Wenn das Korsett den Unternehmer kneift

Unter permanentem Druck: Wie kann der Visionär den Spagat zwischen seinen Ideen und den Anforderungen an Controlling, Transparenz und Compliance halten?

Elon Musk sieht auf sein Smartphone.

Exzentriker Elon Musk treibt mit einem einzigen Tweet die Finanzierungsmärkte vor sich her. Deutsche Unternehmer sind aber gut beraten, sich den Konventionen etwas mehr zu beugen. Foto: picture-alliance / Reuters / Joe Skipper

Natürlich ist es albern, den Prototyp des Unternehmers zu beschreiben. Aber dass die meisten erfolgreichen Unternehmer spezielle Menschen sind, steht außer Frage. Viele sehen Chancen, wo andere nur Risiken oder gar nichts erblicken. Sie schauen nicht auf das nächste Quartal, sondern auf den nächsten Produktzyklus, den nächsten Wertschöpfungsschritt, den nächsten Markt.

Unternehmer sind keine Manager. Das macht sie so stark – und ihr Unternehmen zugleich so anfällig. Manche sind Visionäre und Mikromanager in einem. Visionen werden mit Strategien unterlegt, aber Strukturen ersinnen, einführen, leben und weiterentwickeln – das ist des Unternehmers Sache meistens nicht. Ein frisch angeheuerter Finanzchef kann ein Lied davon singen: der Unternehmer weit über 70 und in jedes Detail involviert, der Umsatz deutlich über der Milliardengrenze, zwei vergeigte Nachfolgeversuche, die zweite Ebene klein gehalten, das Controlling rudimentär, Compliance ein Fremdwort – und nun sollen mehr als 50 bilaterale Bankkredite in aller Herren Länder neu verhandelt und endlich gebündelt werden.

Der Patriarch ist ein Auslaufmodell

Der keineswegs fiktive, nur leicht verfremdete Finanzchef ist nicht zu beneiden. Das Unternehmen ist gut profitabel, entspricht aber keiner der Anforderungen, die heute an Firmen dieser Größe gestellt werden. Cashflow-Planungen kann der CFO nicht vorlegen, detaillierte Fragen zu Zahlen nicht beantworten, gute Governance nicht nachweisen und außerdem kaum verhehlen, dass ein plötzlicher Tod des Unternehmers ein Existenzrisiko für die Firma bedeuten würde.

„Die Unternehmer mit dem Hang zum Patriarchat gibt es nach wie vor. Aber das Umfeld akzeptiert sie kaum mehr.“

Stefan Bender, Deutsche Bank

Wer trägt die Schuld? Wird zu viel verlangt oder zu wenig getan? Und zerstören Strukturen nicht das Unternehmertum? Enge organisatorische Korsetts und die Steuerung nach Finanzkennzahlen werden von vielen Unternehmern als Einschränkung empfunden, immer noch gibt es die großen Familienfirmen, die „nach Gutsherrenart“ geführt werden. Doch ihre Tage sind gezählt, die Welt hat sich verändert – das gilt für Kunden und Lieferanten, Mitarbeiter und Kapitalgeber sowie den Gesetzgeber.

„Bei echten Patriarchen beißen wir als Bank manchmal immer noch auf Granit“, sagt Stefan Bender, der das deutsche Firmenkundengeschäft der Deutschen Bank leitet. Aber er beobachtet, dass die Patriarchen seltener werden. Stirbt der Typus aus? „Die Unternehmer mit dem Hang zum Patriarchat gibt es nach wie vor“, berichtet Bender. „Aber das Umfeld akzeptiert sie kaum mehr – weder die Mitarbeiter noch die Kapitalgeber schätzen intransparente, willkürliche und einsame Entscheidungen.“

Die Zeiten, in denen Banken einen Kredit um der blauen Augen willen vergeben konnten, sind längst passé. Die Kapitalgeber stehen unter permanentem Druck, ihr Handeln zu rechtfertigen. Jeder Bankkunde ist ein Risiko, das gemanagt und dokumentiert werden muss. Dafür wollen sie tiefen Einblick nicht nur in die Strategie, sondern auch in die Zahlen ihrer Kunden. Zugegeben: Eine Strategie über fünf Jahre durchzuhalten ist viel schwieriger, wenn man sie mit finanziellen Meilensteinen unterlegt – andererseits fallen Fehlentwicklungen früher auf. Am Ende haben die Geldgeber nur Fragen, die auch jeder Unternehmer stellen und beantworten können muss.

