Niemandem ist mit falschen Etiketten geholfen

2007 hat James Hulse den weltweit ersten Klimawandel-Hedgefonds gegründet, heute berät er unterschiedlichste Kunden zu den Themen Klima, ESG und Naturkapital. Ein Gespräch über umweltbewusste Investoren, Grenzen von ESG-Ratings und die Rolle der Regulatoren

Portraitaufnahme von James Hulse

Foto: Jacqueline Cross Photography

James, immer mehr Investoren entdecken das Thema Klimawandel oder ESG im Weiteren für sich. Was hat sich seit der Gründung Ihres ersten Fonds vor mehr als einem Jahrzehnt verändert?

2005 habe ich zum ersten Mal den IPCC-Report zum Klimawandel, also den Konsensbericht der internationalen Klimaforschung, gelesen. Es war die größte Insiderinformation aller Zeiten! Denn ich konnte genau lesen, was auf uns zukommen wird, und daraus ableiten, welche Unternehmen sich besonders verändern müssen, wer verlieren wird. Daraus habe ich einen Long/Short Fund abgeleitet. Heute wissen zum Glück sehr viel mehr Menschen, wie wichtig der Klimawandel ist: Wenn wir nichts dagegen machen, werden wir alle sterben. So einfach ist das. Und es ist gut zu sehen, dass es nicht nur einzelne Fonds wie Engine No. 1 gibt, die aktiv werden, sondern dass sich ganz viele Investoren und Assetmanager zu Initiativen wie Climate Action 100+ zusammengeschlossen haben, darunter Riesen wie Blackrock.

Kurzporträt James Hulse

Zu Beginn seiner Karriere war James Hulse einige Jahre unter anderem als Händler bei internationalen Banken tätig. Im Anschluss wurde er Partner bei dem auf Klima- und Wetterthemen fokussierten Hedgefonds Cumulus Asset Management, wo er den ersten Klimawandel-Hedgefonds auflegte. In der Finanzkrise musste dieser Klimawandel-Fonds allerdings schließen. Hulse war als Leiter der Investoreninitiativen bei der Nicht-Regierungsorganisation „CDP – Carbon Disclosure Project“; wurde Mitglied des globalen Beirats von Cornerstone Capital. 2016 hat er in Oxford sein Beratungsunternehmen Hindsight Consultancy gegründet, das unter anderem die EU, europäische Assetmanager und eine Kreditratingagentur berät.

Können die zahlreichen Investoren und Fondsmanager, die jetzt nachhaltige Anlagen für sich entdecken, überhaupt angemessen beurteilen, ob ein Unternehmen klimafreundlich oder nachhaltig handelt? Die Unternehmen wissen oft nicht einmal selbst, wie hoch ihre CO2-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette sind.

Wir stehen alle noch am Anfang. Tatsächlich ist momentan mehr Geld als Wissen im Markt. Ich sehe wirklich Fonds, die nennen sich „Low Carbon“ und haben als Top-2-Positionen Exxon und Chevron. Andere schneiden die vermeintlich „schlechtesten“ zehn Prozent weg aus einem Index und nennen das „ESG Leaders Fund“. Aber es gibt auch viele sehr ernsthafte Fondsmanager. Ich habe kürzlich die Top-Positionen von 250 aktiven ESG-Fonds untersucht – bei 95 Prozent der Fonds war eine klare Auswahlstrategie zu erkennen. Es waren vielleicht nicht immer die Kriterien, die ich angelegt hätte, aber es waren in sich nachvollziehbare Kriterien.

Momentan ist mehr Geld als Wissen im Markt.

Wonach wird denn entschieden, wie „nachhaltig“ ein Unternehmen ist? Wer definiert die Kriterien?

Das ist das große Problem derzeit, das jeder zu lösen versucht. Die gesamte ESG-Industrie ist weitgehend unreguliert, jeder kann alles publizieren. Darunter ist auch sehr viel sehr Wertvolles. Es gibt unterschiedlichste Ratingverfahren, da hat sich noch kein Standard herauskristallisiert. Wie gesagt: Wir stehen am Anfang, doch wir lernen auch rasch hinzu.

