Der unentdeckte Schatz

Nirgends lässt sich so schnell Liquidität heben wie im eigenen Betrieb. Doch gerade mittelständische Unternehmen binden zu viel Kapital in ihren Abläufen. Mit ein paar Optimierungen erschließen sie eine wichtige Finanzierungsquelle

TEXT: STEPHAN SCHLOTE

Der unentdeckte Schatz

Nirgends lässt sich so schnell Liquidität heben wie im eigenen Betrieb. Mit ein paar Optimierungen erschließen sich Unternehmen eine wichtige Finanzierungsquelle FOTO: GP KIDD/GETTY IMAGES

Muss man für seinen Einkauf ins Auto steigen und vor die Tore der Stadt fahren? Muss man nicht. Doch viele, sehr viele sogar wollen das dennoch. Sie fahren zum Dodenhof nach Posthausen, rund eine halbe Stunde östlich von Bremen. Dort, auf einem riesigen Areal mit Autobahnanschluss, ist eine ganze Einkaufswelt entstanden – erfunden von einem Familienunternehmen, das in vier Generationen von einem kleinen Gemischtwarenladen zum größten Shoppingcenter Norddeutschlands heranwuchs, ein Ableger nördlich von Hamburg inklusive. Dodenhof ist beliebt, am Wochenende ist vor der Einkaufsstadt mitunter nur mit Mühe ein Parkplatz zu finden. Hier ist alles glitzernd neu, praktisch ständig investiert die Handelsfamilie in ihre Einkaufswelt auf der grünen Wiese. „Wir bauen eigentlich immer irgendwo“, sagt Finanzchef Thomas Hampel.

Doch während andere sich dafür tief verschulden müssen, haben die Dodenhofs praktisch jede Investition ohne nennenswerte Kredite finanziert. „Wir stemmen fast alles aus dem Cashflow“, sagt der Finanzmann. 2010 kam Hampel ins Unternehmen, und eine seiner ersten Maßnahmen war die Einführung eines zentralen Cash Poolings. Seither kann er die oftmals sehr kurzfristigen Cash-Schwankungen zwischen den rund 15 verschiedenen Dodenhof-Gesellschaften gut ausgleichen und die Finanzmittel innerhalb des Unternehmens besser nutzen. Zweite Maßnahme: Wegen der aktuell niedrigen Zinsen baute Hampel 2014 die alten langfristigen Verbindlichkeiten mit ihren hohen Zinsen komplett ab. Zu teuer, raus damit.

Unternehmen wie Dodenhof zeigen, welche finanziellen Möglichkeiten sich in den betrieblichen Abläufen verstecken. Sie investieren und finanzieren, ohne dabei einen Kredit in Anspruch nehmen zu müssen. „Innenfinanzierung“ heißt das auf Deutsch, „Working Capital Management“ für die, die es lieber englisch mögen. „Deutsche Unternehmen haben das Thema häufig nicht auf dem Radar“, sagt Joachim Englert, Finanzierungsexperte beim Wirtschaftsprüfer und Berater PwC in Frankfurt am Main.

Thesen

  • Schätze heben: In den meisten Unternehmen ist unerschlossene Liquidität vorhanden, die durch geschicktes Management gehoben werden kann. Wer Bestände, Forderungen und Verbindlichkeiten effizient und vor allem kapitalschonend steuert, braucht weniger Finanzierung von außen.
    • Werkzeuge nutzen: Monitoring ist der erste Schritt. Wer weiß, wo das Geld steckt, kann etwa durch Cash Pooling Zahlungsströme richtig lenken. Auch der Forderungsverkauf sorgt dafür, dass Geld schneller ins Unternehmen fließt.
    Dodenhof: Geld aus dem Cashflow

    FOTO: DODENHOF POSTHAUSEN KG

    Dodenhof: Geld aus dem Cashflow

    Mit seinen beiden Einkaufsstädten bei Bremen und Hamburg ist Dodenhof vielen Menschen in Norddeutschland ein Begriff. Allerdings erfordern die glitzernden Shoppingwelten auch hohe und permanente Investitionen. Große Kredite braucht das Familienunternehmen dafür jedoch nicht. Per täglichem Cash Management kann Finanzchef Thomas Hampel seine oftmals auf viele verschiedene Gesellschaften verteilte Liquidität optimal nutzen. Und finanziert so praktisch alles ganz locker aus dem Cashflow.

    Mit seiner Kritik ist er nicht allein: „Viele Familienunternehmen sind hochinnovativ“, sagt Patrik Pohl, bei der Deutschen Bank zuständig für Produktlösungen im Mittelstand, „doch beim Liquiditätsmanagement bleiben sie old school“ (siehe Interview). Und das heißt: Diese Unternehmen binden unnötig viel Kapital.

