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Die Wirtschaftsaussichten für Deutschland im kommenden Jahr werden von den Forschungsinstituten eher pessimistisch beurteilt. Eine mögliche Rezession muss allerdings nicht auf das Gesundheitswesen übergreifen. Auch aktuell ist die Lage besser als die Stimmung.

Bürokratieaufwand in den Praxen nimmt zu

Der Bürokratieaufwand in den Praxen ist im Berichtsjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Prozent gestiegen. Zusätzlich belastet die Corona-Pandemie die vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Praxen mit komplexen Regelungen. Laut einer Untersuchung im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) haben Praxen in diesem Jahr 55,8 Millionen Nettoarbeitsstunden für Informationspflichten aufgewendet. Das sind 715.000 Stunden mehr als im Jahr 2019. Aktuell fallen im Durchschnitt pro Jahr und Praxis etwa 61 Arbeitstage für die Erfüllung von Informationspflichten an. Der administrative Aufwand für die Abrechnungen für Privatpatientinnen und -patienten kommt hier noch hinzu.


Wer die nackten Zahlen der Honorarentwicklung für die unterschiedlichen Leistungsbereiche im Gesundheitswesen aus dem ersten Halbjahr 2022 betrachtet, könnte sich eigentlich beruhigt zurücklehnen. (Fast) alles wie immer: Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal durchschnittlich um 1,7 Prozent im Vorjahresvergleich gewachsen. Und die Gesundheitswirtschaft hat im selben Zeitraum deutlich stärker zugelegt: Die Honorare für ärztliche Behandlungen sind in dieser Zeit nach den Berechnungen von Rebmann Research um 2,7 Prozent gestiegen, Zahnarztpraxen erzielten ein Honorarplus von 3,5 Prozent, Krankenhäuser von 4,0 Prozent und für Arznei- und Verbandmittel ist sogar ein Plus von 7,0 Prozent zu verzeichnen (Quelle: Rebmann Research). Der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Energiekrise scheinen auf den ersten Blick wenig Einfluss auf die Entwicklung in diesem Sektor zu haben.

Doch dieser erste Eindruck ist trügerisch, da die Honorarzuwächse bei diesen auf vorläufigen Angaben der Krankenkassen beruhenden Daten nicht inflationsbereinigt ausgewiesen werden. Denn zu diesem Zeitpunkt des Jahres läuft zum Beispiel gerade erst die Abrechnung der Vertragsärztinnen und -ärzte nach und nach bei den Krankenkassen ein.

Jedenfalls ergibt sich angesichts der aktuellen Inflationsrate – die Deutsche Bank Research erwartet für 2022 8 Prozent – für das laufende Jahr auch im Gesundheitswesen real kein Zuwachs bei den Honoraren, sondern ein Rückgang. Die drastisch gestiegenen Energiepreise, aber auch steigende Kosten für Gehälter und für andere Vorleistungen sowie die Unsicherheit über die weitere Entwicklung haben dazu geführt, dass die Stimmung der (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte auf einen Tiefpunkt gefallen ist.


Medizinklimaindex fällt auf den tiefsten Stand

So hat der Medizinklimaindex, mit dem die Stiftung Gesundheit die Stimmung bei Ärztinnen und Ärzten ermittelt, im Herbst den bisher niedrigsten gemessenen Wert erreicht. Bei Ärztinnen und Ärzten lag er mit −33,1 Punkten noch unter dem bisherigen Minimum aus Mai 2020, als die Unsicherheit über die Corona-Lage stark verbreitet war. Unter Zahnärztinnen und Zahnärzten lag der Wert sogar bei −39,3 Punkten (Quelle: Stiftung Gesundheit).

Die schlechte Stimmung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:

  • Den relativ niedrigen Honorarabschluss für Vertragsärztinnen und -ärzte für das kommende Jahr: Trotz hoher Inflation gibt es nur ein Plus von 2 Prozent auf den Orientierungswert.
  • Die Unsicherheit, ob und wie das Gesundheitswesen – Krankenhäuser und Praxen – in die verschiedenen Maßnahmen der Energiepreisbremse miteinbezogen wird. Vor allem Fachgruppen wie die Radiologie und Strahlentherapie sowie Dialysepraxen stehen aufgrund der gestiegenen Energiepreise tatsächlich mit dem Rücken zur Wand. Aber auch für andere Praxen sind die steigenden Energiekosten spürbar.
  • Die Auswirkungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes bringen trotz einiger Änderungen in letzter Minute Ärztinnen und Ärzten unter dem Strich eine Honorarkürzung. Die erwarteten Kassendefizite werden auch in den kommenden Jahren keine großen Sprünge zulassen.
  • Außerdem dürften auch die allgemeine Wirtschaftslage und die Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Stimmung beeinflussen. Für 2023 erwartet die Bundesregierung, dass die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent sinkt. Zugleich bleibt die Preisentwicklung auf einem hohen Niveau: Für 2023 wird immer noch eine Inflationsrate von 7 Prozent erwartet. Erst ab 2024 rechnen die Wirtschaftsinstitute wieder mit einem Wachstum von nahezu 2 Prozent.
  • Nicht zuletzt: Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust in Deutschland wirkt sich auch auf den privaten Konsum aus. Die Bundesregierung erwartet, dass der private Konsum im kommenden Jahr rückläufig ausfallen wird. Das könnte auch in Praxen Folgen haben – für die Honorarumsätze mit Wunschleistungen und privaten Leistungsanteilen, etwa beim Zahnersatz.

Hohe Beschäftigungsquote bleibt stabil

Trotz der vielen stimmungsverschlechternden Faktoren – das Gesundheitswesen könnte sich am Ende doch wieder einmal abkoppeln von der negativen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland: Dafür, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen weiter unvermindert anhalten wird, wird nicht nur die demografische Entwicklung sorgen, also die alternde Gesellschaft. Zugleich zeigen die Prognosen der Wirtschaftsforschung, dass sich das sinkende Wachstum nicht oder nur sehr wenig auf die hohe Beschäftigungsquote auswirken wird.

Es ist daher zu erwarten, dass zumindest die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in der Krise stabil bleiben werden.

Wenn sich dieser Trend bestätigt und die Bundesregierung bei der Energiepreisbremse auch die Praxen nicht ausspart, wird das am Ende die Stimmung der Leistungserbringenden, also vor allem der (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte, wieder steigen lassen.


Redaktion:
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