Kapitalmarkteignungstest

Vom Schuldschein über das institutionelle Kapitalmarktdarlehen und die Anleihe bis zum Börsengang: Der Kapitalmarkt bietet Unternehmen ungeahnte Finanzierungsmöglichkeiten – kann aber auch zum Glatteis werden, sollte die Firma für diesen Schritt noch nicht bereit sein.

Ein Abenteuer ohne Happy End: der Ausflug der Börse Stuttgart in die Welt der Mittelstandsanleihe.

Ein Abenteuer ohne Happy End: der Ausflug der Börse Stuttgart in die Welt der Mittelstandsanleihe. Foto: Visum / Stefan Kiefer

Der Markt für Mittelstandsanleihen ist tot.“ Mit diesen markigen Worten erklärte der damalige Chef der Stuttgarter Börse, Christoph Lammersdorf, Ende 2014 ein Projekt für gescheitert, das die Schwaben nur vier Jahre zuvor ins Leben gerufen hatten: BondM. Mit dem speziell für die Emittenten von Mittelstandsanleihen aufgesetzten Börsensegment wollte der Börsenplatz den kleineren Mittelstand an den Kapitalmarkt heranführen. Eine vielversprechende Idee, die jedoch für viele Unternehmen und Investoren in Pleiten, Pech und Pannen endete.

Das Hauptproblem: Sowohl Emittenten als auch Investoren fehlte es an der notwendigen Reife. „Eine Anleihe hat nicht zwingend etwas mit Kapitalmarkt zu tun“, sagt Sebastian Ottmann, der das Fremdkapitalmarktgeschäft der Deutschen Bank leitet. Denn für den Banker ist der (Fremd)kapitalmarkt ein Ort, an dem professionelle Unternehmen auf professionelle Investoren treffen. „Bei den Mittelstandsanleihen sind Unternehmen auf unerfahrene, vor allem private Investoren gestoßen, die sich über den vermeintlich hohen Kupon anlocken ließen“, kritisiert der Banker. Ein reifer Kapitalmarkt benötige aber erfahrene Investoren und Intermediäre mit profunden Kenntnissen, um die Kapitalmarkttauglichkeit der Emittenten kritisch hinterfragen zu können.

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„Häufig denken Mittelständler an den Kapitalmarkt, wenn die Banken nicht mehr so recht wollen.“

Sebastian Ottmann, Deutsche Bank

Ob Unternehmen reif für den Kapitalmarkt sind und welches Finanzierungsinstrument passt, ist nach Ottmanns Erfahrung immer eine Funktion mehrerer Variablen: des Finanzierungsbedarfs, des Risikoprofils, der Eigentümerstruktur und der für den Kapitalmarkt erforderlichen innerbetrieblichen Strukturen. Denn Kapitalmarktinstrumente haben andere Anforderungen an das Berichts- und Rechnungswesen oder die Bilanzierung als der Kredit.

Ein Schuldschein zum Einstieg

Das typische Einstiegsinstrument in den Kapitalmarkt ist für viele Mittelständler der Schuldschein, weil sich im Vergleich zum Konsortialkredit wenig bis nichts ändert. Wobei: „Eigentlich handelt es sich beim Schuldschein nur um eine kapitalmarktnahe Vermarktung, weil das Produkt dahinter ein einfaches Darlehen ist“, sagt Ottmann. Darum sei er gerade für kleinere Unternehmen geeignet, die um die 100 Millionen Euro Finanzierungsvolumen suchen. Landesbanken vermarkten manchmal auch niedrigere Summen, doch weniger als 50 bis 75 Millionen Euro ergeben für den Deutsch-Banker wenig Sinn. „Wir haben häufig auch Konsortialkredite, die größer sind als der Schuldschein“, sagt Ottmann.

Das Produkt Schuldschein ist ein in gewisser Stückelung abtretbarer Kredit, der aber einer Kapitalmarktvermarktung unterliegt und die Gläubigerstruktur (Investoren) häufig internationalisiert. „Die Vermarktung läuft meistens schon englischsprachig“, sagt der Banker. „Das Reporting wäre dann auch auf Englisch.“ Sonst stelle der Schuldschein aber kaum andere Anforderungen an Unternehmen als der syndizierte Kredit. Das Produkt adressiert in erster Linie Unternehmen mit guter Bonität (Investment Grade). Zuletzt drängten aber auch Unternehmen im sogenannten Cross-over-Bereich an den Markt, also an der Schwelle zum Sub-Investment Grade, den die Ratingagenturen als spekulativ bezeichnen.

Von der Kapitalmarkt- zur Börsenreife

Als Königsdisziplin am Kapitalmarkt gilt der Gang aufs Parkett: das öffentliche Listing von Aktien (IPO). Grundsätzlich lässt sich die Börsenreife in vier Bereiche unterteilen: die rechtliche, wirtschaftliche und innere Börsenreife sowie die Managementreife. Die rechtliche Börsenreife besteht vor allem aus der richtigen Unternehmensform. Zudem verpflichtet sich ein börsennotiertes Unternehmen zur Einhaltung des Deutschen Corporate-Governance-Kodex.

