Die Lieferkette der Zukunft

Die Corona-Pandemie hat die Anfälligkeit von Lieferketten und die Risiken für die Produktion deutlich gemacht. Drei Szenarien zeigen, wie sich der weltweite Handel in den kommenden Jahren entwickeln könnte, welche Folgen dies für die Lieferketten hätte — und was Unternehmer tun müssen, um ihre Supply Chain zukunftssicher zu machen.

Produktionen lagen still, der Handel brach ein – die Coronakrise hat den Unternehmen die Verletzlichkeit ihrer Lieferketten drastisch vor Augen geführt. Dreht die Pandemie die Globalisierung zurück – oder wird in einigen Jahren alles wieder so sein wie vorher? Und wie sollten Unternehmen sich darauf einstellen? Wie können sie ihre Lieferketten fit und vor allem sicher für die Zukunft machen?

Schon bevor sich das Virus in der Welt ausbreitete, hatte sich das Wachstum des Welthandels strukturell abgeschwächt. Ein Grund war die Finanzkrise von 2008/2009, aber auch das Fehlen von Faktoren, die die Globalisierung in den Jahren zuvor befeuert hatten – etwa der Beitritt Chinas zur WTO 2001 oder die Osterweiterung der Europäischen Union. „Etwa seit 2012 sehen wir, dass der Welthandel nur noch ungefähr so schnell wächst wie das globale BIP, während in den Jahren zuvor der Handel meist eine höhere Dynamik verzeichnete“, sagt Eric Heymann, Senior Economist bei Deutsche Bank Research. „Viele bilaterale Handelshemmnisse oder der Brexit dämpften die Handelsdynamik, die Lohnkosten in Ländern wie China stiegen, und in Teilen der Politik wuchs nach der Finanzkrise ein generelles Misstrauen gegenüber offenen Märkten.“

Nach Corona: Wohin steuert der globale Handel?

Die Coronakrise hat dem weltweiten Handel einen Dämpfer versetzt – doch wie sehen die Folgen aus? Um ihre Lieferketten anpassen zu können, müssen Unternehmen wissen, wie sich der globale Austausch von Gütern und zugelieferten Teilen in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Zu erwarten ist grundsätzlich, dass die weltweite Arbeitsteilung erhalten bleibt und es in Sachen Globalisierung nicht zu einem Rückfall in die Zeit vor den 1990er Jahren kommen wird – die Kosten dafür wären schlicht zu hoch.

Ein Gradmesser für die Globalisierung und die internationale Verflechtung von Lieferketten ist das Verhältnis des weltweiten Handelsvolumens zum globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Für ihre Entwicklung bis 2027 hat Eric Heymann, Senior Economist bei Deutsche Bank Research, drei Szenarien entwickelt – deren Verlauf vor allem von der Entwicklung der internationalen Handelspolitik bestimmt wird.

Entwicklung von Welthandel und globalem BIP seit 1995 im Vergleich – und drei mögliche Szenarien für die Zukunft

Quelle: IWF, Deutsche Bank Research, Stand 2019

Szenario 1: Moderate Globalisierung

Im mittleren Szenario (1) entwickelt sich die Globalisierung moderat weiter. Entscheidende Durchbrüche im internationalen Freihandel bleiben aus, doch einige Staaten schließen bilaterale Abkommen. Allerdings drücken bestehende Handelsrestriktionen und politische Hängepartien auf die Investitions- und Handelslaune und schwächen die Handelsdynamik und damit das BIP-Wachstum; manche Länder betreiben eine explizite Politik des „My nation first“. Die Entwicklung ähnelt der in den Jahren zwischen 2012 und 2019, den Folgejahren der Finanzkrise.

