Die Masche mit der Tasche

Ein paar Kölner Freunde erfinden einen Schulranzen, der zum Must-have der Kids wird. Inzwischen steuert ihre Firma FOND OF sieben Marken. Und das ist erst der Anfang

Text: Stephan Schlote

Die Masche mit der Tasche

Neue Marken, schnelles Wachstum, Internationalisierung: Das Kölner Start-up FOND OF ist mit ungewöhnlichen Taschen und neuerdings auch einem Fashion-Label erfolgreich. Das stellt hohe Anforderungen an das richtige Management – und die passende Finanzierung Fotos: Dominik Pietsch

Manche Geschäftsideen entstehen auf einer Party. Da erzählt eine Physiotherapeutin zwei jungen Betriebswirten, wie viele Kinder schon mit Rückenproblemen in ihre Praxis kämen. Warum, so die Frage, gibt es keinen ergonomischen Schulranzen, kon­struiert wie ein guter Trekkingrucksack? Wenig später lernen die beiden einen ehemaligen Produktmanager der Outdoormarke Jack Wolfskin kennen, Fachgebiet: Rucksäcke. Die Idee steht, zwei weitere Freunde stoßen dazu. Sven, Flo, Juliaan und Oli – das Jungunternehmerteam ist gegründet. Auch das Bundeswirtschaftsministerium mag Konzept und Gründer, unterstützt das Team mit einem einjährigen Stipendium. Schnell sind die ersten 6000 Rucksäcke verkauft. Da sind die Gründer gerade mal Ende 20. Vom Start weg ist der Fachhandel begeistert von dem neuen Produkt. Einige ordern, bevor sie den ersten Prototyp überhaupt gesehen haben. Innerhalb eines Jahres hat sich das Verkaufsvolumen verdreifacht. Die neuen ergonomischen Schulranzen von der Marke ergobag entwickeln sich zum Must-have für Schüler aller Altersgruppen. Heute, kein Jahrzehnt nach Markteintritt, verkauft das Kölner Start-up FOND OF in 35 Ländern weltweit über eine halbe Million Ranzen, Rucksäcke und Taschen jeder Art. Mit sechs Taschenmarken, aufgefächert nach den jeweiligen Zielgruppen vom Vorschulalter bis zum Berufseinsteiger, gehört das Unternehmen zu den fünf größten der Branche. Gerade kommt ein Fashionlabel dazu. Die Gründer besitzen ihren Betrieb zu 100 Prozent, auch das keine Selbstverständlichkeit. Prognose für das Geschäftsjahr 2018/19: zweistelliges Wachstum.

Andere heben da ab, die Kölner bleiben auf dem Boden. „Das ist eigentlich normales Business, keine Raketenwissenschaft“, sagt Co-Gründer Oliver Steinki. Doch er und seine beiden Freunde Florian Michajlezko und Sven-Oliver Pink haben das scheinbar ganz normale Business recht gut verstanden. Und so lassen sich ein paar ziemlich handfeste Erfolgsfaktoren für den geradezu lehrbuchhaften Aufstieg dieses Unternehmens benennen.

Produkt: hohe Qualität, jährlich neue Modelle, ergonomisches Konzept, zielgruppengerechtes Design. „Jede Tasche muss einen USP bieten“, sagt Steinki, etwa individuelle Sticker, sogenannte Kletties. Bei den Kids ist das Kult, es gibt sogar regelrechte Tauschbörsen.

Der meiste Umsatz entsteht analog

Multi-Markenstrategie: Die Kölner bieten inzwischen Taschen vom Vorschulalter bis ins junge Erwachsenenleben. Unter einer Marke funktioniert das nicht. Deshalb ist jede Altersgruppe eine völlig ­eigene Zielgruppe – und bekommt dafür eine eigene Marke. Die heißt etwa ­Affenzahn für Klein- und Vorschulkinder, ergobag und satch für Schüler, Aevor und pinqponq für junge Erwachsene. Die Businessmarke Salzen wendet sich an die Digital Natives, und mit Funktion Schnitt kommt gerade die erste Fashionmarke außerhalb des Rucksack- und Taschenmarktes ins Portfolio.

Vertriebskanäle: junge Gründer, junge Zielgruppe, Vertrieb nur online – würde man denken. Leider falsch. Ein paar Kollegen pflegen die Influencer im Netz, doch das Gros der Umsätze läuft analog: Über 80 Prozent verkauft der klassische Einzelhandel. Weltweit sind das 5000 Points of Sale, 2000 davon in Deutschland. Der Kauf eines Schulranzens ist beratungsintensiv, für viele ein regelrechtes Familienevent. „Den Kids muss es gefallen“, sagt Steinki, „doch die Mütter entscheiden zumeist.“

„Wir denken vom Produkt und nicht vom Marketing“

Nachhaltigkeit: Fast alle Taschen sind aus Recyclingmaterialien genäht, 51 ausgediente PET-Flaschen liefern das Garn für ein ergobag-Rucksackset. Die gesamte Wertschöpfungskette von der Fabrik in Vietnam bis zum Point of Sale ist nach sozialen und ökologischen Kriterien zertifiziert, das Unternehmen gibt einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht heraus. Vergleichbares leisten sich sonst nur die Großen. Auf der Website ist jeder Lieferant in Vietnam und China namentlich genannt und beschrieben, sogar der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Näherinnen wird ausgewiesen. Gerade mal etwa fünf Prozent vom Umsatz investieren die Kölner in Werbung und Image. „Wir sind nicht marketinggetrieben“, sagt Steinki, „wir denken vom Produkt.“ Und das heißt: zielgruppenspezifische Marken aufbauen, glaubwürdig sein.

