Viele Unternehmen in Deutschland sind in hohem Maße abhängig von Rohstofflieferungen aus aller Welt, insbesondere bei Energierohstoffen, Metallen und Industriemineralen sowie deren Zwischenprodukten. Dabei ist die Herkunft einzelner Rohstoffe häufig auf wenige Länder begrenzt.
Russland beispielsweise ist für Deutschland bislang der wichtigste Lieferant von Energierohstoffen: Mehr als die Hälfte des hierzulande verbrauchten Erdgases und rund ein Drittel der deutschen Ölimporte stammen von dort. Auch von russischem Chrom, Nickel und Palladium ist die deutsche Industrie einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zufolge sehr abhängig. Palladium wird zum Beispiel beim Bau von Autokatalysatoren, in der chemischen Industrie und in der Elektrotechnik verwendet. Eine dominierende Rolle als Lieferant wichtiger Rohstoffe nimmt auch die Volksrepublik China ein.
Insbesondere für Deutschlands mittelständische Industriebetriebe hat sich gegenüber den bereits durch die Coronavirus-Pandemie bestehenden Lieferengpässen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine die Versorgung mit Rohstoffen und Vorprodukten nochmals dramatisch verschärft. „Diese Unternehmen stehen derzeit von zwei Seiten unter Druck: Sie bekommen selbst weniger Vorprodukte oder – wie vor allem bei Energie – nur zu sehr hohen Preisen. Zugleich können sie die Kostensteigerungen nur teilweise an ihre Kunden weitergeben und selbst wegen Verzögerungen in der Lieferkette immer schlechter liefern“, betont Ralf Stoffels, Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Laut einer am 18. März 2022 veröffentlichten DIHK-Blitzumfrage leiden fast 90 Prozent der Industrieunternehmen unter fehlenden Rohstoffen und Vorleistungen. Stoffels wies zudem darauf hin, dass deutsche Unternehmen insgesamt weltweit auf immer mehr Handelshürden und Protektionismus träfen. Das habe sich im Zuge der Corona-Pandemie verstärkt und sei eine bedenkliche Entwicklung.
„Komplexe und aufeinanderaufbauende Lieferketten beinhalten immer das Risiko, dass diese unterbrochen werden können – mit gravierenden Auswirkungen auf Produktionsprozesse sowie einer stark eingeschränkten Planungssicherheit für deutsche Unternehmen und den Industriestandort Deutschland“, weiß Maren Liedtke von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA). Die DERA untersucht regelmäßig die globale Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe. Während die Versorgung mit Energierohstoffen wesentlich von politischen Entscheidungen abhängig ist – und damit eher außerhalb des unternehmerischen Einflusses –, liegt es bei anderen Rohstoffen und Zwischenprodukten zumindest teilweise auch in der Hand der Unternehmen, ihre Versorgung mit einem durchdachten Rohstoffmanagement gegen verschiedene Eventualitäten abzusichern. Gegen eine allgemeine Knappheit, wie sie seit dem Beginn der konjunkturellen Erholung nach dem Höhepunkt der Corona-Pandemie weltweit bei vielen Rohstoffen herrscht, kann zwar eher wenig ausgerichtet werden. Regional und zeitlich begrenzten Risiken lässt sich damit jedoch entgegenwirken.
Wie wichtig das Rohstoffmanagement ist, zeigen aktuelle Zahlen: Fast 45 Prozent der in der „DERA-Rohstoffliste 2021“ untersuchten Bergwerks-, Raffinade- und Handelsprodukte unterlagen zuletzt erhöhten Lieferrisiken. Eine weitere im Auftrag der DERA erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Rohstoffbedarf mit Blick auf die Zukunftstechnologien im Jahr 2040 bei insgesamt elf Metallen deutlich über dem heutigen Produktionsstand liegen könnte. Das betrifft beispielsweise die Nachfrage nach Lithium, die aufgrund des wachsenden Bedarfs nach Batterien für die Elektromobilität die heutige Produktion um das 5,9-Fache übertreffen könnte.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat in einer Umfrage ermittelt, wie Firmen versuchen, Lieferengpässen gegenzusteuern. Demnach sind, trotz des damit verbundenen Planungs-, Verhandlungs- und Arbeitsaufwands, die Suche nach weiteren Lieferanten und eine erhöhte Lagerhaltung die am häufigsten genutzten Maßnahmen.
Der Beitrag erschien erstmals online bei Perspektiven, dem Postbank eMagazin für Geschäfts- und Firmenkunden https://perspektiven.postbank.de/