Von Preisen und Werten

Der Wert entsteht im Auge des Betrachters. Selten war es so schwer wie heute, den Erlös für ein Unternehmen zu ermitteln – aber nicht jeder Mittelständler stört sich an der aktuellen Unsicherheit.

Von Preisen und Werten

Auch Unternehmen werden oft im Auktionsprozess verkauft. In schwierigen Marktlagen schützt auch das nicht vor bösen Überraschungen. Foto: Picture Alliance / DPA / Peter Foley

Am 13. November 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, zwei Monate nach der Pleite von Lehman Brothers und einen Tag vor dem dramatischen Krisentreffen der Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten, versuchte das renommierte Auktionshaus Christie’s, in New York ein Gemälde von Francis Bacon zu versteigern. Der Mindestpreis von 40 Millionen US-Dollar wurde nicht annähernd erreicht. Die Welt hatte sich rascher verändert als die Erlöserwartungen des Verkäufers.

Wenige Jahre zuvor hatte sich in Frankfurt ein anderes Drama abgespielt. Am 21. Februar 2000 ging das IT-Unternehmen Biodata am Neuen Markt an die Börse. Der Emissionskurs betrug 45 Euro, die Erstnotiz lag bei 240 Euro. Was für die glücklichen Zeichner ein schneller Reibach war, bedeutete für das Unternehmen ein Desaster: Jeder Marketing- und Vertriebschef wäre sofort geflogen, wenn sein Produkt auf dem Sekundärmarkt sofort zum mehr als fünffachen Preis weiterverkauft würde (auch wenn Biodata kaum zwei Jahre später als erstes Unternehmen aus dem Börsenindex Nemax Insolvenz anmelden sollte).

„Der Aktienmarkt ist aktuell keine geeignete Richtschnur.“

Ralf-Georg Mittler, Leiter M&A bei der Deutschen Bank

In beiden Fällen lagen diejenigen weit daneben, die einen Preis für ein einzigartiges Gut festlegen mussten. Zugegeben: Kunstwerke sind ein Sonderfall, und Biodata war ein Unternehmen ohne nachgewiesenes Geschäftsmodell, das nur ein Versprechen verkaufte. Aber zwei Phänomene illustrieren die beiden Beispiele anschaulich: In Krisen sinken die Preise, und die Bewertung von Unternehmen unterliegt einer besonders großen Unsicherheit.

Unsicherheit drückt die Bewertung

In der aktuellen Krise kommt beides zusammen. Die Wissenschaft hat den schönen Begriff des Principal-Agent-Problems erfunden, um die Informationsasymmetrie zwischen zwei Vertragsparteien zu beschreiben. Die Variante „Adverse Selection“ beschreibt einen Handel, bei dem eine Seite mehr über das Vertragsobjekt weiß als die andere. Bei M&A-Transaktionen ist das immer der Fall, und der Informationsvorsprung liegt immer beim Verkäufer.

Aktuell ist außerdem das Fragezeichen hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung so groß wie selten zuvor. Das liegt nicht nur an Corona, sondern auch an konjunkturellen, technologischen, geldpolitischen, gesellschaftlichen und geostrategischen Unsicherheiten. Damit stellen sich manche Fragen besonders eindringlich: Wie belastbar sind wichtige Kunden- und Lieferantenbeziehungen in der Krise? Wie rasch und flexibel können die Kosten wirklich gesenkt werden? Welche zentralen Mitarbeiter suchen womöglich das Weite, wenn es schwierig wird? Wirklich wissen kann das nur der Verkäufer. Je schlechter der Käufer sich informiert fühlt, desto höher wird sein Risikoabschlag beim Preis sein.

Das gilt immer, aber derzeit besonders. Wer die Zukunft kaum einschätzen kann, der kauft keine teure Kunst und drückt gern den Preis. So weit die Theorie. Die Praxis zeigt etwas ganz anderes: Die Preise sind mitnichten eingebrochen, stattdessen sehen wir eine Zweiteilung des Marktes. Einige Unternehmen sind schlicht unverkäuflich, die anderen erzielen weiterhin gute Preise.

In Branchen wie IT oder Health Care haben Unternehmen sogar von der Pandemie profitiert. Für die starken Spieler sind die Bewertungen nicht nur stabil geblieben, sondern die Multiples mitunter sogar gestiegen. Das liegt auch an den Käufern: Die strategischen Investoren verdienen oft ebenfalls prächtig, und viele Finanzinvestoren konzentrieren ihre beträchtliche Firepower auf die nicht zyklischen Sektoren. „Für ein Unternehmen aus der IT-Branche haben wir 30 Finanzinvestoren beschickt und 40 Rückfragen bekommen“, berichtet Ralf-Georg Mittler, der das mittelständische M&A-Geschäft der Deutschen Bank leitet.

Es gibt zu viel Geld

Andere Unternehmen fasst derzeit niemand an. Man muss kein Gastronom sein, um keinen Käufer zu finden – auch wer von komplexen und bedrohten Lieferketten abhängt, hat es schwer. In Branchen, die wie Automobil oder Maschinen- und Anlagenbau einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen, landen heute ebenfalls viel mehr Unternehmen im Kröpfchen als im Töpfchen.

Der überschätze Bacon – ein Krisenopfer

Foto: Imago Images / United Archives International

Der überschätze Bacon – ein Krisenopfer

„Study for Self-Portrait“ heißt das Werk von Francis Bacon, das nicht nur wegen seines künstlerischen Werts, sondern auch wegen seines nicht erzielten Preises berühmt ist. Nach der geplatzten Auktion am 13. November 2008 verklagte der Besitzer das Auktionshaus Christie’s, ihm die angeblich zugesicherten 40 Millionen Dollar Mindesterlös zu zahlen. Im Sommer 2012 ging das Bild dann in London für immerhin gut 21,5 Millionen Pfund über den Tisch.