Sollte die Politik, vielleicht die EU, einen Standard vorgeben – oder braucht es einfach nur Zeit, bis sich wie bei den Finanzratings von S&P oder Moody’s globale Ratings etablieren?

Ich erwarte, dass die Politik Vorgaben machen wird. Es braucht viel Kapital für den notwendigen Umbau der Wirtschaft. Da ist niemandem geholfen, wenn durch falsche Etiketten „nachhaltiges“ Geld nicht nachhaltig investiert wird. Meine Befürchtung ist nur: Es wird dann auch künftig einen einheitlichen ESG-Score geben, an dem sich alle orientieren können. Wie soll man aber sinnvoll 150 bis 200 unterschiedliche Kriterien miteinander zu einem einzigen Rating verbinden? Nein, ein ESG-Rating ist komplette Zeitverschwendung. Jeder Investor muss sich genau überlegen: Was will ich mit meinem Investment erreichen? Und dann die Unternehmen analysieren: Wie passen sie zu diesem Ziel? Dabei muss man ganz unterschiedliche Kriterien betrachten. Bei Facebook interessiert mich als Investor: Sind die Mitarbeiter zufrieden? Denn die sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Unternehmen. Bei Exxon sind ganz andere Faktoren relevant für die Anlageentscheidung.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren viel mit Wiederaufforstung beschäftigt. Sehen Sie da besonders attraktive Investitionschancen?

Abholzung ist wahrscheinlich der am meisten unterschätzte Einflussfaktor auf den Klimawandel. Rodung hat größere Auswirkungen auf CO2-Emissionen als der gesamte Straßenverkehr. Dennoch ist es sehr schwierig, die Abholzung zu stoppen. Investoren befassen sich zunehmend mit dem Thema, aber als Hedgefonds oder Aktieninvestor ist es schwierig, Einfluss zu nehmen, weil die relevanten Industrien Nahrung und Holzverarbeitung überwiegend in privater Hand sind. Banken könnten hier wahrscheinlich einen größeren Hebel haben.

Wie soll man sinnvoll 150 bis 200 unterschiedliche Kriterien miteinander zu einem einzigen Rating verbinden?

Warum haben so viele externe Kosten noch keinen Preis? Wir handeln mit CO2-Emissionszertifikaten, aber ein gefällter Baum hat noch keinen Preis. Der Natur einen Preis zu geben könnte doch eine enorme Lenkungswirkung haben und Finanziers leicht zeigen, wie profitabel ein Unternehmen wirklich ist.

Der Ansatz hat mindestens eine große Schwäche: Was ist der Grenzwert? Angenommen, jeder Baum kostet 1000 US-Dollar. Aber weitere fünf Prozent der Amazonas-Waldfläche zu verlieren könnte einen Klima-Kipppunkt auslösen – die Kosten wären gigantisch. Hier helfen nur klare Vorgaben, Grenzen, Verbote durch die Politik. Verbot des Verbrennermotors, Verbot von Kohleenergie, Verbot von Abholzung – anders wird es nicht gehen. Und dabei realistische, dennoch ambitionierte Zeitvorgaben setzen.

Ein erstaunlich wenig marktwirtschaftlicher Ansatz für einen ehemaligen Hedgefonds-Investor.

Es braucht beides. Die harte Vorgabe des Staats, den Weg dorthin über die Marktwirtschaft. Investoren wie Hedgefonds können dabei helfen, das Unternehmen umzubauen. Dabei suchen die Aktivisten unter den Investoren gerade nach den „ungeliebten“ Unternehmen – und bauen sie zu „geliebten“ Unternehmen um. Gelegenheiten wird es in den kommenden Jahren genug geben: Stahl, Zement, Automotive, Nahrung – ach, eigentlich fast jeder Sektor muss klimafreundlicher werden.

01/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.