Nigeria: viel mehr als Öl

Covid-19 hat das größte Land Afrikas an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, nämlich beim Öl. Trotzdem ist das Land für den deutschen Mittelstand hoch attraktiv. Die Europäer drohen allerdings im Wettlauf um einen riesigen Markt zurückzufallen.

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Voll, laut, lebendig: Der Balogun-Markt in Lagos ist ein typisches Stück Nigeria. Doch das Land hat auch moderne Tech-Quartiere zu bieten. Foto: picture alliance / AP Photo | bjones

Das bevölkerungsreichste Land Afrikas mit der größten Volkswirtschaft des Kontinents ist eine Verheißung für den deutschen Mittelstand. Allerdings ist Nigerias Ruf bei hiesigen Unternehmen nicht der beste: „Boko Haram“ oder „Nigeria Connection“ dürften vielen als Erstes einfallen. Und tatsächlich sind Terror, Korruption und Betrug ein Teil von Nigeria. Doch da ist auch eine andere Seite: eine hochmotivierte, immer besser ausgebildete und sehr junge Bevölkerung, die neuen Technologien aufgeschlossen gegenübersteht. Die großen amerikanischen Tech-Konzerne haben hier längst einen regionalen Hub aufgebaut, das Mobiltelefon funktioniert als Bank in allen Lebenslagen und die Internetanbindung ist in Lagos besser als in den meisten Regionen Deutschlands.

„Jeden Tag werden neue Unternehmen gegründet.“

Stefan Euchenhofer, Geschäftsführer Peri Nigeria

„Es gibt sehr viel Eigeninitiative in Nigeria, jeden Tag werden neue Unternehmen gegründet“, beobachtet Stefan Euchenhofer. Der Ingenieur und Jurist hat sein gesamtes Berufsleben in der Baubranche verbracht und lebt seit über 20 Jahren in Afrika. Seit vier Jahren leitet er die nigerianische Tochtergesellschaft von Peri, einem mittelständischen Spezialisten für Schalungen und Gerüste aus dem bayerischen Weißenhorn, der weltweit rund 1,7 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. „Gerade die Kinder aus den wohlhabenderen Familien wollen gern im Land bleiben und eine Existenz aufbauen. Es fehlen aber nach wie vor qualifizierte Arbeitsplätze.“

Corona schrumpft die Erdöleinnahmen

Neue Arbeitsplätze zu schaffen ist derzeit schwer, denn Nigeria steckt in der Krise. Mit nicht einmal 1.000 Infektionen am Tag und weniger als 2.000 Toten bei knapp 200 Millionen Einwohnern steht Nigeria nach offiziellen Zahlen zwar erheblich besser da als alle europäischen Länder. Auch wenn kaum getestet wird, so ist doch sicher: Im täglichen Leben ist die Krankheit wenig präsent, die vorwiegend junge Bevölkerung ist bislang kaum betroffen.

200 Millionen Einwohner

bedeuten einen großen Absatzmarkt und ein fast unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften

Doch das ist nur die medizinische Seite der Pandemie. Die wirtschaftliche hat Nigeria voll erwischt. Das liegt nicht in erster Linie an der Schließung von Geschäften. Zwar erlebte auch Nigeria im April 2020 einen kompletten Lockdown, der aber rasch wieder aufgehoben wurde. Die Corona-Keule kam aus einer ganz anderen Richtung: Nigeria hängt zu über 90 Prozent seiner Exporteinnahmen am Erdöl, der Sektor steht für ein Drittel des BIP und über die Hälfte der staatlichen Einnahmen auf Bundesebene. Durch Corona verfiel der Ölpreis und die Absatzmenge verringerte sich drastisch. Die Kombination hatte dramatische Auswirkungen: Inflation von mehr als 15 Prozent, Währungsabwertung von etwa 25 Prozent im Jahr 2020, ein quantitativ noch nicht abzuschätzender Konjunktureinbruch und eine Verstärkung sozialer Unruhen, die zum Teil gewaltsam niedergeschlagen wurden.

