Die gläserne Kohorte

Das Ende der „Third Party Cookies“, die die Ausspielung personalisierter Werbung ermöglichen, naht. Google und andere basteln schon an alternativen Lösungen, die mehr Datenschutz erlauben, aber dennoch personalisierte Werbung zulassen sollen. Was Werbetreibende im Netz künftig erwartet.

Ein Mensch in weißem T-Shirt vor einem großen Google-Logo

Mitte 2023, noch einmal später als ursprünglich geplant, will Google Schluss machen mit Third Party Cookies – und statt dessen per „FLoC“ personalisierte Online-Werbung ermöglichen. Doch der Widerstand wächst bereits. Foto: picture alliance / REUTERS | Aly Song

Mehr als 300-mal am Tag werden die persönlichen Daten jedes EU-Bürgers im Internet zum Verkauf angeboten. Das schätzt zumindest eine im Oktober 2021 im Auftrag der Grünen im Europäischen Parlament erschienene Studie von Autonomy. Auch wenn dies nur ein Durchschnittswert ist, zeigt er die Dimension des Geschäfts, das täglich auch mithilfe von „Third Party Cookies“ möglich wird (siehe Kasten: „Was sind Third Party Cookies?“). Damit soll es jetzt vorbei sein.

Das wünschen sich nicht nur Datenschützer, sondern auch Politiker und viele Konsumenten. Denn während ein First Party Cookie relativ unwissend ist, sammeln Third Party Cookies so viele Daten, dass ein umfassendes Profil erstellt werden kann. Bevor ein Werbekunde online einen Werbeplatz ersteigert, fragt er automatisiert Daten ab zu Geburtsjahr, Geschlecht, Ort, Interessen. Der offensichtliche Vorteil dieses Vorgehens: Werbung erreicht ihren Zielkunden besser, die Streuverluste sind deutlich geringer als bei einer Print- oder TV-Werbung. Auch die Internetnutzer selbst schätzen laut Adlucent-Studie von 2016 mehrheitlich (71 Prozent) personalisierte Werbung mehr als zufällige, oft als unpassend empfundene Werbung. Nur: Zugleich möchte einer Untersuchung des Norwegischen Consumer Councils zufolge die Hälfte der Nutzer nicht, dass Anzeigen auf persönlichen Daten basieren. Jeder Dritte setzt einen Adblocker ein, ebenso viele verzichten schon auf die Nutzung einiger Websites, damit keine Daten gesammelt werden können. Datenschützer und Politik fürchten zudem, dass Bürger manipuliert werden können.

Was sind Third Party Cookies?

Cookies dienen grundsätzlich der Speicherung von Daten beim Surfen im Internet, ohne dass der Nutzer direkt aktiv werden muss. So erkennt eine Website, wer schon einmal zu Besuch war, und kann zum Beispiel die Produkte im Warenkorb anzeigen. Bei First Party Cookies setzt und erkennt nur der Betreiber einer Website den Besucher, wenn dieser auf die Seite zurückkehrt. Das Third Party Cookie stammt hingegen von einem anderen Anbieter, oftmals einem Adserver. Dieser sammelt die Daten des Internetnutzers und speichert beispielsweise, für welche Inhalte auf der Website er sich interessiert hat. Interessant wird es dann, wenn derselbe Adserver auf vielen weiteren Seiten seine Cookies ausspielen und damit ein personalisiertes „Bewegungsprofil“ über unterschiedliche Websites erstellen kann – und das über einen längeren Zeitraum auch ohne explizite Anmeldung durch den Benutzer der Websites. Der Adserver nutzt diese Daten, um den angeschlossenen Werbekunden ein möglichst genaues Bild vom gerade auf der Website angekommenen Besucher vermitteln zu können. Dann wird in Echtzeit und vollautomatisiert das jeweilige Profil versteigert, bevor eine Anzeige angezeigt wird. Darum werden unterschiedlichen Personen unterschiedliche Anzeigenmotive ausgespielt.

