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Aktien – 21.04.22

US-Berichtssaison startet: Wie geht es Corporate America?

Die wichtigsten Fakten:

  • US-Berichtssaison zum ersten Quartal erreicht im April ihren Höhepunkt
  • Insgesamt scheinen die aktuellen Gewinnschätzungen eher konservativ
  • Positive Überraschungen könnten für Beruhigung am US-Aktienmarkt sorgen

Die Berichtssaison in den Vereinigten Staaten ist gestartet: Bis Ende April werden rund 70 Prozent der Unternehmen im Leitindex S&P 500 ihre Ergebnisse aus dem ersten Quartal 2022 präsentieren. Trotz des Russland-Ukraine-Kriegs, erneuter Corona-Lockdowns, vor allem in China, einer restriktiveren Geldpolitik der Fed und einer gedämpften Stimmung der US-Konsumenten bleibt die Analystengemeinde für den S&P 500 insgesamt optimistisch: Das erwartete aggregierte Gewinnwachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum beträgt 4,7 Prozent. Das wäre zwar deutlich weniger als im ersten Quartal des Vorjahres, allerdings waren die damals deutlich zweistelligen Zuwächse vor allem Ausdruck von Sondereffekten nach dem wirtschaftlichen Stillstand zu Beginn der Coronavirus-Pandemie.

„US-Berichtssaison gestartet: Eher konservative Erwartungen lassen Raum für positive Überraschungen.“

Index solide, Sektoren uneinheitlich

Während also auf Indexebene mit einem durchaus soliden Gesamtergebnis gerechnet wird, gehen die Erwartungen an die einzelnen Sektoren zum Teil deutlich auseinander. Mit einem Plus von 30 Prozent besonders stark heraufgestuft wurden die Analystenprognosen seit Jahresbeginn für den Energiesektor, der von den gestiegenen Ölpreisen profitieren dürfte. Auch börsengehandelte Immobilienanlagen, sogenannte REITs für Real Estate Investment Trusts (+12 Prozent), und der IT-Sektor (+3 Prozent) werden nun stärker erwartet.

In der Analystengunst gesunken sind dagegen Unternehmen des zyklischen Konsums sowie Industriekonzerne, die unter zunehmendem Margendruck durch steigende Lohnkosten und unter anhaltenden Lieferkettenproblemen leiden dürften. Ein starkes Europaengagement führte im bisherigen Jahresverlauf ebenfalls zu Herabstufungen durch die Analysten: Bei US-Firmen mit einem Umsatzanteil von mehr als 30 Prozent in der von hohen Energiepreisen besonders stark gebeutelten Alten Welt sanken die Erwartungen an die Gewinne pro Aktie zuletzt um 13 Prozent.

Energie auch auf Jahressicht vorn

Auch im Zeitraum vom ersten Quartal 2021 bis zum ersten Quartal 2022 liegt das erwartete Gewinnwachstum auf Sektorebene im Bereich Energie mit einem Plus von 245 Prozent aktuell am höchsten. Im Finanzsektor wird hingegen mit einem Minus von 24 Prozent gerechnet: Rückstellungen, die infolge coronabedingter Risiken gebildet werden mussten, konnten im vergangenen Jahr weitestgehend aufgelöst werden, wodurch die Unternehmensergebnisse gestützt wurden – dieser Sondereffekt entfällt nun. Hinzu kommt, dass gestiegene konjunkturelle Unsicherheiten in Verbindung mit einer anziehenden Kreditnachfrage aktuell für die Notwendigkeit neuer Risikopuffer sorgen. Da diese aus den laufenden Gewinnen finanziert werden müssen, belasten sie die Unternehmensergebnisse des Finanzsektors zusätzlich. Gesunkene Unternehmensgewinne auf Jahresbasis werden ebenfalls für die Bereiche zyklischer sowie nicht zyklischer Konsum und Kommunikationsdienstleistungen erwartet.

Raum für positive Überraschungen

Klassischerweise sind in den USA – anders als etwa in Europa – die Prognosen der Analystengemeinde jedoch meist etwas zu konservativ. Konkret bedeutet das: Historisch betrachtet lagen die tatsächlich berichteten Gewinne der Unternehmen durchschnittlich rund 5 Prozent über den Erwartungen. Auch in diesem Jahr könnte es zu zahlreichen „beats“, also positiven Überraschungen kommen. Das liegt unter anderem daran, dass maßgebliche Konjunkturrisiken außerhalb der USA zu finden sind – die meisten US-Unternehmen machen den Großteil ihres Geschäfts aber innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Nach einem Konjunkturplus von 5,7 Prozent im vergangenen Jahr wird in den USA auch 2022 mit einem deutlichen Wachstum von um die 3 Prozent gerechnet. Zudem entwickelte sich in vielen Hauptabsatzländern der S&P-500-Unternehmen die Konjunktur im ersten Quartal vergleichsweise dynamisch, etwa in Kanada, Mexiko und China.

Noch entscheidender für den weiteren Kursverlauf am US-Aktienmarkt als der Rückblick auf das abgelaufene Quartal ist in dieser Berichtssaison sicher der Ausblick auf die kommenden Monate. Denn an der „Guidance“ (engl.: Orientierung) der Unternehmen wird man ablesen können, wie sie die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen meistern wollen und können. Aktuell sind die Erwartungen der Marktteilnehmer an die Guidance eher gering – was für positives Überraschungspotenzial bei den Aktienkursen sorgen könnte, sollten die tatsächlichen Ausblicke besser ausfallen als erwartet.

Kommt der US-Aktienmarkt nun etwas zur Ruhe?

Insgesamt erwartet die Deutsche Bank, dass die Analystenprognosen für das erste Quartal 2022 eher zu konservativ ausgefallen sind und die tatsächlichen Gewinne der US-Unternehmen im S&P 500 etwas höher liegen könnten. Dabei sollten neben dem Energiesektor vor allem solche Unternehmen positiv berichten können, deren Geschäftstätigkeit national ausgerichtet ist.

Je mehr „beats“ es in den kommenden Wochen geben wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der zuletzt stark schwankende US-Aktienmarkt wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser gerät. Insgesamt könnte sich in diesem Umfeld für entsprechend risikobereite Anleger ein breit gestreutes US-Investment anbieten – etwa in Form eines aktiv gemanagten Fonds, um schnell auch auf kurzfristige Marktentwicklungen reagieren zu können.

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Redaktionsschluss: 20.04.2022, 12:00 Uhr