Die schwierige Rückkehr ins Büro

Auch wenn wegen der 4. Corona-Welle die große Rückkehr ins Büro verschoben ist, dürfte es selbst später schwierig werden. Unternehmen werden sich viel einfallen lassen müssen, um die Büroflure auch nach Corona wieder zu füllen.

Ein fast leeres Büro

Alles schläft, einsam wacht..? Nein, auch im Home Office wird engagiert gearbeitet – und viele Arbeitnehmer haben sich daran längst gewöhnt und wollen zumindest nicht mehr Vollzeit ins Büro zurückkehren. Foto: adobe stock

In den US-Wirtschaftsblättern wird derzeit eine Frage vielfach gestellt: „Wo sind die Mitarbeiter geblieben?“ Tatsächlich wächst die Wirtschaft deutlich, doch 7 Millionen US-Amerikaner sind nicht an ihren oder auch an einen anderen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Insgesamt haben seit April 2021 mindestens 19 Millionen US-Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber gekündigt, mehr denn je. Dafür gibt es viele Gründe, die sich zwar nicht einfach auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen, doch auch hierzulande dürfte die Pandemie viele Arbeitnehmer zum Nachdenken gebracht haben: über die Endlichkeit des Lebens, die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit, die Wertschätzung ihrer Arbeit. In Deutschland wird deshalb nicht gleich gekündigt, zumindest nicht schriftlich – dafür aber vielleicht im Kopf. Wie groß das Ausmaß dieser Verschiebung von Arbeitnehmerprioritäten wird, ist hierzulande noch gar nicht abschätzbar, weil in vielen Unternehmen eine Rückkehr ins Büro noch nicht auf dem Plan steht. Absehbar ist aber schon heute: Es wird eine Gratwanderung für Arbeitgeber werden, ihre Büros wieder zu füllen, ohne dadurch gute Mitarbeiter zu verlieren. Das gilt auch für die Arbeitgeber, die sich auf hybrides Arbeiten in der „neuen Normalität“ eingestellt haben und damit rechnen, dass nur ein Teil der Arbeitszeit im Büro stattfinden wird.

Bei Rückkehrzwang Kündigung

„The great resignation“ haben US-Ökonomen das Phänomen in den USA getauft, als im April 2021 auffällig viele Arbeitnehmer ihre Jobs kündigten. In den Folgemonaten verstärkte sich sogar noch der Trend, der zuerst in der Gastronomie- und Beherbergungs- sowie in der Unterhaltungsbranche sichtbar geworden war. Dabei schien nach einer umfangreichen Impfkampagne und bei zurückgehenden Ansteckungszahlen eine Rückkehr zur Normalität wieder vielerorts möglich zu sein. Auch in Deutschland leiden Gastronomen trotz Wiedereröffnung unter der massenhaften Abwanderung ihrer Kräfte in andere Branchen wie den Einzelhandel, die bessere Arbeitszeiten und weniger Stress versprechen.

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40%

der Befragten US-Amerikaner gaben an, den Arbeitsplatz wechseln zu wollten, sollten sie rasch vollständig wieder im Büro arbeiten müssen.

Die Kündigungswelle im Service dürfte durch sein, dafür droht sie jetzt bei Bürotätigkeiten, sobald Unternehmen wieder in den Normalbetrieb zurückkehren wollen. Dem amerikanischen „Survey of Working Arrangements and Attitudes“ vom Juni 2021 zufolge erwägen mehr als 40 Prozent der Befragten, den Arbeitsplatz zu wechseln, sollten sie schon rasch vollständig ins Büro zurückkehren müssen. Nach einer britischen Befragung von CV-Library sind mehr als 55 Prozent der Befragten besorgt („anxious“), ins Büro zurückzukehren. Das hat aber nur bei jedem Dritten mit der Sorge vor einer Covid-19-Ansteckung zu tun. Viele möchten auf die Vorteile des Home Office nicht mehr verzichten: flexibler, weniger Pendel-Zeit, höhere Produktivität – das sind die Standardantworten. Hinzu kommt, dass sich viele Mitarbeiter nach inzwischen bald zwei Jahren Pandemie einfach ans Home Office gewöhnt haben. Die Technologie steht, man hat sich an den veränderten Arbeitsablauf und die heimische Umgebung gewöhnt. Zugleich sind Probleme aus den Lockdowns wie die Doppelbelastung durch die Nebenbei-Betreuung jüngerer Kinder inzwischen entfallen. Warum also zurückkehren – erst recht dauerhaft? Eine Befragung von Korn Ferry in den USA aus dem August 2021 zeigt, dass rund 22 Prozent ihre Rückkehr ins Büro nicht vor 2022 erwarten – und ein Drittel antwortete mit „nie“.