AdBlocker, Cookie-Abfrage – oder: Wie Hase und Igel

Seit Jahren versuchen sowohl Regulatoren als auch Technikkonzerne, die ein Geschäft mit dem Datenschutz machen (wollen), der Datensammelwut Grenzen zu setzen. So ist es – je nach Abhängigkeit des Geschäftsmodells vom Werbemarkt – zu einem Wettstreit der Big-Tech-Konzerne im Bereich Datenschutz gekommen: Apples Geschäft ist bislang deutlich weniger werbebasiert als das von Facebook oder auch Google. Adblocker, Inkognito-Modus und Einverständniserklärungen der Nutzer sind dabei die offensichtlichsten Instrumente. Doch die Werbebranche reagiert: Wer einen Werbeblocker einsetzt, kann bestimmte Seiten nicht mehr nutzen; Opt-outs sind oft nur mühsam auszuwählen – weshalb ein Großteil der Nutzer genervt auf „Zustimmung“ klickt, um die unzähligen Cookie-Hinweis-Banner schnell verschwinden zu lassen. Allen Hindernissen zum Trotz wächst der Werbemarkt im Internet weiter. Allein das Werbeumfeld „Internetsuche“ erreicht wohl bald ein Werbevolumen wie TV-Werbung; Social Media, Online-Video und E-Commerce kommen noch hinzu.

Alternativen zum persönlichen Cookie

Unter einem Verbot von Third Party Cookies werden viele Unternehmen leiden: Angefangen bei den Werbekunden selbst, die über die Cookies nicht nur ihre Zielgruppe genauer ansteuern können, sondern auch mehr über ihre eigenen Kunden oder Interessierte erfahren. Hinzu kommen Werbeagenturen, Anzeigenvermittler, die Betreiber von Ad-Servern und alle Inhalteanbieter, die mit dem Ausspielen von Werbung selbst Geld verdienen – wie Online-Medien. Vor allem aber wird es Google betreffen: In der Wertschöpfungskette des automatisierten Versteigern von Anzeigenausspielungen hält der Tech-Konzern einen Marktanteil von 50 bis 90 Prozent, heißt es im Marktreport der UK Competition and Market Authority.

„Googles Ziel: keine personalisierten Daten mehr sammeln, trotzdem passgenaue Werbung anbieten können.“

Darum arbeitet Google bereits seit Jahren intensiv an Alternativen zum Third Party Cookie. Das Ziel: keine personalisierten Daten mehr zu sammeln, trotzdem passgenaue Werbung anbieten zu können. Die Lösung soll FLoC (Federated Learning of Cohorts) bieten – allerdings wird der Marktstart immer wieder verschoben. Frühestens Ende 2022 wird es so weit sein; Third Party Cookies sollen nach dem Willen von Google mindestens noch bis Mitte 2023 genutzt werden können. Bei FLoC sollen Einzelpersonen künftig Kohorten zugeordnet, also nicht mehr individuell erfasst werden. Der gemeinsame Nenner einer Kohorte kann beispielsweise das Interesse an Automobilen sein oder auch der Besuch einer bestimmten Website. Allerdings stieß auch dieser Ansatz auf lauten Widerstand von Datenschützern, einige wichtige Akteure im Internet wie Wordpress kündigten ihren Boykott an. Google, so die Kritik, sammle weiter persönliche Daten, auch wenn diese nun anders aggregiert würden. Am Hauptproblem, der personalisierten Werbung an sich und möglicher Manipulation des Einzelnen, ändere sich wenig.

Andere Anbieter setzen auf die explizite Einwilligung zu personalisierter Werbung. So hat der US-Werbetech-Anbieter The Trade Desk gemeinsam unter anderen mit der „Washington Post“ und dem Werbekonzern Publicis die Initiative „Unified ID 2.0“ entwickelt. Beim Erstkontakt zum Beispiel mit der Website der „Washington Post“ soll sich der Nutzer anmelden und die Einwilligung zu personalisierter Werbung geben. Statt Cookies werden die anonymisierten E-Mail-Adressen genutzt, um über unterschiedliche – an „Unified ID 2.0“ angeschlossene – Websites persönliche Informationen zu erfassen. Auch andere Initiativen setzen auf die Identifikation, in Deutschland beispielsweise NetID, hinter der RTL, ProSieben Sat.1 und United Internet stehen. Doch auch bei den ID-Verfahren gibt es bereits Kritiker. So hat ausgerechnet Google angekündigt, keine persönlichen Identifikationsmöglichkeiten mehr im Google-Webbrowser Chrome zuzulassen, wenn es auch keine Third Party Cookies mehr gibt. Außerdem bleibt abzuwarten, wie viele Nutzer aktiv bereit sein werden, sich zu registrieren. Das wird sicherlich davon abhängen, wie hoch der Nutzen für sie sein wird, ihre Daten für Inhalte preiszugeben.