„Nigeria wurde in seiner wirtschaftlichen Entwicklung fünf oder sechs Jahre zurückgeworfen.“

Andreas Voss, Leiter der Repräsentanz Deutsche Bank Nigeria

Auch wenn der Ölpreis mittlerweile wieder angezogen hat: „Ich gehe davon aus, dass Nigeria in seiner wirtschaftlichen Entwicklung fünf oder sechs Jahre zurückgeworfen wurde“, sagt Andreas Voss, der seit 2015 die nigerianische Repräsentanz der Deutschen Bank leitet und zusätzlich das Trade Finance für die Region Subsahara verantwortet. Schon bei seinem Amtsantritt hatte ein Verfall der Commodity-Preise Nigeria in eine mehrjährige Krise gestürzt.

Der deutsche Mittelstand macht gutes Geschäft …

Trotz vieler Schwierigkeiten haben deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren in Nigeria durchaus gute Erfahrungen gemacht. Einige Hundert sind im Land aktiv, neben Peri zahlreiche weitere größere Mittelständler wie Alfred Kärcher, Claas, Hansgrohe, Putzmeister, Schüco oder Stihl. Die meisten haben über die Jahre hinweg ordentliches Geld verdient. Alle plagen sich allerdings mit einem großen Problem: den umfassenden Devisen- und Importbeschränkungen.

Nach Angaben der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) beschränkt die nigerianische Zentralbank seit 2015 die Vergabe von Devisen für Importe bestimmter Waren wie Nahrungsmittel, Baumaterialien, Kosmetika, Haushaltswaren, Textilien, Möbel und Düngemittel, um deren lokale Fertigung zu fördern. Für rund 40 Produktgruppen wird keine Fremdwährung zum offiziellen Kurs zugeteilt, weshalb Importeure die für die Zahlungsabwicklung notwendigen Devisen auf Parallelmärkten besorgen müssen. Seit August 2020 muss der nigerianische Importeur seine Waren außerdem direkt vom Hersteller beziehen, um Devisen zu erhalten.

Afrika treibt Innovation, Nigeria ist vorn

Viele Geschäfte mit Nigeria werden durch diese Regelungen verhindert. Aber auch wenn ein Deal zustande kommt, warten weitere Probleme: „Trapped Cash“ treibt derzeit viele Treasurer weltweit um. Auch Nigeria wacht darüber, das Geld im Lande zu halten. Peris Nigeria-Geschäftsführer Euchenhofer freut sich darum über innovative Lösungen von regionalen Fintechs, die einen raschen und legalen Transfer von Geld nach Deutschland ermöglichen.

… aber er bleibt daheim

Bei allen Schwierigkeiten: Nigeria bietet enormes Potenzial für den deutschen Mittelstand, und zwar nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Zuliefermarkt für Dienstleistungen. Die gute IT-Infrastruktur, zahlreiche gut ausgebildete und erfolgshungrige junge Menschen sowie das relativ niedrige Lohnniveau liefern hervorragende Voraussetzungen. Viele europäische Unternehmen haben in der Pandemie gelernt, dass virtuelle Zusammenarbeit funktioniert und der Lieferant nicht unbedingt im nächsten Ort ansässig sein muss.

Die Anbahnung einer Geschäftsbeziehung funktioniert allerdings nur vor Ort. Aktuell ist von den deutschen Unternehmen und ihren europäischen Pendants in Nigeria aber kaum etwas zu sehen. Durch die Reisebeschränkungen kommen derzeit kaum Geschäftsreisende aus Europa. Das könnte nach hinten losgehen, weil andere Regionen Nigeria längst entdeckt haben und weniger Berührungsängste zeigen. Neben China haben vor allem Indien und einige Staaten aus dem Mittleren Osten den westafrikanischen Markt fest in den Blick genommen. „Wir dürfen nicht glauben, dass wir in ein paar Jahren einfach wiederkommen und dort weitermachen können, wo wir aufgehört haben“, warnt Banker Voss. „Die Märkte in Subsahara entwickeln und verändern sich schnell.“

03/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.