Die Chefs sehen die Nachteile stärker

Vorgesetzte hingegen schauen oftmals anders auf die Situation. Das hat manchmal ganz banale Gründe: Der Chef möchte sehen, wer wie lange arbeitet. Doch auch progressivere Führungskräfte erkennen, dass die dezentrale Arbeit zwar für den Einzelnen viele Vorteile bieten mag, dafür aber Zusammenhalt, Kreativität und Wettbewerbsgeist unter der selbstgewählten Vereinzelung leiden. Und sie sehen auch die teils massiven psychischen Auswirkungen, die die Einsamkeit im Home Office haben kann. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Videokonferenzen und Co. zwar vieles an Kommunikation auffangen können, aber gerade die Vorteile informeller Kommunikation „an der Kaffeemaschine“ nicht ersetzen. „Es sind nämlich gerade diese teils zufälligen Begegnungen, die durch ganz unterschiedliche Positionen Reibung erzeugen“, erläutert Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research: Wenn der Controller auf den Entwickler trifft, Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Teams zusammenkommen, kann Neues entstehen. „Solche Begegnungen finden online nicht statt, weil Online-Austausch nicht zufällig, sondern in aller Regel nach festen Vorgaben stattfindet.“

Praktische Gestaltung der hybriden Arbeit

Eine Mehrheit der Mitarbeiter möchte allerdings auch gar nicht dauerhaft ins Home Office umziehen. Und die meisten modernen Unternehmen haben verstanden, dass die Zeit der Vollpräsenz vorüber ist. Sie bieten darum hybride Lösungen an: teilweise im Büro, teilweise außerhalb des Büros. Durch Corona-Lockdowns steht die Infrastruktur im Home Office inzwischen meistens, die Büroinfrastruktur sowieso. Die Schwierigkeit liegt aber darin, beide Welten miteinander zu verschmelzen. Der typische Ansatz: Büroflächen werden reduziert, die Büroarchitektur offener gestaltet. Der Markt für Büroimmobilien zeigt sich derzeit dennoch recht stabil. Allerdings nur im Bereich neuer Entwicklungen, die diese Trends bereits berücksichtigen. Büroimmobilien, die keine offenen Flächen und Freiräume zum sozialen Austausch bieten, sind wenig nachgefragt. Einer Untersuchung von PwC zufolge planen 60 Prozent der deutschen Unternehmen, ihre Büroflächen zu reduzieren, durchschnittlich um ein Fünftel.

„Wo es z.B. um das Abarbeiten vordefinierter Abläufe geht oder eine ruhige Arbeitsatmosphäre nötig ist, bietet sich die Arbeit im Home Office an.“

Marc Schattenberg, Deutsche Bank Research

Doch auch das birgt Risiken für die Arbeitgeber: Es ist noch unklar, wie die Mitarbeiter darauf reagieren werden, wenn sie ihren festen Arbeitsplatz aufgeben und ihre Materialien in einem Rollcontainer zwischenlagern müssen. Auch sind viele praktische Fragen offen: Sollten – wegen der besseren Kommunikation – alle Mitarbeiter zugleich an festen Tagen im Büro sein? Dann wird es aber weiterhin die bisherige Bürofläche brauchen. Oder gibt es, wie während der Lockdowns vielfach praktiziert, alternierende Teams, sodass immer nur eine Hälfte des Teams im Büro ist? Wie frei werden die Mitarbeiter sein, ihre Präsenztage auszusuchen? Wie werden reduzierte Arbeitsplätze bei größerem Andrang vergeben?

