Was uns stark macht

Unternehmen beweisen innere Stärke, wenn sie sich Krisen oder externen Schocks gut anpassen. Doch wie resilient sind deutsche Familienunternehmen eigentlich? Und wie können sie lernen, auch mit dramatischen Veränderungen im Markt besser und schneller klarzukommen als bisher?

Was uns stark macht

Welchen Weg ein Unternehmen einschlägt, entscheidet ein bisschen der Zufall – und ganz stark die vorausschauende Planung. Foto: Spencer Platt / Getty Images

Als am 11. September 2001 das erste Flugzeug in den Nordturm des World Trade Center kracht, haben die Mitarbeiter von Morgan Stanley im Südturm noch genau 20 Minuten Zeit bis zum nächsten Einschlag. Doch das Investmenthaus ist vorbereitet. Immer wieder hat Sicherheitschef Rick Rescorla eine Evakuierung trainiert. So sterben an diesem Morgen von rund 2500 anwesenden Bankmitarbeitern gerade mal sieben, darunter ausgerechnet Rescorla, der seine Leute sofort nach dem Einschlag per Megafon aus dem Tower dirigiert. Schon wenige Stunden später fährt das Unternehmen seine drei Notfallstandorte hoch.

Wie Menschen oder Organisationen große Katastrophen überstehen, ist die zentrale Frage der Resilienzforschung. Rein physikalisch geht es dabei um die Fähigkeit von Materialien, großen Druck zerstörungsfrei auszuhalten und in ihren vormaligen Zustand zurückzukehren („bounce back“), so wie etwa ein Schwamm oder eine Metallfeder. Bei Menschen versteht man darunter die psychische Widerstandskraft gegenüber Extremsituationen oder Dauerstress und die Fähigkeit, sich nach diesen Krisen ohne bleibende psychische Schäden wieder zu erholen.

Die Stärke des Scheiterns

Wir können an unseren Krisen wachsen, das hat schon der Philosoph Friedrich Nietzsche gesagt: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Etwas weniger martialisch beschreibt das Nico Rose, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Dortmunder International School of Management. Resilienz zählt für Rose „zu den großartigen Seiten der menschlichen Existenz“. Mehr noch: „Sie fördert uns, sie bringt das Beste in uns hervor.“

Das ist auch empirisch belegt. Wissenschaftler haben untersucht, was aus jenen jungen Akademikern wurde, deren Antrag auf ein medizinisches Forschungsstipendium abgelehnt wurde. Das Ergebnis: Im Laufe eines Jahrzehnts veröffentlichten sie später genauso viele Studien wie ihre Konkurrenten, die das Stipendium erhalten hatten. Ihre Arbeiten waren jedoch von deutlich höherer Wirkungskraft. Der Rückschlag, so die Autoren der Studie, habe sie davor bewahrt, sich wie die Stipendiengewinner auf ihren Lorbeeren auszuruhen.

„Neue Informationen schnell zu verarbeiten fällt zentral geführten Unternehmen extrem schwer.“

Florian Roth, Transformationsforscher beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung

Was für Menschen gilt, gilt auch für die Wirtschaft. Unternehmen funktionieren wie Organismen, und auch sie können nach schockartigen Krisen wachsen oder scheitern. Seit Jahren brodelt die Frage nach der „organisationalen Resilienz“ knapp unter der Oberfläche. Mit der Coronakrise ist das Thema obenauf. „Wir sind plötzlich in einer neuen Arbeitswelt unterwegs“, sagt Zuzana Blazek vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Seit Corona gehe das Thema geradezu „raketenhaft durch die Decke“. Und weiter: „Spätestens jetzt stellen sich zukunftsgerichtete Unternehmen der Frage nach dem Weg zu einer resilienten Organisation.“