    Nachholbedarf für Unternehmen

    Es sind ausgerechnet die wirtschaftlich so erfolgreichen Deutschen, die beim Thema Working Capital das Schlusslicht bilden. So untersuchen die PwC-Berater alljährlich in einer Studie („Cash for Growth“) den Kapitaleinsatz von Unternehmen aus der gesamten Welt. Ergebnis: Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz benötigen ein Working Capital von 20 Prozent des Umsatzes. Es ist die höchste Quote, verglichen mit Unternehmen aus allen anderen Ländern. Dabei liegen die Vorteile, das eigene Working Capital auch in Zeiten niedriger Zinsen zu optimieren, eigentlich auf der Hand: Bündelung aller Guthaben, tagesaktueller Ausgleich aller negativen Salden, bessere Übersicht, höhere Liquidität, geringerer Fremdmittelbedarf und damit weniger Kredite, bessere Bilanzkennzahlen und letztlich auch ein positiveres Rating. Und ein schlichtweg geringeres Insolvenzrisiko. So hat die Wirtschaftsauskunftei Creditreform schon vor Jahren in einer Studie die Ursachen von Pleiten untersucht.

    Heuking: Einnahmen in den Pool

    FOTO: HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

    Heuking: Einnahmen in den Pool

    Brauchen Rechtsanwälte einen Liquiditätsmanager? Diese hier schon. Die Wirtschaftskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek beschäftigt über 300 Anwälte und zählt damit zur Top Ten ihrer Art. Da kommt so einiges an Honorareinnahmen zusammen. Heuking-Finanzleiter Jörg Zick sammelt täglich die Einnahmen aller Standorte ein und bündelt sie zentral am Düsseldorfer Stammsitz. Und weil sich die führenden Heuking-Anwälte auch als Unternehmer verstehen, weiß damit jeder Partner praktisch täglich, wie sich die eigene Arbeit bezahlt macht.

    Insolvenzursache Nummer 1: Forderungsausfälle, Nummer 2: schlechte Zahlungsmoral der Kunden. Beides hat direkt mit der eigenen Liquidität zu tun. Kommentar des Deutsche Bank Experten Pohl: „Unternehmen gehen nicht wegen Überschuldung in die Insolvenz, sondern fast immer wegen Illiquidität.“

    Working Capital als Managementthema

    Genau hier, bei der Verbesserung der Liquidität, setzt Working Capital Management an, genau darum kann es für Unternehmen buchstäblich lebensrettend sein. Es gilt, Bestände, Forderungen und Verbindlichkeiten kapitalschonend zu steuern und damit mögliche Liquiditätslücken zu schließen. Wie viel Finanzmittel ein Unternehmen für seinen laufenden Betrieb benötigt und wie viel Kapital hierdurch gebunden ist, lässt sich leicht errechnen: Die Höhe des Working Capital ist, etwas vereinfacht, die Differenz zwischen kurzfristigem Vermögen, dem sogenannten Umlaufvermögen, und kurzfristigen Verbindlichkeiten. Dabei ist das Management des Working Capital weit mehr als ein reines Finanzthema, sondern sogar „ein zentraler Hinweis auf gutes Management“, so eines der Ergebnisse der PwC-Studie. Denn wer Liquidität aus seinen Abläufen schöpft, verbessert automatisch die betreffenden Prozesse. Ergebnis: Das Unternehmen wird gesamthaft optimiert.

    „Wer kein Cash Management hat, wird’s bereuen“, sagt kurz und knapp Jörg Zick, Finanzleiter der renommierten Wirtschaftskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Zick lässt von den acht deutschen Büros jeden Abend die Honorareingangskonten übertragen und bündelt alle Einnahmen am Düsseldorfer Stammsitz. Das schafft bei jährlich über 30 000 Zahlungseingängen maximale Transparenz für alle Entscheider. Täglich erhält das Heuking-Management per Mail eine Art Wasserstandsmeldung zur Liquidität. Zudem erfährt jeder Partner umgehend, wann sein Mandant bezahlt hat. Dank des optimierten und etablierten Cash Managements bei Heuking Kühn Lüer Wojtek kann die international aufgestellte Großkanzlei flexibel agieren bei Finanzierungen und jederzeit auch über Gewinnabschläge für Partner entscheiden. Wenn gutes Liquiditätsmanagement schon für eine Kanzlei sinnvoll ist, gilt dies für Produktionsbetriebe umso mehr. Denn vom Einkauf über die Produktion bis zum Verkauf hängen oftmals gigantische Beträge im Unternehmen fest. Wie das konkret funktioniert? Ganz einfach. Der erste Schritt ist , einen Überblick zu erhalten über Zahlungsströme, Zahlungsziele, Forderungen und Verbindlichkeiten, Währungen, Handelsländer, Lagerbestände, Cashflow. Dabei werden alle Zahlungsströme erfasst – die laufenden genauso wie die zukünftigen. Ergebnis: jederzeitige Zahlungsfähigkeit plus frühzeitiges Erkennen von Liquiditätsrisiken. Der Kreditbedarf sinkt, Bilanzrelationen und Rating verbessern sich.

