Quelle: Maksim Kabakou / Adobe Stock

Aktien, Volkswirtschaft/Geldpolitik – 07.04.22

USA: Zinsstrukturkurve im Blick der Anleger

Die wichtigsten Fakten:

  • US-Zinsstrukturkurve teilweise invers
  • Mögliches Anzeichen für aufziehende Rezession
  • Aktienmarkt in den USA scheint auf absehbare Zeit gut gestützt

Viele Marktteilnehmer blicken derzeit beunruhigt auf die stark abgeflachte und teilweise inverse Zinsstrukturkurve in den USA. Die Zinsstrukturkurve, kurz Zinskurve, ist die grafische Darstellung der laufenden Verzinsung von Anleihen unterschiedlicher Laufzeiten. Verläuft die Kurve flach, bedeutet dies, dass es zwischen kürzeren und längeren Laufzeiten einen nur geringen oder gar keinen Zinsunterschied gibt. Verläuft die Kurve invers (umgekehrt), liegt die Verzinsung am „langen Ende“ niedriger als am „kurzen Ende“.

Zuletzt verlief die Zinsstrukturkurve über viele Laufzeiten hinweg invers. Die viel beachtete Zinsdifferenz 2- bis 10-jähriger US-Staatsanleihen rutschte am 1. April zum ersten Mal seit 2019 ins Minus. Auf den aktuellen Konjunkturzyklus bezogen scheinen die Marktteilnehmer zu erwarten, dass die US-Notenbank Fed ihre Leitzinsen angesichts der derzeit hohen Inflation zunächst kräftig anheben wird, dann aber wieder senken muss, weil sich die Konjunktur eintrübt.

Aktieninvestoren gibt derweil Grund zur Sorge, dass sich in der Vergangenheit inverse US-Zinskurven häufig als Indikator einer bevorstehenden Rezession in den Vereinigten Staaten erwiesen haben. Seit 1955 hat eine Invertierung der 2- bis 10-jährigen Zinskurve diesbezüglich nur einmal ein falsches Signal gesetzt. Die Aktienmarkterträge hängen maßgeblich vom Konjunkturzyklus ab – der US-Leitindex S&P 500 etwa büßte in der Vergangenheit in Rezessionsphasen durchschnittlich mehr als 20 Prozent an Wert ein.

Ende des aktuellen US-Konjunkturzyklus scheint noch nicht in Sicht

US-Notenbank-Chef Jerome Powell gab im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dem aktuellen Verlauf der Zinskurve und einer bald drohenden Rezession jüngst Entwarnung: Er sehe noch kein Ende des aktuellen Konjunkturzyklus heraufziehen. Tatsächlich könnten inverse Zinskurven zwar auf eine bevorstehende Rezession hindeuten. In der Vergangenheit vergingen nach einer Invertierung der 2- bis 10-jährigen US-Zinskurve aber noch durchschnittlich 19 Monate bis zum Eintritt der USA in eine Rezessionsphase. Seit 1980 erzielte der US-Leitindex zwischen einer Invertierung der Zinskurve und dem folgenden Rezessionsbeginn durchschnittlich Erträge in Höhe von 13 Prozent, in den ersten zwölf Monaten nach der Invertierung sogar in Höhe von durchschnittlich 20 Prozent.

„Rezession in Sicht? Was die aktuelle Zinsstrukturkurve über die Entwicklung der US-Konjunktur aussagt – und was nicht.“

Zinskurve eher kein Signal zum Verkauf

Historisch gesehen scheint eine Invertierung der 2- bis 10-jährigen US-Zinskurve kein geeignetes Verkaufssignal für Aktien – das gilt weltweit. Sie könnte jedoch Hinweise auf die Ertragschancen bestimmter Regionen und Aktienmarktsegmente geben, etwa auf eine beginnende Outperformance von Substanzwerten („value“) gegenüber Wachstumswerten („growth“). Nach Meinung der Deutschen Bank dürften Substanzwerte im Umfeld steigender Zinsen Aufwärtspotenzial bieten.

Dabei sticht insbesondere der günstige und zinssensitive US-Finanzsektor hervor. Dieser scheint sich mittlerweile unabhängiger von der 2- bis 10-jährigen US-Zinsstrukturkurve zu entwickeln: Korrelierte das Gewinnwachstum der US-Banken in den Jahren 1992 bis 2000 noch zu 80 Prozent mit der Zinskurve, so sank dieser Wert nach dem Platzen der Dotcomblase auf 20 Prozent. Eine Invertierung der Zinskurve könnte zwar zu einer erhöhten Volatilität bei Bankaktien führen, aber nicht unbedingt zu fallenden Kursen. Im Gegenteil: US-Banken sollten insgesamt bis auf Weiteres vom Zinsanhebungszyklus der Fed profitieren können.

Anlegern könnte es sich empfehlen, die US-Zinskurve zwar im Blick zu behalten, aber nicht vorschnell zu reagieren. US-Aktien gehören für entsprechend risikobereite Anleger weiterhin in jedes ausgewogene Portfolio. Die mittelfristigen Aussichten scheinen im Hinblick auf eine relativ robuste US-Wirtschaft positiv. Die jüngste wirtschaftliche Stärke hat sich in soliden Unternehmensgewinnen niedergeschlagen. Insgesamt könnten sich Investitionen in den US-Aktienmarkt im Rahmen eines breit diversifizierten Investments unter verstärkter Berücksichtigung von Substanzwerten anbieten. 

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Redaktionsschluss: 06.04.2022, 17:00 Uhr