Florian Roth vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung beobachtet einen „regelrechten Hype“ um Resilienz in der Wirtschaft. Er muss es wissen: Die Frage nach der Widerstandsfähigkeit von Systemen begleitet den Transformationsforscher schon sein halbes Berufsleben. „Viele Führungskräfte stehen gerade unter maximalem Veränderungsstress“, weiß IW-Beraterin Blazek. Kein Wunder, dass die „F.A.Z.“ Resilienz gar zum neuen „Karriere-Zauberwort“ erklärt. Der renommierte Tiroler Managementtreff Forum Alpbach sieht die aktuelle Krise als eine regelrechte „Schule der Resilienz“, Grund genug, der Frage nach der Belastbarkeit unserer Wirtschaft ein ganzes Symposium zu widmen.

Nie ohne Norm

Und damit es nicht nur bei Keynote Speeches und Paneldiskussionen bleibt, hat die International Organization for Standardization das alles in eine eigene Norm gegossen. ISO 22316 beschreibt die Kriterien, die eine resiliente Organisation erfüllen muss. Tatsächlich aber fehlt bis heute eine standardisierte Auditierung, also ein werbewirksamer und messbarer Nachweis zur Widerstandskraft des eigenen Unternehmens.

Die Norm ergibt dennoch Sinn, sie ist ein wichtiger Orientierungsrahmen mit zentralen Elementen und Kernprozessen. Für die Nürnberger Unternehmensberaterin und Trainerin Jutta Heller ist dieses Regelwerk die Achse, um die sich ihre ganze Trainingsarbeit dreht. Das Lernziel heißt „Veränderungskompetenz“ und beschreibt ein System, das sich auch ohne zentrale Steuerung selbstständig an Krisen anpasst. Es geht um den Aufbau einer „Vertrauenskultur“, die eigenverantwortliches Arbeiten und Entscheiden in der Krise erst möglich macht. Und darum, wie sicher sich der Einzelne im Team fühlt, ob auch mal etwas schiefgehen darf, ob auch mal eine unkonventionelle Meinung zugelassen ist. Eine Meetingkultur etwa, in der Mitarbeiter vom Chef oder von Kollegen vorgeführt werden, ist alles, nur nicht resilient.

Für alles eine Norm

Florian Roth, Foto: Annabelle Höpfer

Für alles eine Norm

Organisationale Resilienz lässt sich messen.
Die ISO 22316 gibt Unternehmen Richtlinien zur Entwicklung einer resilienten Organisation. Sie benennt drei Kernfelder:

  • Prinzipien für ein organisationales Resilienz-Management
  • Elemente einer resilienten Organisation
  • Leitfäden zur Entwicklung der Elemente

Die Norm bietet eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen, Modellen und Ansätzen. Unternehmen können fokussiert ihre eigene Resilienz-Situation überprüfen und gegebenenfalls weitere Schritte definieren. Der Unternehmensberater Uwe Rühl gibt in seinem Buch „Unternehmerische Resilienz“ Einblicke in die praktische Umsetzung der Normen.

Der Suchmaschinenbetreiber Google hat im „Projekt Aristoteles“ Kultur und Erfolge von 180 Google-Teams weltweit analysiert. Doch weiß auch der deutsche Mittelstand, was Google weiß? Wie resilient sind unsere Familienunternehmen? Sicher ist: Viele haben die Coronakrise zum Anlass genommen, die eigene IT aufzurüsten. Von einem „massiven Modernisierungsschub in der Arbeitswelt“ berichtet BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Dies bestätigt auch eine Umfrage des Softwarekonzerns Microsoft. Fast alle Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen zusätzlich in Hard- und Software oder Cloudlösungen investiert habe. Gut 40 Prozent der Befragten sagten, dass ihr Unternehmen jetzt „besser ausgestattet“ sei als vor der Krise.