Die meisten Unternehmen stehen aber weder mit dem Rücken zur Wand, noch sind sie Corona-Profiteure, noch stehen sie vor einer Neuerfindung. Ihr Erfolg hängt zu einem guten Teil von der – ungewissen – gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab. „Der Aktienmarkt ist aktuell keine geeignete Richtschnur“, sagt M&A-Experte Mittler. „In einigen Branchen sind die Kurse in der Krise weitgehend stabil geblieben, obwohl die Gewinne zum Teil drastisch gesunken sind. Damit steigen die Bewertungen auf Basis von Multiples – und das, obwohl die wirtschaftlichen Aussichten deutlich eingetrübt sind.“

Das Paradoxon hat einen Namen: EZB. Die Notenbanken der Welt fluten die Märkte mit immer mehr Liquidität. Im Nullzinsumfeld sind die institutionellen Investoren quasi gezwungen, einen immer größeren Teil ihres Geldes in Eigenkapitalanlagen zu investieren. Das treibt nicht nur die Aktienkurse, sondern auch die Preise für mittelständische Unternehmen. Mehrere Hundert Beteiligungsgesellschaften sitzen auf prall gefüllten Kassen und schielen auf attraktive Mittelständler. Nicht nur die Finanzinvestoren halten die Preise stabil. Auch die Strategen sind handlungswillig, darunter viele Mittelständler. Sie scheuen sich nicht, gutes Geld auf den Tisch zu legen, wenn das Zielunternehmen in den Kernbereich ihres Geschäfts gehört und sie ein langfristiges Ziel verfolgen. „Die Mittelständler haben intime Marktkenntnis und schauen deshalb mit mehr Selbstbewusstsein auf das Target“, beobachtet Mittler. „Sie sind weder leichtsinnig noch größenwahnsinnig – aber wenn sie das perfekte Add-on finden, sind sie durchaus bereit, mehr zu zahlen, weil sie die Stellschrauben kennen.“

Die Unsicherheit minimieren

Um Transaktionen trotz Unsicherheit zu ermöglichen, hat der Markt zwei Instrumente ersonnen, die das Risiko zwischen Käufer und Verkäufer aufteilen oder sogar auf Dritte übertragen. Die erste Variante ist eine variable, erfolgsabhängige Zahlung über einen sogenannten Earn-out: Ein Teil des Kaufpreises hängt vom künftigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ab. Verkäufer versuchen in der Regel, erfolgsabhängige Zahlungen zu vermeiden, weil sie damit von unternehmerischen Entscheidungen des Käufers abhängen und die Zahlen zumindest bei der Integration durch einen strategischen Investor meist kaum mehr nachvollziehbar sind. Earn-out-Vereinbarungen im Kaufvertrag schränken oft den Handlungsspielraum des Käufers für die Geltungsdauer ein, weshalb auch die Käufer auf dieses Sicherheitsnetz nicht immer erpicht sind. „In der Praxis beobachten wir häufig, dass am Anfang ein Earn-out in den Vertrag aufgenommen wird, am Ende aber einfach ein Teil der Zahlung auf den Kaufpreis aufgeschlagen wird“, berichtet Mittler.

Das zweite Sicherheitsnetz der Käufer ist die Versicherung der Zusicherungen und Garantien (Reps & Warranties oder auch Warranty & Indemnity). Im Kaufvertrag erklärt der Verkäufer nicht nur, dass ihm alle verkauften Assets gehören und er das Unternehmen ordnungsgemäß geführt hat, sondern garantiert auch, alle Verpflichtungen oder etwaigen Rechtsstreitigkeiten offengelegt zu haben.

„Durchschnittlich werden 10 bis 15 Prozent der Transaktionssumme abgesichert.“

Xianbei Li, Co-Chefin Deutschland bei Acquinex

Die daraus entstehenden Risiken und andere Transaktionsrisiken können durch eine M&A-Versicherung abgesichert werden. Meistens sucht der Käufer den Versicherungsschutz, um sich im Schadensfall nicht mit dem Verkäufer auseinandersetzen zu müssen, manchmal will der CFO des Verkäufers aber auch alle bilanziellen Risiken eliminieren. „Durchschnittlich werden 10 bis 15 Prozent der Transaktionssumme abgesichert“, beobachtet Xianbei Li, deutsche Co-Chefin der Underwriting-Agentur Acquinex. Die Anfragen haben in der Krise zugenommen. Trotz der größeren Unsicherheit sind die Prämien nicht gestiegen, weil der Wettbewerb unter den M&A-Versicherungen intensiv ist. „Seither legen wir im Underwriting-Prozess ein zusätzliches Augenmerk auf etwaige Veränderungen bei den Zielunternehmen in diesem Jahr, insbesondere was den Zeitraum nach dem Bilanzstichtag betrifft.“ Länger geworden sei der Prozess von wenigen Werktagen aber nicht, nur intensiver aufseiten der Risikoträger.

Am Ende können alle Absicherungen eine sorgfältige Due Diligence nicht ersetzen – und schon gar nicht eine schlechte Marktentwicklung in eine gute verwandeln. Aber ambitionierte Mittelständler haben nur wenige Targets im Auge. Sie müssen zuschlagen, wenn sich die Chance bietet. Wer eher die nächsten 20 Jahre als die kommenden 20 Monate im Auge hat, der kann es sich leisten, 20 Prozent mehr zu bezahlen. Schnäppchen gibt es auch im Krisenmarkt keine – gute Gelegenheiten aber sehr wohl.

01/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.