte bei den „Midterms“, die auch als Indikator für die Zufriedenheit der Bürger mit der jeweils aktuellen Regierung gelten, meist die Oppositionspartei Stimmen hinzugewinnen. Aktuelle Umfragen scheinen diesen Trend auch für die anstehenden Wahlen zu bestätigen. Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse könnten die regierenden Demokraten dadurch zumindest in einer der beiden Kongresskammern die Kontrolle an die Republikaner verlieren. Das dürfte Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik des Landes haben – und auf die weiteren Aussichten in verschiedenen Aktienmarktsektoren.
Das entscheidende Wahlkampfthema bei den diesjährigen Midterms dürfte die Inflationsentwicklung sein. Je besser es der Regierung unter Präsident Joe Biden sowie der US-Notenbank gelingt, die Preissteigerungen und ihre Folgen in den Griff zu bekommen, desto größer erscheinen die Chancen für die Demokraten. Heiß umkämpft dürften rund 20 der zur Wahl stehenden insgesamt 435 Sitze im Repräsentantenhaus sein, in dem die Demokraten aktuell eine Mehrheit von 13 Sitzen halten. Im Senat, wo turnusmäßig nur 35 der insgesamt 100 Sitze neu gewählt werden, herrscht derzeit ein Patt: 50 republikanischen Abgeordneten stehen 48 demokratische und zwei unabhängige, aber eher den Demokraten nahestehende Abgeordnete gegenüber – mit der demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris als entscheidende Stimme bei einem Abstimmungsgleichstand. Hier scheinen sechs Bundesstaaten besonders hart umkämpft: North Carolina mit aktuell zwei republikanischen Senatoren, Pennsylvania und Wisconsin mit jeweils einem republikanischen und einem demokratischen Senator sowie Arizona, Georgia und Nevada mit je zwei demokratischen Senatoren.
Anleger sollten aufgrund der engen Mehrheitsverhältnisse die politischen Entwicklungen in den USA in den kommenden Monaten sehr genau verfolgen, denn der US-Kongress ist der entscheidende Faktor bei der Verabschiedung und Umsetzung wichtiger wirtschaftspolitischer Projekte. Grundsätzlich sind drei Szenarien denkbar, die insbesondere den US-Aktienmarkt ganz unterschiedlich beeinflussen könnten.
Eine, wenn auch wahrscheinlich sehr knappe, Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat würde den Demokraten genug Spielraum geben, ihre Vorhaben im Bereich erneuerbare Energien weiter voranzutreiben. Dazu zählen Subventionen für Solar- und Windenergie und der Ausbau der Batterieproduktion. Auch Investitionen in CO2-Lagertechniken könnten ausgeweitet werden. Entsprechend ausgerichtete US-Unternehmen dürften davon überproportional profitieren. Insgesamt besteht in einem von den Demokraten geführten Kongress zudem eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass möglichen Rezessionstendenzen eine proaktive Fiskalpolitik entgegengesetzt wird.
Dagegen könnte es im Gesundheitssektor (Healthcare) zu einer verstärkten Regulierung kommen. Die Umsetzung des „Build Back Better“-Plans von Präsident Joe Biden würde es der Regierung beispielsweise erlauben, Preise für viele in der öffentlichen Krankenversicherung Medicare enthaltene Medikamente neu zu verhandeln und Sondersteuern gegen Unternehmen zu verhängen, die solche Preisverhandlungen verweigern. Für die gesamte US-Gesundheitsbranche, allen voran aber für Unternehmen, die einen hohen Umsatzanteil durch Medicare erwirtschaften, entstünden dadurch zusätzliche Risiken, die ihre Erträge negativ beeinflussen könnten.
Ebenfalls Gegenwind durch eine stärkere Regulierung wäre in den Bereichen Technologie und Kryptowährungen wahrscheinlich, mit negativen Auswirkungen auf IT-, Hardware- und Telekomkonzerne sowie Fintechs.
Sollten sich Demokraten und Republikaner die Mehrheiten in den beiden Kongresskammern teilen, hätte das für Sektoren wie Healthcare oder Tech wohl eher positive Auswirkungen, da dann nicht mit stark verschärften Regulierungen zu rechnen sein dürfte. Allerdings könnte man sich im Kongress im Umfeld möglicher Rezessionstendenzen wahrscheinlich auch schwerer auf fiskalische Maßnahmen einigen. Eine fehlende oder zu spät kommende Nachfrageunterstützung beträfe vor allem Banken oder Kreditkartenbetreiber, da es im Konsumentenkreditgeschäft in einem schwächeren wirtschaftlichen Umfeld zu höheren Ausfällen kommen könnte und dafür vorab entsprechende Rücklagen gebildet werden müssten.
Bei einer Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat droht den USA zum Jahresende ein politischer Stillstand. Viele der in den ersten beiden Amtsjahren von Joe Biden zumindest auf den Weg gebrachten Projekte hätten dann kaum mehr Aussicht auf umfassende Umsetzung, etwa der weitere Ausbau erneuerbarer Energien. Auch mögliche Steuererhöhungen wären wohl weitestgehend vom Tisch. Bei Themen wie der „China Competition Bill“ – der Bereitstellung von Subventionen für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der US-Chipindustrie – herrscht dagegen Einigkeit, wodurch hier weitere Fortschritte auch bei einem republikanisch dominierten Kongress möglich erscheinen.
Wie auch immer die Kongresswahlen am 8. November ausfallen mögen: Anleger sollten sich im Umfeld des Urnengangs auf eine erhöhte Schwankungsintensität an den US-Aktienmärkten einstellen. Zumal sich durch die Ausweitung der Briefwahlmöglichkeiten in einigen Bundesstaaten die Stimmauszählung verzögern könnte.
Für entsprechend risikobereite Anleger kann das bedeuten, sich jetzt eine Meinung zum möglichen Wahlausgang zu bilden und eventuell entsprechende Anlageentscheidungen zu treffen. Dabei sollte der Blick auch auf den gesamten US-Aktienmarkt gerichtet sein. Denn der Wahlausgang dürfte etwa über die Fiskalpolitik auch Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der USA haben – und damit indirekt auf den Aktienmarkt als Ganzes. Für eher risikoaverse Anleger könnte es sich hingegen anbieten, mit einem US-Investment bis nach den Midterms zu warten.
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Redaktionsschluss: 17.06.2022, 12:00 Uhr