Aktien – 23.10.20
Quelle: Toru Hanai / Bloomberg / Getty Images
Am 16. September hat Yoshihide Suga sein Amt als neuer japanischer Premierminister angetreten. Der 71-Jährige steht als Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Shinzō Abe zunächst einmal für Kontinuität: So wird in Anlehnung an die „Abenomics“ titulierte Reformpolitik seines Amtsvorgängers im Hinblick auf Sugas eigene Reformpläne bereits von „Suganomics“ gesprochen. Festhalten dürfte Suga dabei unter anderem an der expansiven Fiskal- und Geldpolitik Abes.
Zu den Herausforderungen, denen sich Suga neben den aktuellen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie stellen muss, gehören einige alte Bekannte, allen voran die Überalterung der japanischen Bevölkerung. Zudem mehren sich die Anzeichen für eine wieder zunehmende „Japanifizierung“ der Wirtschaft. Dazu gehören unter anderem ein Rückgang des Potenzialwachstums, eine zunehmende Unterauslastung der Wirtschaft sowie ein hoher Sparüberschuss der Privathaushalte und die anhaltend niedrige Inflationsrate.
Um diesen und anderen Problemen der weltweit drittgrößten Volkswirtschaft Herr zu werden, hat sich Suga eine umfangreiche Reformagenda auferlegt. Dabei setzt er vor allem auf strukturelle Veränderungen, die insbesondere vier Bereiche betreffen dürften:
Mehr als ein Viertel (28 Prozent) der Japaner sind derzeit älter als 64 Jahre. Zum Vergleich: Im ebenfalls von zunehmender Überalterung betroffenen Deutschland fällt nur etwa jeder Fünfte in diese Altersgruppe. Zudem sinkt die Einwohnerzahl Nippons seit zehn Jahren kontinuierlich: Die Geburtenrate betrug zuletzt nur noch 1,4 Kinder je Frau (Deutschland: 1,6). Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die demografische Entwicklung das Land in den kommenden 40 Jahren im Durchschnitt jährlich 0,8 Prozentpunkte Wachstum kosten könnte. Ähnlich wie hierzulande kämpfen deshalb auch japanische Unternehmen mit einem zunehmenden Fachkräftemangel. Lösungsansätze waren hier schon zu Abes Regierungszeit, die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte zu fördern – eine Entwicklung, die Suga weiter vorantreiben dürfte.
Im aktuellen „World Digital Competitiveness Ranking 2020“ der renommierten privaten Wirtschaftshochschule IMD belegt der einstige asiatische Technologieführer Japan den 27. Platz – weit abgeschlagen hinter China (16), Taiwan (11), Korea (8) und Singapur (2) und damit vier Plätze schlechter als im Vorjahr. Vor allem im öffentlichen Sektor sind statt E-Mail und digitaler Signatur noch immer Papier und der traditionelle „hanko“ (Stempel) an der Tagesordnung. Das Arbeiten im Homeoffice war für viele japanische Büroangestellte deshalb auch in der Coronavirus-Pandemie nicht möglich. Eines der von Suga angekündigten Vorhaben, um die digitale Transformation des Landes voranzutreiben, ist die Gründung einer staatlichen „Digitalagentur“. Sie soll unter anderem bis 2025 alle Prozesse der öffentlichen Verwaltung digitalisieren. Besonders ausbauen will Suga zudem die Bereiche Telemedizin und E-Learning.
Schon als Kabinettschef unter Shinzō Abe hatte Suga von den drei großen und marktbeherrschenden japanischen Mobilfunkanbietern eine deutliche Herabsetzung der Mobilfunkgebühren verlangt. Eine Forderung, die Suga trotz einiger seitens der Telekommunikationsunternehmen zwischenzeitlich erfolgten Maßnahmen zur Tarifsenkung kürzlich noch einmal wiederholte. Im aktuellen Vergleich der OECD-Länder gehört Japan zu den Nationen mit den höchsten Mobilfunkkosten. Studien zufolge lag der Anteil der mobilen Telefon- und Surfgebühren dort vor den Tarifanpassungen bei 4 Prozent der Konsumausgaben eines durchschnittlichen Haushalts (Deutschland: 2,5 Prozent). Um den Wettbewerb zu fördern, hatte die japanische Regierung 2019 bereits einem vierten Anbieter eine Mobilfunklizenz erteilt.
Bei der ersten Sitzung des Rats für Wirtschafts- und Finanzpolitik unter seinem Vorsitz am 6. Oktober erneuerte Suga seinen Willen zum Abbau bürokratischer Hürden und überkommener Regeln, „um die Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad“ zu führen. In den Wochen vor seiner Amtseinführung hatte er sich bereits mit zahlreichen Unternehmensvorständen getroffen, um seine Digitalisierungs- und Deregulierungspläne sowie eine Strukturreform des Unternehmenssektors darzulegen. Mit dem „Stewardship Code“ (2017) und dem „Corporate Governance Code“ (2018) waren börsennotierte Unternehmen schon unter Abe dazu verpflichtet worden, in einen aktiveren Dialog mit ihren Aktionären zu treten. Zudem wurden die Unternehmen dazu aufgefordert, ihr Management um „externe Direktoren“, eine Art Aufsichtsrat, zu erweitern – eine Modernisierung des Unternehmenssektors, die sich unter Suga fortsetzen dürfte.
Die von Suga angekündigten Reformen könnten durchaus das Potenzial besitzen, die japanische Wirtschaft mittel- bis langfristig voranzubringen – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf den japanischen Aktienmarkt. Hilfreich bei der Umsetzung der Pläne dürften die hohen Zustimmungswerte in der Bevölkerung für Sugas Politik sein: Fast 74 Prozent der Japaner stehen nach aktuellen Umfragen hinter seiner Agenda.
Der breit aufgestellte Topix hat mit rund 1.600 Punkten mittlerweile fast wieder sein Vorkrisenniveau erreicht. Von einer weiteren weltweiten konjunkturellen Erholung könnten in erster Linie die konjunktursensiblen Unternehmen profitieren, die in den japanischen Aktienindizes stark vertreten sind. Für entsprechend risikobewusste Anleger könnte vor diesem Hintergrund ein regional fokussiertes Investment im Land der aufgehenden Sonne infrage kommen. Dabei gilt es vor allem, die Zahl der Coronavirus-Infektionen weltweit und ihre Auswirkung auf die globale Konjunkturentwicklung im Blick zu behalten. Mit Überwindung der aktuellen Corona-Herausforderungen dürfte dann zunehmend die Wirksamkeit der „Suganomics“ in den Fokus der Anleger rücken.
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Redaktionsschluss: 22.10.2020, 15 Uhr