Deutsche Bank Research hält dieses Szenario für das wahrscheinlichste. Hier bleiben viele Lieferketten global ausgerichtet, wenngleich es in manchen Fällen zu einer zusätzlichen stärkeren Ausrichtung auf kontinental oder gar national organisierte Wertschöpfungsketten kommt. Zusammen mit einem höheren Innovations- und Automatisierungslevel könnte dieses Szenario eine gute Balance zwischen Effizienz und dem zuletzt gewachsenen Bedürfnis nach Sicherheit bieten. Lieferketten wären weniger anfällig für große krisenhafte Ereignisse in einzelnen Regionen. Eine stärkere klimapolitische Belastung des Transportsektors könnte heimatnahe Lieferketten attraktiver machen, weil so Transportkosten gespart würden; die CO2-Emissionen könnten so gesenkt werden.

Szenario 2: Verlangsamte Globalisierung

Im pessimistischen Szenario (2) werden Handelsbarrieren, vor allem zwischen den USA und China, eher ausgebaut – und als Instrument zur Positionierung im globalen Wettkampf um Innovationsführerschaft oder zur Eindämmung von Produktpiraterie eingesetzt. Die Handelspolitik wird zum strategischen Konflikt zwischen den beiden Großmächten, was die Globalisierung abschwächt. Dies hat auch negative Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen Deutschlands und Europas mit dem Rest der Welt. In Summe wächst der Außenhandel nur noch marginal. Auch das BIP-Wachstum leidet.

Szenario 3: Rückkehr zu intensiver Globalisierung

Im handelsfreundlichen Szenario (3) besinnen sich die Staaten auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Die beiden Rivalen USA und China schließen verstärkt Handelsabkommen, andere Regionen folgen. Fortschritte auf Ebene der WTO sind wieder zu beobachten. Streitpunkte bisheriger Handelskonflikte wie Produktpiraterie, Marktzugang oder Kapitalbeteiligungen in China werden beigelegt oder abgemildert. Die Folge: sehr positive Impulse für das BIP-Wachstum und den globalen Handel. Die Globalisierung schaltet wieder in den Turbogang, Lieferketten werden wieder internationaler.


Deutscher Außenhandel - Drei Szenarien

Die Entwicklung des deutschen Außenhandels hängt auch nach der Coronakrise stark vom Verhältnis der drei großen Blöcke USA, China und Europäische Union (EU) ab. Bereits seit Mitte 2018 belastet der Handelskonflikt zwischen den USA und China den Welthandel. Damals erhob die amerikanische Regierung erstmals Strafzölle auf viele Produkte, die China nach Amerika exportiert. Die chinesische Regierung antwortete mit Strafzöllen auf amerikanische Produkte.

In einem gemeinsamen Handelsabkommen vereinbarten die beiden Staaten Anfang 2020 zwar, sich in verschiedenen Streitpunkten aufeinander zuzubewegen. Unter anderem sicherte die chinesische Seite zu, mehr amerikanische Produkte nach China zu importieren. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass sich der Handelskonflikt schnell abmildern wird.Je nachdem, wie sich die Handelsstreitigkeiten in der Welt entwickeln, ergeben sich für Deutschland unterschiedliche Szenarien, die Eric Heymann, Senior Economist bei Deutsche Bank Research, skizziert hat. Die Grafiken zeigen die Bedeutung der jeweiligen Region für den deutschen Außenhandel, die wichtigsten Branchen sowie drei Handels-Szenarien für die entsprechende Weltregion.

Import- und Export-Beziehungen Deutschlands zu China, den USA und der Eurozone nach Volumen

Grundsätzlich gilt: Verschärfen sich Handelskonflikte, dämpft dies das volkswirtschaftliche Wachstumspotenzial. Beschränken sich Handelskonflikte auf eine Region, kann das Volumen im Handel mit anderen Regionen steigen. So könnten etwa kontinentale Wertschöpfungsketten innerhalb der EU gestärkt werden, wenn es zwischen den USA und China keine substanziellen Fortschritte gibt – die Deutsche Bank hält dieses Szenario mit Blick auf die EU für am wahrscheinlichsten. Umgekehrt würde das deutsche Handelsvolumen mit den USA zulegen, wenn ein transatlantisches Freihandelsabkommen zustande käme. In jedem Fall aber werden sich Lieferketten weiter verändern müssen, um auf die neue Handelswelt nach Corona und die sich verändernden handelspolitischen Rahmenbedingungen richtig zu reagieren.