Richtig handeln ohne Hirn

Eine ertüchtigte IT ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem krisenfesten Unternehmen, aber sie ermöglicht nur Transparenz und Standardprozesse. Resilienz verlangt auch Schonung der Ressourcen, vor allem der personellen. Das heißt letztlich: nicht alles aus der eigenen Mannschaft rausholen, was geht. Dem steht eine andere Realität entgegen: Unsere Wirtschaft arbeitet nach den harten Regeln von Effizienz und Konkurrenz, dem Gegenteil von Resilienz und Reserven. Allerdings haben verschiedene Arbeiten zur Resilienz von Organisationen auch gezeigt: Einseitig auf Effizienz und Gewinnmaximierung ausgelegte Unternehmen reagieren am anfälligsten auf Krisen.

Resilienz bedeutet aber auch Geschwindigkeit. So wie das Rückenmark ganz ohne das Gehirn blitzschnelle Reflexe auslösen kann, so müssen auch Unternehmen reagieren können. Rasend schnell verändern sich Technologien und Werte, viele betriebliche Organisationsformen halten da kaum mit. Ergebnis: Klassische Hierarchiesysteme versagen in der Komplexität aktueller Aufgaben. „Neue Informationen schnell zu verarbeiten“, sagt Roth, „fällt zentral geführten Unternehmen extrem schwer.“ Genau das aber, die Geschwindigkeit der Verarbeitung von Informationen, ist in Krisen existenzentscheidend. Und vielleicht ist das dann auch der Grund, warum Unternehmen im Schnitt nur 25 Jahre am Markt sind, wie es die Managementtrainerin Heller beobachtet hat. „Resilienz bedeutet Anpassung, wer das nicht stemmt, der scheitert.“

„Viele Führungskräfte stehen gerade unter maximalem Veränderungsstress.“

Zuzana Blazek, Senior Researcher beim Institut der deutschen Wirtschaft

Falls sie sich nicht ändern. Die Betriebe müssten etwa von einer „Anweisungskultur“ zu einer „Befähigerkultur“ wechseln, empfiehlt IW-Researcherin Blazek. Das heißt, ein resilienzförderndes Arbeitsklima, resiliente Teams, resiliente Mitarbeiter. Und das Schöne: All das lässt sich lernen. Die Neurologie lehrt uns, dass wir noch bis ins hohe Alter lernen können – auch die Fähigkeit, mit schweren Krisen umzugehen.

Vorteil Familienunternehmen

Besonders gute Ausgangschancen haben aus Sicht der Managementtrainerin aber Unternehmen, die folgende Kriterien erfüllen: 400 bis 500 Mitarbeiter, zweite bis dritte Generation, mehrere Standorte, kein Konzernverbund, lange Betriebszugehörigkeit und hohe Identifikation der Mitarbeiter, externe Geschäftsführung, Rücksichtnahme auf Bedürfnisse der Mitarbeiter, Vertrauenskultur, Förderung von Eigeninitiative. Zwei weitere Erfolgsfaktoren eines resilienten Unternehmens hat Fraunhofer-Forscher Roth in der Natur entdeckt: langfristig vorausschauendes Denken sowie eine Vielfalt von Geschäftsmodellen und Mitarbeitern.

In der Natur sind Veränderungen eine zentrale Konstante, das hat schon vor Jahrzehnten der kanadische Ökologe C.S. Holling bewiesen. Selbst dramatische Waldbrände sind demnach keine Katastrophe, sondern Teil des Systems. Die Natur ist resilient, nach einem Schockereignis geht sie meist nicht in den Ausgangszustand zurück, sondern passt sich an. Nach einem Brand ist das alte Ökosystem zwar verschwunden, dafür aber entsteht ein neues. Nicht „bounce back“, also das simple Zurückspringen in den vormaligen Zustand, sondern „bounce forward“. Es ist ein Sprung nach vorn in ein neues Gleichgewicht. Ob auch uns dieser Entwicklungssprung voran gelingt, müssen wir noch zeigen. Vielleicht bietet Corona die Chance, überfällige Veränderungen endlich anzugehen. Die Natur wäre da kein schlechtes Vorbild.

01/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Stephan Schlote. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.