Wie Nachhaltigkeit die Kapitalmärkte verändert

Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein vorübergehender Anlagetrend: Das einstige Nischenthema wird Unternehmen und somit die Kapitalmärkte langfristig prägen. Anleger sollten sich auf diese Entwicklung einstellen – nicht zuletzt aus Renditegesichtspunkten.

Ertrag, Sicherheit, Verfügbarkeit – diese Eckpunkte bilden seit jeher das magische Dreieck der Geldanlage. Je nachdem, welchen Stellenwert ein Anleger den einzelnen Investmentzielen beimisst, resultieren daraus unterschiedliche Anlagemöglichkeiten. Doch dieser klassische Dreiklang gerät ins Wanken. Denn ein viertes Investmentziel gewinnt zunehmend an Bedeutung: Nachhaltigkeit.

Umweltaspekte, soziale Faktoren und die Art und Weise der Unternehmensführung galten vielen bei der Auswahl von Investments lange Zeit als eher nebensächlich. Sogenannte ESG-Investments – E für Environment (Umwelt), S für Social (sozial), G für Governance (Unternehmensführung) – fristeten ein Schattendasein. In den vergangenen Jahren hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt. Nicht zuletzt durch das Pariser Abkommen von 2015 und die öffentlichen Diskussionen über den Klimawandel sind auch bei der Geldanlage ökologische Aspekte in den Vordergrund gerückt. Gleichzeitig gewann der Kampf gegen Ausbeutung, Rassismus und Ausgrenzung öffentlich an Bedeutung – während der Coronavirus-Pandemie scheinen die Forderungen nach der Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit weltweit noch einmal lauter geworden zu sein. Hinzu kommt der verstärkte politische Druck auf Unternehmen, mögliche Risiken aufgrund der Nicht-Einhaltung vom ESG-Kriterien klar offenzulegen.

Diese Entwicklungen haben auch auf die Kapitalmärkte ganz direkte Auswirkungen und betreffen alle Anlageklassen und Regionen. Viele Verbraucher weltweit dürften in Zukunft noch stärker Produkte und Dienstleistungen von solchen Unternehmen bevorzugen, die möglichst umweltschonend wirtschaften und die Diversität und Chancengleichheit fördern – also ihren eigenen Wertvorstellungen entsprechen. Entsprechend stark dürfte das Anlegerinteresse an solchen Unternehmen weiter zulegen. Nach Daten des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) hat sich das in nachhaltigen Investmentfonds investierte Kapital allein in Deutschland von September 2014 bis Herbst 2019 bereits auf mehr als 30 Milliarden Euro verdoppelt. Damit werden Umweltschutz und soziales Engagement für Unternehmen von der Kür zur Pflicht. Ähnliches gilt für eine gute Unternehmensführung. Ein Grund dafür: Zufriedene Mitarbeiter arbeiten engagierter, was sich positiv auf das Gesamtergebnis eines Unternehmens auswirken kann. Zudem können eine hohe Transparenz und bessere Kapitalallokationen das Risiko für Anleger verringern.

Und die Rendite? Das Vorurteil, nachhaltige Geldanlagen wären nur etwas fürs gute Gewissen aber nichts für die Wertentwicklung des Portfolios hat sich längst als falsch erwiesen. Vielmehr verhält es sich derzeit sogar oft andersherum. In Europa, wo das Bewusstsein für das Thema besonders groß ist, entwickeln sich nachhaltige Geldanlagen aktuell besser als ihre klassischen Pendants: Der Nachhaltigkeitsindex MSCI Europe ESG Leaders beispielsweise zeigt seit Jahresanfang 2020 eine um gut 4 Prozentpunkte bessere Wertentwicklung als der MSCI Europe. Das könnte als Indiz dafür herangezogen werden, dass Anleger gerade in turbulenten Marktphasen nachhaltige Geschäftsmodelle als besonders stabil einschätzen.

Es ist daher kein Wunder, dass der Wunsch von Vermögensverwaltern, Unternehmen im Rahmen ihrer Analysen mit einem ESG-Filter zu durchleuchten, 2020 noch einmal gestiegen ist. Dazu wird mittlerweile sogar künstliche Intelligenz eingesetzt, die etwa Zeitungsartikel auf entsprechende Nachhaltigkeitsinformationen durchsucht. Und auch die Unternehmen selbst veröffentlichen neben ihren Bilanzen zunehmend aufwändige Nachhaltigkeitsberichte.

Was bei alledem nach wie vor fehlt, ist eine klare und einheitliche Definition für „Nachhaltigkeit“ – trotz aller Bemühungen von zum Beispiel Ratingagenturen oder der Europäischen Union, Standards zu definieren. Darüber, dass die Produktion von Streuwaffen oder Kinderarbeit auszuschließen sind, herrscht ein allgemeiner Konsens. Schon bei Alkohol und Windkraft scheiden sich aber die Geister. ESG ist demnach nicht immer gleich ESG, sondern ein subjektives Thema: Je nach Auswahlkriterien kann ein Unternehmen in einem Fonds als nachhaltig gelten, in einem anderen Fonds dagegen nicht. Das bedeutet aber keinesfalls, dass ESG-Investments keine Berechtigung hätten. Im Gegenteil: Innerhalb des breiten Angebotsspektrums können Anleger vielmehr selbst definieren, was für sie ein nachhaltiges Investment im Kern ausmacht und entsprechende Schwerpunkte bei der Auswahl der einzelnen Geldanlagen setzen. Dann wird aus dem magischen Dreieck der Kapitalanlage ein zukunftsweisendes, nachhaltiges Quadrat.