Die jungen Kollegen möchten lieber ins Büro

„Die Fragen sind eigentlich nicht neu“, weiß Schattenberg. „In einigen Branchen wie Unternehmensberatungen oder in Unternehmensbereichen wie Sales sollten die Mitarbeiter eigentlich überwiegend beim Kunden und nicht im eigenen Büro sein.“ Auch hier haben erste Erfahrungswerte gezeigt, welche Büroinfrastruktur zukünftig vorgehalten werden sollte. Schattenberg empfiehlt eine Analyse der jeweiligen Tätigkeiten: „Wo es z.B. um das Abarbeiten vordefinierter Abläufe geht oder eine ruhige Arbeitsatmosphäre nötig ist, bietet sich die Arbeit im Home Office an.“ Wenn große Teile ganzer Abteilungen ins Home Office verlagert werden, müssen aber auch potenziell negative Effekte berücksichtigt werden. Allerdings nimmt solch eine funktionale Einteilung wenig Rücksicht auf persönliche Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter. Nicht jeder und jede hat die notwendige Arbeitsumgebung, nicht jeder möchte allein arbeiten. Gerade junge Menschen – also die Generation, die bislang besonders auf die Work-Life-Balance Wert gelegt hat – möchten lieber ins Büro gehen. Oft fehlen zuhause die räumlichen Voraussetzungen für produktive Arbeit daheim. Ältere Mitarbeiter hingegen, das zeigen aktuelle Studien, sind weniger darauf erpicht, ins Büro zurückzukehren. Sie haben eher ein soziales Umfeld, leben weiter weg vom Arbeitsplatz „im Vorort“ – und verfügen nach vielen Jahren gemeinsamer Arbeit über die informellen Kontakte und Netzwerke, die jungen und neuen Mitarbeitern noch fehlen.

Es geht um den Sinn

Welche mittel- und langfristigen Folgen die hybride Arbeit in gemischten Teams auf Produktivität und Erfolg von Mitarbeitern, Teams und Unternehmen haben wird, wird sich vielfach erst in den kommenden Jahren zeigen. Unternehmen wie Intel geben allen Teams darum ein halbes Jahr des Ausprobierens. In dieser Zeit stehen die bisherigen Arbeitsplätze weiter zur Verfügung; doch wer danach dauerhaft (teilweise) im Home Office arbeiten möchte, wird sich dann mit einem Springer-Arbeitsplatz begnügen müssen. Mindestens so lange, schätzt Intel, werde es brauchen, damit Mitarbeiter und Teams Erfahrungen mit der neuen Zusammenarbeit sammeln können. Vorher lassen sich beispielsweise auch die Auswirkungen auf die eigene Karriere (Sind Kollegen, die vor Ort nah beim Chef arbeiten, sichtbarer und haben darum bessere Chancen auf Beförderung?) schwer simulieren. Das halbe Jahr „Probezeit“ bei Intel soll allerdings erst starten, wenn Normalbetrieb wieder möglich ist. So schnell wird es also nicht losgehen.

Und es wird sich erst dann zeigen, ob sich die Arbeitgeber auch so weit verändert haben, wie es die Arbeitnehmer wünschen, bei denen die menschliche Komponente mehr denn je im Vordergrund steht. „Echte Interaktion statt nur Transaktion“, schreibt McKinsey in einem aktuellen Beitrag für das hauseigene Quarterly, sei entscheidend geworden. Dazu brauche es Empathie und ein echtes Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeiter, sonst würden diese dem Unternehmen den Rücken kehren. Das „Ghosting“ – das sang- und klanglose Kappen aller Kommunikation in einer Beziehung – sei bereits zunehmend bei Bewerbern in den USA zu beobachten, indem diese keine Rückmeldung auf Arbeitsvertragsentwürfe geben oder am ersten oder zweiten Arbeitstag nicht erscheinen. Es könnte sein, dass die Corona-Pandemie nicht nur ein Katalysator für die Digitalisierung ist, sondern auch bei vielen Arbeitnehmern die Prioritäten verschiebt, was Unternehmen vor große Herausforderungen stellen wird, lange nach dem Ende der Pandemie. Die Thematik Work-Life-Balance ist in der Breite der Belegschaft angekommen.

11/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.