Die Corona-Pandemie führte dann zu einem temporären wirtschaftlichen Lockdown in fast allen Teilen der Welt und störte damit die weltumspannenden Lieferketten in erheblichem Maße. Die potenzielle Anfälligkeit von Lieferketten für solche externen Schocks wurde plötzlich offensichtlich, viele Grenzen wurden geschlossen, Produktivität und Investitionen sanken. Viele Länder besannen sich wieder mehr auf sich selbst. „Wir rechnen damit, dass diese handelsdämpfenden Umstände gerade im Bereich der Produktivität noch einige Jahre den Welthandel negativ beeinflussen werden“, sagt Heymann.
Wie wird das die Lieferketten verändern?
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden viele Unternehmen punktuelle Anpassungen vornehmen – etwa ihre Supply Chains mit zusätzlichen Zulieferern breiter aufstellen (Multisourcing), sich stärker regional differenzieren oder mehr Lagerkapazitäten aufbauen. Das wahrscheinlichste Szenario ist für Heymann ein Bedeutungszuwachs kontinentaler Lieferketten in Europa. Die Europäische Union bietet einerseits einen einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Zölle oder sonstige Handelsbarrieren. Gleichzeitig existieren innerhalb der EU auch deutliche Lohnunterschiede, die bei vielen Standortentscheidungen natürlich eine große Rolle spielen. Der Vorteil der geographischen Nähe macht es einfacher, Lieferketten effizient und flexibel durchzuplanen. Sollte etwa der Flugverkehr eingestellt werden, können Unternehmen notfalls per LKW beliefert werden.
Doch auch unabhängig von den Corona-Folgen wird die Lieferkette der Zukunft anders aussehen. Vor allem technologische Entwicklungen ermöglichen den Unternehmen, die Lieferketten weiter zu optimieren und intelligenter zu machen. Der Einsatz von Cloud-Lösungen, Künstlicher Intelligenz (KI), Blockchain und die Vernetzung mittels Sensoren mit dem „Internet of Things“ (IoT) steigern die Effizienz, erhöhen die Planungssicherheit, senken die Kosten und helfen dabei, die Lagerhaltung zu optimieren. Ziel ist die lückenlose Nachverfolgbarkeit der Güter von ihrem Ursprung bis zum Empfänger, die bessere Auslastung von Transportkapazitäten – und das möglichst flexible Reagieren auf unvorhergesehene Ereignisse {LINK ZU LEITFADEN „So machen Sie Ihre Supply Chain zukunftssicher“}. Auch der 3D-Druck wird in speziellen Nischen von immer mehr Unternehmen eingesetzt, um weniger abhängig von Lieferanten zu sein oder schneller auf Lieferprobleme reagieren zu können.
„Welche technologischen Neuerungen Unternehmen einsetzen, entscheiden sie individuell – mit Blick auf Kosten und den erwarteten Mehrwert“, sagt Heymann. Allerdings erwartet der Experte einen verstärkten Einsatz intelligenter Lösungen in Branchen mit komplexeren, technologisch anspruchsvolleren Produkten wie etwa Auto- oder Maschinenbau. Für alle Unternehmen aber gilt: Der erste Schritt sollte immer die Prüfung physischer Risiken für die Lieferkette sein – und wie sich diese durch neue Technologien verringern lassen. Etwa eine starke Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern oder komplizierte, länderübergreifende Transportwege.
Im Grunde, bilanziert Heymann, bewegen sich Lieferketten immer zwischen den beiden Polen Effizienz und Resilienz. Über lange Zeit stand die Steigerung der Effizienz im Fokus – in den kommenden Jahren dürfte die Absicherung der Lieferketten, also die Resilienz, an Bedeutung gewinnen.