    Der nächste Schritt ist dann die Optimierung des Zahlungsverkehrs und der Kontenstruktur, Stichwort Cash Pooling bei Dodenhof. Eine gute Bank kann hier die Funktion eines Treasurers übernehmen und Spitzen glätten. Vor allem aber bei international tätigen Unternehmen mit einer Vielzahl von Konten lohnt sich ein „Zusammenziehen der Liquiditätstöpfe“, sagt Ute Kohl, Zahlungsverkehrs-Expertin bei der Deutschen Bank. „Braucht es in jedem Land fünf Konten bei fünf Banken?“ Eher nicht. Kohls Rat klingt wie beim Aufräumen: „Achten Sie darauf, dass nichts unnötig rumliegt.“ Auch die Zahlungsziele sollten auf den Prüfstand. So werden die aktuell niedrigen Zinsen nach Einschätzung der Working-Capital-Expertin Nina Luh von der Wiener Beratung Schwabe, Ley & Greiner viel zu wenig genutzt, um bei den eigenen Lieferanten längere Zahlungsziele zu verhandeln. Luh empfiehlt zudem, auch den Kunden lieber ein längeres Ziel einzuräumen als Skonto zu geben. So habe beim heutigen Zinsniveau eine Skontogewährung von einem Prozent die gleiche Ergebnisauswirkung wie ein Zahlungsziel von 730 Tagen.

    Cash Pooling für Firmenkunden

    Cash Pooling ist ein Angebot zur voll automatisierten Liquiditätskonzentration über Deutsche Bank Konten des Kunden im In- und Ausland. Ein Unternehmen führt mehrere Konten beispielsweise in Euro bei verschiedenen Filialen der Deutschen Bank. Diese Konten können entweder operative Konten oder Zielkonten einer Liquiditätskonzentration sein. An jedem Ausführungstag werden die Guthaben aller Ursprungskonten durch Cash Pooling auf das zentrale Zielkonto übertragen. Negative Salden werden andererseits durch Deckungszahlungen vom Zielkonto abgedeckt, sodass im Endergebnis die Salden der Ursprungskonten auf null stehen.

    Faist: Zahlungsziele verkürzen

    FOTO: GEORG DREXEL/FAIST ANLAGENBAU GMBH

    Faist: Zahlungsziele verkürzen

    Lautes leise zu machen ist das Kerngeschäft des Anlagenbauers Faist. Das Unternehmen liefert weltweit Schallschutzsysteme, etwa für Turbinen oder Karosseriepressen. Uwe Maischatz, kaufmännischer Geschäftsführer, hat es dabei mit selbstbewussten Kunden zu tun. Und die fordern sehr lange Zahlungsziele. Im Projektgeschäft, wo ohnehin alles vorfinanziert werden muss, wird das schnell ziemlich teuer. Die Lösung: Faist verkauft einen Teil seiner Forderungen, sogar mit Laufzeiten bis zu 18 Monaten, an die Deutsche Bank. Und hat das Geld zwei Tage später auf dem Konto.

    Und so gibt es für jede Wertschöpfungsstufe Möglichkeiten zur Optimierung. Im Einkauf die Lieferantenfinanzierung, in der Produktion etwa eine sogenannte transaktionsbasierte Finanzierung, im Vertrieb der Forderungsverkauf oder Supplier Financing. Gerade der Forderungsverkauf ist inzwischen ein gängiges Instrument im Mittelstand. So vermeldet der Deutsche Factoring-Verband allein für 2014 einen zweistelligen Zuwachs. Wie so etwas erfolgreich geht, zeigt das Beispiel des bayerischen Anlagenbauers Faist. Das mehr als 100 Jahre alte Familienunternehmen produziert unter anderem Schallschutzsysteme für Gasturbinen oder Karosseriepressen. Mit einer Exportquote von 90 Prozent liefern die Krumbacher weltweit.