Der deutsche Außenhandel und seine wichtigsten Partner

Entwicklung des deutschen Außenhandels mit der Eurozone

Import- und Export-Beziehungen Deutschlands zur Eurozone und drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Kontinentale Wertschöpfung

Im mittleren (und wahrscheinlichsten) Szenario werden die zollfreien Handelsbeziehungen innerhalb der EU für Unternehmen attraktiver, weil es bei internationalen Freihandelsabkommen mit den USA oder China keine Fortschritte gibt. Das stärkt kontinentale Wertschöpfungsketten.

Szenario 2: Auswirkungen von Handelskonflikten

Im pessimistischen Szenario ist der Handel innerhalb der EU zwar politisch nicht von globalen Handelskonflikten betroffen – es gibt aber massive negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Handelsdynamik innerhalb der EU.

Szenario 3: Handelswachstum

Im optimistischen Szenario profitiert der Wirtschaftsstandort EU von Fortschritten in der globalen Handelspolitik. Der Handel innerhalb der EU und mit Ländern außerhalb der EU wächst – allerdings nur unterdurchschnittlich.

Statistisches Bundesamt, Deutsche Bank Research
Stand: 2019; 2020 und 2021: Prognosen; ab 2022: Szenarien

Entwicklung des deutschen Außenhandels mit China

Import- und Export-Beziehungen Deutschlands zu China und drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Begrenzte Fortschritte 

Im mittleren (und wahrscheinlichsten) Szenario bemühen sich EU und China grundsätzlich um Fortschritte in Richtung mehr Freihandel, jedoch mit begrenztem Erfolg. Der Fokus bilateraler Gespräche liegt auch darauf, geistiges Eigentum besser zu schützen und den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft zu begrenzen.

Szenario 2: Gedämpfte Dynamik

Im pessimistischen Szenario dagegen dämpft der Handelskonflikt zwischen den USA und China auch die Dynamik im Handel zwischen Deutschland und China. Der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft in China bleibt weiter ein politischer Streitpunkt mit der EU.

Szenario 3: Signale für Freihandel

Im optimistischen Szenario gibt es politische Signale für ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen China und der EU. Zuvor gibt es außerdem Fortschritte beim Schutz von geistigem Eigentum oder den so genannten Local-Content-Vorschriften. Damit sind Regelungen gemeint, die Unternehmen vorschreiben, einen bestimmten Anteil ihrer Produkte im Inland zu produzieren.

Statistisches Bundesamt, Deutsche Bank Research
Stand: 2019; 2020 und 2021: Prognosen; ab 2022: Szenarien

Entwicklung des deutschen Außenhandels mit den USA

Import- und Export-Beziehungen Deutschlands zu den USA und drei mögliche Szenarien:
Szenario 1: Keine Freihandelsfortschritte

Im mittleren (und wahrscheinlichsten) Szenario gibt es vorerst keine Fortschritte in Richtung eines transatlantischen Freihandelsabkommens. Die Politik versucht kurzfristig, die Zölle auf bestimmte Produkte zu senken.

Szenario 2: Mehr Zölle

Im pessimistischen Szenario wird der Handelsstreit hingegen zum Dauerthema und es gibt kaum politische Befürworter von mehr Freihandel. Es werden für weitere Produkte Zölle eingeführt. Die Drohkulisse der USA, die Zölle auf Import-Autos zu erhöhen, bleibt bestehen.

Szenario 3: Die Zölle sinken

Im optimistischen Szenario treibt die Politik die Verhandlungen zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen ernsthaft voran. Als erste Maßnahme sinken die vor kurzem erhöhten Zölle auf bestimmte Produkte wieder.

Statistisches Bundesamt, Deutsche Bank Research
Stand: 2019; 2020 und 2021: Prognosen; ab 2022: Szenarien

So machen Sie Ihre Lieferkette zukunftssicher