„Der Blick auf Nachhaltigkeit hat sich verändert“

Wo stehen Mittelständler heute in puncto Nachhaltigkeit? Lavinia Bauerochse von der Deutschen Bank erklärt im Interview, wie sich der Blick auf ESG verändert hat, welche Herausforderungen es noch gibt und wo es künftig einfacher werden wird.

Lavinia Bauerochse ist Global Head of Sustainable Finance der Deutsche Bank Corporate Bank. BILDQUELLE: DB

Lavinia Bauerochse ist Global Head of Sustainable Finance der Deutsche Bank Corporate Bank. BILDQUELLE: DB

Frau Bauerochse, in den USA scheint es einen richtigen Roll-back von Diversität und Nachhaltigkeitsbewusstsein zu geben. Und auch hierzulande scheint das Interesse an diesen Themen abgenommen zu haben. Beobachten Sie das auch bei Ihren Kunden?

Das Interesse ist bei den Unternehmen – und auch bei uns als Bank – nicht geringer geworden. Aber wir sehen einen veränderten Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen. Lange haben sich viele Unternehmen vor allem auf die regulatorischen Anforderungen konzentriert, insbesondere beim Reporting. Das wurde häufig als Belastung, als weiterer bürokratischer Aufwand betrachtet. Mittlerweile rückt der Fokus stärker auf die Chancen, die zukunftsorientiertes, nachhaltiges Handeln bietet. Das Mindset ist anders.

Welche Chancen werden gesehen?

Nachhaltigkeit bietet Wettbewerbsvorteile. Nur zwei Beispiele: Wer seine CO2-Emissionen senkt, reduziert damit sehr oft auch seinen externen Energieverbrauch. Das spart Kosten, erst recht angesichts der hohen Energiekosten in Deutschland. Und wer nachhaltiger wirtschaftet, hat häufig eine bessere Positionierung bei Kunden und Mitarbeitern.

„Deutsche Unternehmen sehen, was in China passiert. Dort wird unter anderem massiv in neue Energietechnologien investiert.“

Woher kommt der Perspektivwechsel? Haben die Unternehmen ihre Reportings alle im Griff und können sich jetzt mehr um die Zukunftsfähigkeit kümmern?

Es gibt mehrere Gründe für dieses Umdenken, und das ist einer davon. Aber noch sind längst nicht alle Unternehmen beim Reporting gut aufgestellt. Ein weiterer Grund: Deutsche Unternehmen sehen beispielsweise, was in China passiert. Dort wird unter anderem massiv in neue Energietechnologien investiert, die Unternehmen gewinnen dadurch im weltweiten Wettbewerb Vorteile. Ganz wichtig ist aber auch, dass das „Omnibus-Paket“, das die EU-Kommission Ende Februar vorgestellt hat, die bürokratischen Anforderungen für Unternehmen – insbesondere den Mittelstand – vereinfachen und reduzieren wird. Für viele Mittelständler entfallen dadurch Berichtspflichten, für andere werden sie um zwei Jahre verschoben. Alles ist noch nicht verabschiedet. Aber wir begrüßen diese Entwicklung, denn sie entlastet Unternehmen.

Wer sich bereits frühzeitig um seine Datenerhebung gekümmert hat, hat nun das Nachsehen?

Wir sehen schon jetzt, dass auch Unternehmen, die eigentlich keinen Nachhaltigkeitsbericht mehr schreiben müssten, trotzdem ihre Daten weiter erheben werden. Das machen sie auch aus Eigeninteresse: Nur so wissen sie genau, wo wie viel Energie verbraucht wird, und können dort gezielt ansetzen, um Energiekosten zu sparen.

Auch nach Omnibus wird die Wesentlichkeitsanalyse Teil der Berichtspflicht bleiben. Die hat auch viel Aufwand bedeutet.

Aber sie soll fokussierter werden. Der Aufwand sinkt dadurch für Bereiche, die eh weniger relevant waren. Das wird den strategischen Mehrwert der Wesentlichkeitsanalyse noch stärken.

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Trotzdem bleibt für viele Mittelständler – ob gesetzlich verpflichtet oder vielleicht (noch) nicht – das Thema Nachhaltigkeit aufwendig. Dabei würden sich viele lieber auf die zahlreichen Herausforderungen auch auf anderen Feldern konzentrieren.

Wir sehen natürlich, dass kleinere Unternehmen häufig zu wenig Kapazitäten haben. Ihnen muss geholfen werden, und dazu wollen auch wir als Bank über Finanzierungsthemen hinaus beitragen. Darum haben wir eine „Corporate Sustainability Suite“ für die Unternehmensbank zusammengestellt, die an unterschiedlichen Themen ansetzen und damit Unternehmen entlasten kann. Dazu gehören unter anderem ein CO2-Rechner, Beratung bei der Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie, aber auch Unterstützung bei der Analyse von Unwetterrisiken oder ganz konkrete Umsetzungshilfe bei einer neuen Heizungsanlage. Wir haben dafür renommierte Partner wie Zurich oder Buderus, Schufa, leadity oder Plan A gewonnen. Weitere Elemente kommen in diesem Jahr noch hinzu. Und mit unseren eigenen Leistungen – von Publikationen über Kundenbeispiele bis hin zur Finanzierung möglicher Maßnahmen – wird das eine runde Sache.

