Mit Plan in die Zukunft

Lässt sich ein Schock wie Corona unternehmerisch kalkulieren? Wir zeigen Möglichkeiten, Vorteile und Grenzen einer gut gemachten Szenario-Planung, die sogar alltägliche Entscheidungen positiv beeinflussen kann. Und dann ist da noch die Hausbank. Die muss wissen, ob ihr Firmenkunde auch für den Worst Case noch einen Plan B in der Tasche hat.

Mit Plan in die Zukunft

Welchen Weg ein Unternehmen einschlägt, entscheidet ein bisschen der Zufall – und ganz stark die vorausschauende Planung. Illustration: Eva Hillreiner

Viele Menschen, die etwas über ihre Zukunft erfahren wollen, greifen zum Horoskop, befragen eine Kartenlegerin oder lassen sich aus der Hand lesen. Auch Unternehmer müssen wissen, wohin die Reise geht. So fragt sich jeder Autokonzern, wie sich der Preis für Lithium-Ionen-Akkus im laufenden Jahrzehnt entwickeln wird. Klingt schwer, ist aber nicht unmöglich. Daimler nutzt für derartige Fragestellungen ein seit Jahrzehnten bekanntes Planungsinstrument, das erst mit der Digitalisierung sein Potenzial zeigt: die Szenario-Analyse. Dabei werden alle preisrelevanten Einflüsse einbezogen, etwa die langfristige Entwicklung der Rohstoffmärkte oder die Nachfrage nach E-Autos. Die Szenario-Planung bildet eine Bandbreite der zukünftigen Batteriepreise ab. Damit kann ein Autobauer langfristige Verträge mit seinen Rohstofflieferanten abschließen.

Für einen Konzern ist Planen in Szenarien unverzichtbar. Im Mittelstand bestehen Planung und die verschiedenen möglichen Szenarien dagegen oft, wenn überhaupt, ausschließlich im Kopf des Unternehmers, weiß Christopher Peyerl von der TMS Unternehmensberatung. Und dort bleiben sie dann zumeist. Das sind innere Zwiegespräche über die Zukunft, bestenfalls noch geteilt mit dem Steuerberater. Der Transformationsberater Daniel Auwermann von Trafo beobachtet dieses Denken im feedbackleeren Raum immer wieder: „Kein Dialog, kein Echo.“

"Lineares Fortschreiben der Gegenwart geht nicht mehr."

Andreas Maurer, Senior Partner bei der Boston Consulting Group

Oft arbeiten Mannschaft und Management ohne klares Langfristziel. Vielen Unternehmen fehle „der Fixstern“, dem sie folgen könnten, sagt der Planungsexperte Jan-Erik Gürtner, Partner bei Helbling Advisors in Düsseldorf. Strategische Themen seien oft zufallsgesteuert, vielen sei es schlicht zu mühsam, in unterschiedlichen Denkmodellen zu arbeiten. So wird ernsthaftes Planen aufgeschoben und dann aufgehoben. Mit Corona beginnt nun ein Umdenken. „Wir erleben disruptive Zeiten“, beobachtet Andreas Maurer, bei der Boston Consulting Group verantwortlich für das Geschäft mit Familienunternehmen. „Lineares Fortschreiben der Gegenwart geht nicht mehr.“ Unternehmen lernen viel über sich selbst, weil Planung als Querschnittsfunktion alle relevanten Informationen zu Markt und Unternehmen bündelt, die Stakeholder mit ins Boot holt und alle Interessen berücksichtigt. „Planung zwingt zu strukturiertem Denken, das Denken in Szenarien ist Unternehmertum“, sagt TMS-Berater Peyerl.