Eigentlich ist das immer der richtige Weg, es wird nur gerne mal vergessen. Auch deshalb haben die FOND-OF-Macher für ihre unternehmerische Performance inzwischen zahlreiche Preise erhalten: den deutschen Marken-Award etwa, den Deutschen Gründerpreis, den Deutschen Nachhaltigkeitspreis oder den Red Dot Design Award.

Sieben Marken in neun Jahren, und das ist nicht das Ende. Klingt anstrengend, doch Oli sitzt entspannt im Ohrensessel seines Büros, T-Shirt statt Sakko. „Wir haben zum Glück immer gute Leute bekommen“, sagt er. Jede Marke wird wie eine Tochter von einem Manager mit eigenem Team geführt. Das Ziel: am und nicht im Unternehmen arbeiten. Abgeben können ist deshalb ein weiterer Erfolgsbaustein, genauso wie kluges Recruiting – etwa wenn man es als Start-up schafft, langjährige Führungskräfte von Amazon, Nike oder Asics an sich zu binden. FOND OF versteht sich als „Plattform für Entwicklung, Potenzialentfaltung und persönliches Wachstum“. Das Durchschnittsalter liegt bei 34, Duzen ist selbstverständlich. Das Betriebsklima hat etwas Spielerisches, die Firma nennt es „playful performance“. Das Positive steckt schon im Firmennamen: FOND OF, das heißt so viel wie „von etwas begeistert sein“. Lediglich eine einstellige Anzahl Mitarbeiter sind seit Gründung wieder freiwillig gegangen, beim Bewertungsportal kununu erhält FOND OF meist ziemlich gute Noten.

1000 Mitarbeiter sind das Ziel

Begeisterung tagtäglich, immer hellwach? „Die Gründerdynamik zu halten“, sagt Co-Gründer Sven-Oliver Pink, „ist unsere größte Herausforderung.“ Erklärtes Ziel: „Im Kopf immer Start-up, egal wie groß wir werden.“ Alle sechs Wochen wird auf einem Teamabend informiert und heftig diskutiert, einmal im Jahr eine Reise, mitunter geht es sogar auf ein Segelschiff vor Korsika.

Ein ganz anderes Schiff entsteht derweil nur wenige Kilometer entfernt. Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld wird in diesen Wochen der Rohbau für den neuen siebengeschossigen Bürokomplex The Ship fertiggestellt, der das digitalste Bürogebäude Deutschlands werden soll. Er ist ein Traum für Technologiefreaks. Die Haustechnik erkennt die Anzahl der Menschen in einem Raum, steuert Licht und Klima automatisch. Schlüssel oder Lichtschalter? Braucht man nicht. Eine App lotst Besucher automatisch zum richtigen Gesprächspartner, Mitarbeiter sehen am Smartphone die ak­tuelle Belegungsdichte von Kantine und Fitnessstudio. Vor allem aber soll das Schiff Menschen mit Ideen anziehen.

Es ist die bisher größte Einzelinvestition des Unternehmens, und das stemmt auch ein Erfolgs-Start-up nicht mal eben so. Die Deutsche Bank hat geholfen, von der landeseigenen Förderbank ein besonders flexibles Darlehen zu erhalten. Seit Jahren finanziert die Bank als Hausbank das Wachstum, bei Start-ups keine Selbstverständlichkeit. Die Bank begleitet die Internationalisierung, finanziert das Working ­Capital entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Südostasien bis zum Point of Sale. „FOND OF ist in einer Größenordnung, in der sie das gesamte Portfolio einer global aufgestellten Hausbank abrufen können“, sagt der zuständige Berater.

Wie geht es weiter? Rund 250 Mitarbeiter beschäftigen die drei Gründer heute, 1000 „gute Arbeitsplätze“, so Steinki, sollen es einmal sein. Dafür gibt es keine Milestones, aber Ehrgeiz: „Gefühlt schalten wir gerade erst in den zweiten Gang“, sagt er. Die Taschenmarke ­Aevor wird vielleicht einmal so erfolgreich wie Eastpak, Affenzahn kommt gerade mit Kinderschuhen auf den Markt. Und warum nicht irgendwann auch Sneaker? FOND OF BAGS hieß das Unternehmen bis vor zwei Jahren, die „Bags“ im Namen sind entfallen. Alles ist möglich, selbst ein Elektroauto wäre denkbar – theoretisch zumindest. „Wir wollen noch weitere Marken aufbauen“, sagt Steinki. In Euskirchen entsteht gerade ein eigenes Logistikzentrum, Bestellung bis 16 Uhr, Lieferung am nächsten Tag. Und falls es doch mal zu ruhig werden sollte, haben sich die Gründer an sieben weiteren Start-ups beteiligt. Denn eins ist klar: Nur sieben Marken, das wäre dann doch ein wenig langweilig.

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Video: Mut, Motivation, Marke: FOND OF rollt den Taschenmarkt auf

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results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 2-2019