Zurück auf Start: Der Kontext entscheidet

Doch auch die Abkehr von persönlichen bzw. aggregierten Profilen findet statt: die Rückkehr zu kontextueller Werbung, allgemein auch Umfeldwerbung genannt. Turnschuhe werden auf der Website der Sportzeitung beworben, Reisen beim Hotel-Bewertungsportal. Doch nicht nur Inhalte, auch wahrscheinliche Emotionen und Grundstimmung (negativer oder positiver Kontext?) sollen erfasst werden. Einer Studie von Big Market Research zufolge soll sich der Markt für Umfeldwerbung von 106 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 bis 2025 beinahe vervierfachen. Allerdings könnte es auch hierbei die Möglichkeit einer Echtzeitversteigerung von Werbeplätzen geben. Die Bieter erfahren aber nicht, wer sich die Seite anschaut, sondern nur, worum es auf der Seite geht. Damit dieses Verfahren möglichst streuverlustarm bleibt, müsste es allerdings eine Vielzahl sehr spezieller Inhalte geben.

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so groß wie 2017 soll der Umsatz mit Umfeldwerbung 2025 sein.

In einigen Marktsegmenten wie zum Beispiel Reisen soll der kontextuelle Ansatz bereits besser funktionieren als das nutzerbasierte Targeting. Einer aktuellen Befragung des internationalen Wirtschaftsverbands der Onlinewerbebranche IAB Europe zufolge halten bereits 74 Prozent der Befragten Kontextwerbung für eine der wichtigsten Strategien nach dem Ende von Third Party Cookies. Zwei Drittel der Werbekunden wollen, so berichtet das Customer Data Platform Institute, ihr Werbebudget in dem Bereich erhöhen. Auch bei den Konsumenten kommt es offensichtlich an, dass die Werbung passend zum angezeigten Inhalt angezeigt wird.

Was bleibt, was kommt

Daneben gibt es noch weitere Ansätze, doch führen diese bislang ein Nischendasein: Der Webbrowser Brave beispielsweise entfernt jegliche externe Werbung, spielt dafür aber eigene Werbung ein – und teilt sich die Erlöse daraus mit dem Nutzer. Bessere Wachstumsaussichten dürften da Ansätze wie „Global Privacy Control“ (GPC) oder „Advanced Data Protection Control“ (ADPC) haben, eine Wiederkehr des eigentlich schon abgewickelten „Do not Track“-Ansatzes: Der User legt einmal fest, welche Daten er von sich preiszugeben bereit ist. So entfällt der Aufwand, das für jede Seite einzeln zu definieren. Beim „Parakeet“-Modell von Microsoft wiederum steht ein „vertrauenswürdiger“ Server zwischen Nutzer und Werbeplattform, der zwar die Nutzer eindeutig zuordnen kann, sie aber anonymisiert und sie – wie im Fall von FLoC von Google – Kohorten zuordnet.

Noch ist unklar, welcher Ansatz sich am Ende durchsetzen wird. Doch mit der Abschaffung von Third Party Cookies wird es für Werbetreibende erst einmal schwieriger. Umfeldbasierte Werbung dürfte in einigen Produkt- und Dienstleistungsbereichen enge Grenzen haben; beispielsweise könnte es Werbung für Herrenbekleidung schwerer haben, inhaltliche Umfelder in ausreichendem Maß zu finden, ohne in frühere Ungenauigkeiten aus der Print-Zeit zurückzufallen. Vorteile dürften hingegen all jene Werbenden haben, die selbst über starke Präsenzen im Internet verfügen und daher First Party Cookies einsetzen können oder es sogar schaffen, attraktiv genug für eine Registrierung des Nutzers zu sein. Auch wenn erst in knapp zwei Jahren das Ende der Third Party Cookies gekommen sein dürfte, sollten sich Unternehmen jetzt schon eine Strategie überlegen, diesen Verlust zu kompensieren.

11/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.