Nichts geht ohne starken CFO

Dafür braucht es den richtigen Partner im eigenen Haus: die finanzielle Ausgangslage kennen, Chancen und Risiken in Zahlen fassen, die Auswirkungen auf Cashflow, Bilanz und Ergebnis berechnen, den Blickwinkel der Geldgeber begreifen – darum geht es im Sparring mit dem Finanzchef. Die Entscheidung trifft am Ende der Unternehmer, aber es muss eine informierte sein. Die Rolle des Bedenkenträgers und Zahlenfetischisten ist wichtig, sie verlangt einen starken CFO. Den haben nicht alle Familienunternehmen, und weder die Bank noch die Unternehmervertrauten – also die Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte – trauen sich in der Regel, das Problem anzusprechen.

Auch Kunden und Lieferanten werden immer anspruchsvoller. Perfekte Produkte oder Servicequalität und pünktliche Zahlungen reichen nicht mehr aus. Wie nachhaltig ist die Lieferkette, wie gut die Bonität des Abnehmers? Welche Reputationsrisiken lauern in der Geschäftsbeziehung, und wie resilient ist der Partner in Krisenzeiten? Um befriedigende Antworten auf diese Fragen geben zu können, braucht der Unternehmer nicht nur den Willen zur Transparenz, sondern auch die passenden Strukturen. Compliance ist kein Selbstzweck, sondern das professionelle Management von Finanz-, Reputations- und Geschäftsrisiken. Das verlangen nicht nur die Geschäftspartner, sondern auch der Gesetzgeber immer nachdrücklicher. „Know Your Customer“, KYC, ist ein Thema, das der Regulator den Banken aufgebürdet hat, und ein rotes Tuch für viele Unternehmer. Doch KYC schützt den Unternehmer auch vor Geschäftspartnern, die ihm nachhaltigen Schaden zufügen können.

„Unternehmer sind in ihrem Entscheidungsspielraum kaum eingeschränkt, nur der Zwang zur Rechtfertigung wird stärker.“

Kein Zweifel: Das Korsett des Unternehmers ist enger geworden. Doch Unternehmertum, finanzielle Transparenz und gute Governance sind zwar ein Spagat, schließen sich aber nicht aus. Im Gegenteil: Langfristig wird kein Geschäftsmodell mehr funktionieren, das sich nicht in die Konventionen einfügt. Unternehmer sind dadurch in ihrem Entscheidungsspielraum kaum eingeschränkt, nur der Zwang zur Rechtfertigung wird stärker. Richtig angewendet, entsteht daraus eine nicht unbedingt andere, aber fundiertere Entscheidung. Das ist ein Fortschritt. Die Gefahr für den Unternehmer liegt an anderer Stelle: nicht in der strategischen Einschränkung, sondern im zeitlichen Aufwand. Alle Anforderungen selbst zu erfüllen überfordert jeden und lenkt von den eigentlichen Aufgaben der Führung und Weiterentwicklung des Unternehmens ab. Darum sollten Transparenz und gute Governance kein zeitliches Investment sein, sondern ein finanzielles in gute Leute. Der Mehraufwand des Unternehmers besteht dann darin, mit den Mitarbeitern im Dialog auf Augenhöhe herauszufinden, wie die einzelnen Bausteine auf die Unternehmensstrategie einwirken. Und das ist letztlich einfach gutes Unternehmertum.

01/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.