„Wir haben Kunden, die sind ganz engagiert bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Andere beginnen erst jetzt, sich Gedanken zu machen. In zwei Jahren werden wir alle deutlich weiter sein – allein, weil Daten einfacher verfügbar sind und aufbereitet werden können.“

Welches dieser Angebote wird denn derzeit am meisten nachgefragt? Womit befassen sich die Unternehmen derzeit?

Das variiert je nach Branche und Unternehmen. Für einen Händler ist die Lieferkette besonders relevant, der Metallproduzent wird sich zuerst um seinen Energieverbrauch kümmern. Bei einem Nahrungsmittelhersteller steht das Thema Biodiversität ganz oben. Wer aber schon erlebt hat, dass seine Produktion wegen eines Unwetters unterbrochen wurde, der wird sich besonders um diesen Bereich kümmern. Und Unternehmen sind ja auch unterschiedlich weit fortgeschritten bei der Nachhaltigkeit. Wir haben Kunden, die sind ganz engagiert bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Andere beginnen erst jetzt, sich Gedanken zu machen. In zwei Jahren werden wir alle deutlich weiter sein – allein, weil Daten einfacher verfügbar sind und aufbereitet werden können. Wichtig ist der Fokus auf die Chancen und Möglichkeiten, die sich für ein Unternehmen in dem Kontext bieten.

Stehen Unternehmen, die erst jetzt anfangen, sich mit Nachhaltigkeit zu befassen, dem Thema eher reserviert gegenüber?

Auch das kann man nicht pauschalisieren. Ganz oft liegt es an mangelnden Kapazitäten im Unternehmen. Darum ist es uns auch so wichtig, diese Unternehmen zu unterstützen. Um rasch mit der Umsetzung von Maßnahmen beginnen können, ist es entscheidend, sein Vorgehen zu strukturieren. Denn wir sehen: Die Ablehnung von Nachhaltigkeit ist größer, wenn sich noch niemand damit wirklich befasst hat. Wer sich bereits auf den Weg gemacht hat und beispielsweise eine Wesentlichkeitsanalyse abgeschlossen hat, der erkennt für sich die Chancen.

Mehr als 200.000 Unternehmen sollen in diesem Jahr an einen Nachfolger übergeben werden. Merken Sie, dass es da einen Generationenunterschied beim Stellenwert von Nachhaltigkeit gibt?

Tendenziell steht die Nachfolgegeneration Nachhaltigkeit offener gegenüber. Sie erkennt vielleicht schneller die Chancen von Nachhaltigkeit und auch die Kosten, die eine Vernachlässigung haben kann. Das ist aber nicht schwarz-weiß zu sehen; in allen Generationen gibt es viele Ausnahmen dieser grundsätzlichen Beobachtung. Wir sehen zumindest, dass die Nachfolger entsprechende Veränderungen angehen und das als Investition in die Zukunft sehen.

Die Umsetzung der Maßnahmen kostet aber – da ist dann auch beispielsweise die Bank als Finanzierer gefragt. Wie ist die aktuelle Finanzierungssituation in dem Bereich?

Bauerochse: Das kommt immer auf den Finanzierungsbereich an, beispielsweise, ob es um OpEx oder CapEx geht. Bei der Finanzierung einer neuen Produktionsanlage zum Beispiel, die Verbrauchskosten einspart, könnte man vielleicht eine günstigere Förderkomponente nutzen. Aber das erfordert auch wiederum Reporting. Ein Kunde von uns hat eine Windkraftanlage finanziert. Er zog es vor, nicht auf den Förderbescheid zu warten. Die Investition hat sich auch so gerechnet. In anderen Fällen kann die Förderung aber tatsächlich den Unterschied in der Rentabilität machen. Das sollte im Vorfeld geprüft werden.

Jetzt haben wir ausführlich über die Lage bei den Unternehmen gesprochen. Wieso ist Nachhaltigkeit für die Bank ein relevantes Thema?

Zuerst einmal haben wir unsere eigenen Nachhaltigkeitsziele, zu denen wir nach wie vor stehen. Wir bewegen uns aber auch in einem regulierten Markt, in dem Vorgaben zu erfüllen sind. Wer im Bereich Nachhaltigkeit nichts oder zu wenig unternimmt, hat höhere Risiken als andere Unternehmen – mit möglicherweise kreditmateriellen Auswirkungen. Unsere Aufgabe als Bank ist es, Risiken zu managen: einmal für die Bank selbst und dann heruntergebrochen auf jeden einzelnen Kunden. Wir könnten uns nun, um Risiken zu reduzieren, von Kunden trennen. Oder – das ist unser Ansatz – wir unterstützen Unternehmen partnerschaftlich bei der Transition mit entsprechenden Finanzierungen, aber eben auch mit Tools und Angeboten wie in der „Corporate Sustainability Suite“. Davon profitieren dann alle mehr.

07/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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