
Sparstrumpf XXL: Finanzieren Deutschlands Bürger unsere Wirtschaft?
Die Haushalte in Deutschland besitzen fast neun Billionen Euro Finanzvermögen. Wo genau steckt all das Geld? Und mit welchem Anlageprodukt stiften die Sparer den größten Nutzen für die deutsche Wirtschaft? Ein tiefer Blick in die Zahlen fördert Erstaunliches zutage.

Über 50 Meter lang ist dieser wohl größte Sparstrumpf aller Zeiten, den fleißige Seniorinnen 1998 in Thüringen gestrickt haben. Foto: picture-alliance/ZB/ Ralf Hirschberger
Eine gewaltige Zahl: 8,8 Billionen Euro. So groß war nach Daten der Europäischen Zentralbank Ende Juni vergangenen Jahres das Finanzvermögen privater Haushalte in Deutschland. Das ist mehr als doppelt so viel wie das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands und sogar mehr als hundertmal so viel wie der Jahresumsatz von Siemens. Würden alle Menschen in Deutschland ihr Sparvermögen zusammenlegen, könnten sie davon jedem der fast 500 Kunstmuseen Deutschlands 40-mal das teuerste Gemälde der Welt kaufen, einen Leonardo da Vinci, der 2017 für 450 Millionen US-Dollar den Besitzer wechselte.
Jeder zweite Euro steckt im Kapitalmarkt
Die 8,8 Billionen Euro enthalten Bargeld und Bankeinlagen (zum Beispiel auf Giro-, Tages- und Festgeldkonten), Bestände an Aktien, Anleihen und Investmentfonds sowie Lebensversicherungen und Einzahlungen in Pensionskassen. Nahezu 550 Milliarden Euro sind in Bargeld gebunden. Der Löwenanteil steckt mit 3,4 Billionen Euro jedoch in Bankeinlagen. Und das dürfte noch lange so bleiben, schließlich floss nach einer Delle während der Nullzinsphase in der ersten Jahreshälfte 2024 mehr Geld denn je vor allem in wieder ordentlich verzinste Termingelder. Anleihen zogen hauptsächlich 2023 viele Spargelder an, im Gegenzug beendete die Zinswende Ende 2022 den kurzen Boom bei Aktien und Investmentfonds. Lebensversicherungen und Pensionskassen verzeichnen schon seit 2020 durchgängig deutlich geringere Neuzuflüsse als in der Vergangenheit.
„In ihrem Risikomanagement mitigieren die Banken die aus der Fristentransformation entstehenden Risiken.“
Olaf Stotz, Frankfurt School of Finance & Management
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In Summe ist das Finanzvermögen der Haushalte in Deutschland so verteilt: Mehr als ein Drittel ist in Einlagen und Bargeld gebunden. Inklusive des Aktienanteils von Investmentfonds dürfte das Aktienvermögen etwa 1,5 Billionen Euro erreichen (rund 17 Prozent des Gesamtvermögens), Beteiligungen an Personengesellschaften machen weitere 850 Milliarden Euro aus (Anteil: 9,5 Prozent). Anleihen – direkt und über Fonds gehalten – belaufen sich auf weniger als fünf Prozent. Damit sind etwa 22 Prozent des Gesamtvermögens über Aktien, Anleihen und Fonds am Kapitalmarkt investiert. Hinzu kommen aber noch jeweils 1,2 Billionen Euro (zusammen ein Anteil von 28 Prozent), die in Pensionsfonds und Lebensversicherungen stecken. Diese Kapitalsammelstellen investieren ihre Gelder überwiegend ebenfalls am Kapitalmarkt, wenn auch recht einseitig: Lebensversicherungen zum Beispiel waren im Herbst 2024 zu 78 Prozent in Anleihen investiert und nur zu 16 Prozent in Aktien und sonstigen Unternehmensbeteiligungen wie etwa Private-Equity-Investments. Summa summarum ist also knapp die Hälfte der Privatvermögen in Deutschland direkt oder indirekt am Kapitalmarkt angelegt.
So verteilt der Kapitalmarkt die Spargelder …
Dies relativiert die landläufige These, dass Sparer in Deutschland die Renditechancen des Kapitalmarkts an sich vorbeiziehen lassen. Laut Heike Mai, Analystin bei Deutsche Bank Research, unterscheiden sich die Deutschen bei ihrer Vermögensaufteilung – sieht man einmal von Immobilien ab – wenig von ihren Nachbarn. „Die Risikobereitschaft bei der Vermögensallokation ist in anderen europäischen Ländern gar nicht so viel anders als in Deutschland“, sagt Mai und verweist auf eine Studie von Deutsche Bank Research, die schon im Jahr 2018 zeigte, dass bei Sparern in Deutschland der Anteil an Einlagen und Bargeld zwar etwas höher liegt als in Großbritannien, aber ähnlich hoch wie in Frankreich, Italien und Spanien. Auch die Vermögensanteile mit höheren Risiken und Renditechancen – Anlagen in Investmentfonds und Aktien – unterscheiden sich zwischen den großen Ländern in Europa nur unwesentlich.