Gestützt wird die Planung durch IT. „Einen Riesensprung in der Treffergenauigkeit“ haben die Planungsprogramme durchlaufen, weiß Mario Rüdel von Walter Fries. Für rund 20 000 Euro kann sich ein mittleres Unternehmen ein Planungsprogramm aufsetzen lassen. Für die Umsetzung definiert Michael Kappes, Partner bei Horváth & Partners, mit seinen Kunden ein Simulationsmodell mit den wesentlichen Treibern des Geschäfts. Er startet mit einem Basisszenario, aus dem dann über Veränderungen der einzelnen Stellgrößen und das Hinzufügen von Effekten weitere Szenarien abgeleitet werden. Ein Zeithorizont von drei Jahren reiche für die meisten Mittelständler. Mitverarbeitet werden Informationen zu Produktlebenszyklus, F&E-Pipeline, Lage der Absatzmärkte und Kunden, gesellschaftliche Entwicklungen und Messenews, sagt Helbling-Stratege Gürtner. Mario Rüdel von Walter Fries erwartet von seinen Kunden einen „Kerndatensatz“, bestehend aus den Werten der GuV, Bilanz, Umsätzen und Cashflow. Das Ergebnis: ein sich permanent aktualisierendes Management-Informationssystem.
Mal simulieren, dass der Hauptwettbewerber seine Preise um 20 Prozent senkt? Ein Knopfdruck.

Was kann uns ruinieren?

Hope for the best but plan for the worst: Eine Szenario-Planung muss stets extreme Abwärtsszenarien berücksichtigen. „Keine Angst vor der Frage, was uns geschäftlich ruinieren könnte“, rät Transformator Auwermann. Außerdem geht es darum, den Zielhorizont zu bestimmen, Herausforderungen zu erkennen, die eigene Haltung zu definieren und die Etappenziele zu kontrollieren. Und das heißt: „Nicht nur kühl budgetieren und Zahlen drehen“, sagt Helbling-Partner Gürtner, „sondern die Planung mit operativen und strategischen Maßnahmen unterfüttern.“

Szenario-Planung schützt vor Krisen und verbessert Standing und Rating bei der Hausbank. Restrukturierungsberater Gürtner erlebt oft das Gegenteil: „Fehlendes strategisches Denken ist einer der häufigsten Gründe für die Schieflage eines Unternehmens.“ Typisch sind Liquiditätsengpässe im Aufschwung oder bei Großaufträgen. Dann wird es hektisch, plötzlich muss eine Planung her, ohne die es keinen Kredit gibt.

"Für jede Bank ist eine überraschende Planabweichung beim Kunden eine Herausforderung."

Michael Koch, bei der Deutschen Bank weltweit verantwortlich für notleidende Firmenkredite

Das kennt jede Geschäftsbank. Michael Koch ist bei der Deutschen Bank für Kreditentscheidungen bei Firmenkunden in der Krise zuständig. Wird es beim Kunden eng, übernehmen es Koch und Kollegen, den Kunden durch die Krise zu begleiten. „Muss der Kunde sein operatives Geschäft stabilisieren“, sagt Koch, „ist auch eine stabile Finanzierung unverzichtbar.“ Hierbei sei entscheidend, dass die Kunden auf verschiedene Szenarien vorbereitet sind und Frühwarnindikatoren überwachen, etwa den Auftragseingang bei produzierenden Unternehmen. Jede größere Planabweichung nach oben oder unten kann Implikationen auf den Finanzbedarf haben. Je früher Banken und andere Finanzierer eingebunden werden, desto schneller ist eine Lösung zu finden.

Gute Szenario-Planung führt finanzielle und operative Steuerung zusammen, sie hilft bei der Navigation. „Szenario-Planung ist aber keine Vorhersage“, sagt Günter Müller-Stewens von der Hochschule St. Gallen, „sondern ein Denken in Optionen.“ Damit nicht alles verrauscht, muss aus der reinen Szenario-Planung ein Maßnahmenplan mit Deadlines und Zuständigkeiten entstehen. Die IT liefert Zahlen, frei denken kann sie nicht. Das muss der Unternehmer tun.

01/2021

Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Stephan Schlote. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.