    Gerade die langjährigen guten Kundenbeziehungen erfordern ein gesundes Augenmaß – auch wenn Zahlungsziele von über 60 Tagen mitunter erwartet werden. Bis die Rechnung gestellt werden kann, läuft das Projekt teilweise bereits fünf Monate. Es ist ein extrem schwankendes Projektgeschäft, das da finanziell verarbeitet werden muss. „Das sind die Spielregeln im Markt“, sagt Uwe Maischatz, der kaufmännische Geschäftsführer. Es sind Spielregeln, bei denen nur noch starke Zulieferer wie Faist mitspielen können. Dennoch sind diese Regeln für ein Familienunternehmen schwer zu stemmen. Und riskant. 2013 entschied sich Maischatz gegen das Risiko. Seitdem verkauft er über die Hälfte seiner Forderungen an die Deutsche Bank. Das brachte ihm nicht nur günstigere Bilanzrelationen, sondern auch die Möglichkeit, seine Verbindlichkeiten schneller und damit günstiger zu bezahlen. Klar, dieser Service kostet. Doch gerade für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Rating gilt: Günstiger als ein Kredit ist der Forderungsverkauf fast immer. Seine Erfahrung: „Ich würde das jedem Unternehmer raten, der in einem zyklischen Geschäft mit langen Zielen unterwegs ist.“ Vom monatelangen Warten auf das Geld ist keine Rede mehr. Schon zwei Tage nach Rechnungsstellung ist das Geld auf dem Konto. Und nicht mehr erst nach Monaten.

    Weitere Informationen
    Ute Kohl, Leiterin Cash Management Privat- und Firmenkundenbank bei der Deutschen Bank, E-Mail ute.kohl@db.com
    Website mit Infos über Liquiditätsmanagement: www.deutsche-bank.de/gtb

    „Finanzierung aus eigener Kraft“

    FOTO: DEUTSCHE BANK AG

    „Finanzierung aus eigener Kraft“

    Patrik Pohl leitet bei der Deutschen Bank den Bereich Produkte Mittelstand 

    Herr Pohl, Sie werben dafür, dass Unternehmen ihr Working Capital besser nutzen sollen, um flexibler finanzieren zu können. Dabei sind die Zinsen doch gerade so niedrig wie noch nie. Lohnt das denn die Mühe?
    Auf alle Fälle. Ich kann nur jedem Unternehmer raten, sich von den niedrigen Zinsen nicht blenden zu lassen. Die Zinsen werden wieder steigen, und wer sich dann an dieses Niveau gewöhnt hat, den wird es hart treffen. Besser ist doch, die internen Finanzierungsquellen schon heute optimal zu nutzen. Das sollte die allererste Form der Mittelbeschaffung sein! Working Capital Management ist eine der wichtigsten Finanzierungsquellen für Unternehmen – genauso wie ein Barkredit.

    Klingt irgendwie überraschend.
    Das ist ja der Punkt. Das Thema Innenfinanzierung wird von ganz vielen Unternehmen komplett unterschätzt Gerade kleineren Betrieben ohne eigenen CFO ist etwa ein aktives Liquiditätsmanagement nicht bekannt. Dabei lohnt sich das wirklich. Wenn wir mit einem Kunden neu in das Thema einsteigen, finden wir eigentlich immer Optimierungspotenzial. Und das ist bares Geld.

    Das heißt, der Kundenberater hilft aktiv mit.
    Aber ja. Wir analysieren alle Zahlungsströme und machen eine Art Bestandsaufnahme. Da sehen wir uns als strategischen Partner. Und praktisch immer ist das Ergebnis aus einer optimierten Liquiditätsplanung und -steuerung, dass dem Unternehmen aus eigener Kraft neue Mittel zufließen. Wir können die Finanzierung damit besser strukturieren. Und ein zusätzlicher Barkredit wird dann mitunter nicht mehr benötigt.

    Einige Unternehmensberater empfehlen, in der Niedrigzinsphase kein Skonto zu nehmen, sondern die Lieferanten lieber um längere Zahlungsziele zu bitten.
    Rein rechnerisch stimmt das zunächst im aktuellen Zinsumfeld. Aber ich wäre da vorsichtig. Damit machen diese Unternehmen ihre Lieferanten zum Gelddepot – mit allen entsprechenden Ausfallrisiken. Und solange das Geld nicht auf dem Konto ist, können Sie damit auch nicht arbeiten.

    Video: Working Capital Management – Best Practice in Unternehmen

    Video: Working Capital Management – Best Practice in Unternehmen

    results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 3-2015