Kniffliger wird es bei der wirtschaftlichen Reife. Ein Unternehmen benötigt gemessen an Umsatz und Gewinn eine gewisse Größe und einen validen Businessplan. Im Vergleich zum Kapitalmarkt reicht es nicht, den Investoren glaubhaft darzulegen, dass sie ihr geliehenes Geld samt Zinsen zurückgezahlt bekommen. Investoren an der Börse muss das Unternehmen eine gute Equity Story erzählen; glaubhaft darlegen, warum die Beteiligung des Investors in den nächsten Jahren mehr wert wird.

Bei der inneren Börsenreife kommt es nicht nur auf solide Finanzen, sondern auch auf professionelle Unternehmensstrukturen an. Die Börse stellt hohe Anforderungen an Controlling-Instrumente, Risikomanagement, internes wie externes Rechnungswesen, internationale Rechnungslegung, Berichtswesen, Führungs- und Beteiligungsstruktur und die Steuerstruktur. Die Börse kennt auch eine Abkürzung: die Spacs, Special Purpose Acquisition Companies, leere Börsenhüllen, die mit Kapital gefüllt sind, um eine Firma zu übernehmen. Böse Zungen behaupten: Wer die aufwendigen Kapitalmarktanforderungen eines traditionellen Börsengangs umgehen möchte, verkauft sein Unternehmen an ein Spac. Dieser Gedanke führt aber schnell auf ähnlich dunkle Wege wie bei den Unternehmen, die den Kapitalmarkt nur anzapfen, weil sie von ihren Banken kein Geld mehr bekommen.

Beim echten Fremdkapitalmarkt ändern sich die Anforderungen hingegen deutlich. Dazu zählt Ottmann insbesondere das institutionelle Kapitalmarktdarlehen („Term Loan B“), die Unternehmensanleihe und die Hochzinsanleihe („High Yield Bond“). „Unternehmen spielen damit in einer ganz anderen Liga mit, in einem regulierten Markt, mit Zugang zu großen Volumina und einer diversen Investorenschaft“, sagt Ottmann. Die Geldgeber sind dann nicht mehr nur Banken, sondern große Kapitalsammelstellen und institutionelle Investoren.

Der echte Fremdkapitalmarkt

Um an den echten Kapitalmarkt zu gehen, bedarf es einer professionellen Finanzabteilung mit einem Treasury und kapitalmarkterfahrenen Managern. Pflicht ist insbesondere ein professionelles Berichts- und Rechnungswesen für die Quartalsberichterstattung und die Bilanzierung nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften (IFRS). Ratsam ist auch ein externes Rating mit allen damit verbundenen Transparenzpflichten.

Zudem stellt jedes Fremdkapitalmarktinstrument eigene Anforderungen an das Unternehmen. Der Markt für das institutionelle Kapitalmarktdarlehen befindet sich in erster Linie in London. „Der Term Loan B erfordert ein Finanzierungsvolumen von 250 Millionen Euro aufwärts“, sagt Ottmann. Die Transparenzanforderungen steigen an. „Die Informationen werden aber nur an die Investoren weitergegeben und noch nicht in die Welt hinausposaunt“, sagt der Banker. „Bei der Bonität stellt der Term Loan B stark auf Sub-Investment-Grade-Risiken ab.

Ähnlich verhält es sich mit der Anleihe, wobei zwischen der klassischen Unternehmensanleihe für gute Bonitäten und der Hochzinsanleihe für schlechtere Bonitäten unterschieden wird. „Das Einstiegsfinanzierungsvolumen liegt in beiden Fällen bei rund 200 Millionen Euro“, sagt Ottmann. Am Anleihemarkt etablierte Unternehmen können auch niedrigere Tranchen emittieren, wovon der Banker allerdings abrät, um die Sekundärmarktfähigkeit der Anleihe nicht zu gefährden. Im Gegensatz zum Schuldschein ist die Anleihe für die Investoren nicht unbedingt ein Buy-and-Hold-Investment; sie wird gehandelt.

100 Millionen Euro

sind ein typisches Finanzierungsvolumen für einen Schuldschein

Die Anleihe wird laut Ottmann gern anlassbezogen genutzt, um eine Übernahme zu finanzieren, aber auch bei etablierten Emittenten, die kontinuierlich hohen Finanzierungsbedarf haben. Dem Unternehmen sollte klar sein, dass sich mit dem zusätzlichen Fremdkapital und der höheren Verschuldung auch das Kredit- und Bonitätsprofil oft erheblich verschlechtert. In jedem Fall muss ein Unternehmen ein Stück seiner unternehmerischen Freiheit opfern. Die Unternehmens- und Unternehmersphären müssen sauber getrennt sein. „Ein No-Go wäre die Vermengung des privaten Besitzes mit dem geschäftlichen“, sagt Ottmann. Auch hohe Ausschüttungen seien bei Investoren nicht gern gesehen.

Häufige Fehler

Die Kapitalmarktreife hänge nicht zwingend mit der Unternehmensgröße zusammen. Doch für kleinere Unternehmen sei die Mindestgröße an Finanzierung kaum erreichbar. Zudem konkurriert der Kapitalmarkt dort oft noch mit dem Bankenmarkt. „Häufig denken Mittelständler an den Kapitalmarkt, wenn die Banken nicht mehr so recht wollen“, beobachtet Ottmann.

Das sei natürlich falsch. Banken und Berater haben auch eine gewisse Verantwortung und sollten solchen Unternehmen vom Kapitalmarkt abraten. Denn wo diese Fälle ansonsten wahrscheinlich enden, zeigt das Mahnbeispiel Mittelstandsanleihe.

11/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Philipp Habdank. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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