3,4 Billionen Euro
Halten die Deutschen als Bankeinlagen
Inwiefern trägt diese Vermögensaufteilung nun zu einer positiven Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland und Europa bei? Schauen wir uns zunächst die Hälfte der Sparvermögen an, die am Kapitalmarkt arbeitet. Die Gelder am Anleihemarkt fließen an Staaten und Unternehmen, während Aktieninvestments ausschließlich an Unternehmen gehen. Da es jedoch – gemessen am Gesamtbestand – netto nur wenig Neuemissionen von Aktien und Anleihen gibt, führen Zuflüsse in diese Anlageklassen zum größten Teil freilich nicht zu mehr Geld für die Unternehmen. Stattdessen steigen die Kurse ihrer Aktien und Anleihen, was im positiven Fall lediglich ihre künftigen Finanzierungskosten leicht reduziert.
Und in welche Regionen fließt das Geld? Die EZB erfasst regelmäßig das Investitionsverhalten von Investmentfonds, die in der Eurozone registriert sind. Diese Fonds investierten im Anleihebereich zuletzt knapp 48 Prozent ihrer Gelder in Emittenten aus der Eurozone. Im Aktienbereich liegt der Euroanteil sogar deutlich darunter – bei 32 Prozent. Zu zwei Dritteln investieren Aktienfonds also in Unternehmen, die außerhalb der Eurozone sitzen, hauptsächlich in den USA. Auf US-Unternehmen allein entfallen 40 Prozent und damit mehr als auf börsennotierte Unternehmen aus dem gesamten Euroraum.
… und so machen es die Banken
Von den Bankeinlagen dürfte im Vergleich ein deutlich höherer Prozentsatz direkt oder indirekt an lokale Unternehmen und Konsumenten gehen, und zwar im Wege der Kreditvergabe, schließlich bringen Banken einen nennenswerten Teil ihrer Kundeneinlagen über diesen Weg ins Arbeiten.
Werfen wir exemplarisch einen Blick in die Bilanz der Deutschen Bank per Ende 2023. Dort standen Kundeneinlagen in Höhe von 531 Milliarden Euro zu Buche, davon 291 Milliarden Euro von Unternehmens und 240 Milliarden Euro von Privatkunden. 56 Prozent davon waren „jederzeit“ fällig. Dahinter verbergen sich Giro- und Tagesgeldkonten. Weitere 36 Prozent der Einlagen waren zwischen zwei Tagen und sechs Monaten fällig.

Das klassische Geschäftsmodell von Banken ist die Fristentransformation, das langfristige Verleihen kurzfristiger Einlagen. Wie dies in der Praxis aussieht, lässt sich anhand der Bilanz der Deutschen Bank gut erkennen: Während 92 Prozent der Einlagen eine Laufzeit von unter sechs Monaten haben, reduziert sich dieser kurzfristige Anteil bei den Ausleihungen bis auf 21 Prozent. Der Schwerpunkt der Unternehmenskredite liegt mit 74,2 Milliarden Euro bei einer Laufzeit von zwei bis fünf Jahren, bei den Krediten an Privatkunden sogar bei mehr als fünf Jahren (168,2 Milliarden Euro) – die klassischen Immobilienfinanzierungen.
Fristentransformation und Risikomanagement
Zugleich erkennt man, dass die Deutsche Bank die Fristentransformation mit gleich zwei Risikopuffern unterlegt hat: Zum einen liegen die gesamten Ausleihungen um 63 Milliarden Euro niedriger als die Einlagen, zum anderen „parkte“ die Deutsche Bank Ende 2023 satte 165 Milliarden Euro in jederzeit verfügbaren Barreserven und Zentralbankeinlagen – also so, dass auch sie jederzeit über diese Mittel hätte verfügen können.
„In ihrem Risikomanagement mitigieren die Banken die aus der Fristentransformation entstehenden Risiken“, erklärt Olaf Stotz, der sich als Professor an der Frankfurt School of Finance & Management unter anderem mit dem Asset-Management von Banken befasst. „Sollte infolge eines schnellen Abzugs von kurzfristigen Kundeneinlagen unerwarteter Liquiditätsbedarf entstehen, haben Banken darüber hinaus auch noch die Möglichkeit, sich über den Interbankenmarkt oder über die Notenbanken kurzfristig Liquidität zu beschaffen.“ Ein ausgeklügeltes Risikomanagement macht das Geschäftsmodell der Fristentransformation also erst möglich – und damit auch die Umwandlung von jederzeit abrufbaren Sichteinlagen in langfristige Kredite für Firmen- und Privatkunden.
"Die Risikobereitschaft bei der Vermögensallokation ist in anderen europäischen Ländern gar nicht so viel anders als in Deutschland."
Heike Mai, Deutsche Bank Research
In aller Regel vergeben Banken den größten Teil ihrer Einlagen wieder in jener Region als Kredite, aus der die Einlagen stammen. Dies lässt darauf schließen, dass tatsächlich die vermeintlich langweiligen Sichteinlagen der Sparer direkter und in größerem Umfang in die Wirtschaft ihrer Region fließen als bei Kapitalmarkt-Investitionen. Und so kann man zu einer durchaus überraschenden Schlussfolgerung kommen: Je konservativer die Menschen in Deutschland ihr Vermögen anlegen, desto besser ist es für die deutsche Wirtschaft. Zumindest solange die Menschen in Deutschland in ihrer Finanzierung weiterhin so stark auf Banken vertrauen wie bislang.
08/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Michael Hedtstück. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.