Der Bodensee – Modellregion für Europa

Die Bodenseeregion mit ihren vier Anrainerstaaten gehört zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen in Europa und ist ein Modell für einen zukunftsfähigen und grenzüberschreitend vernetzten Lebens- und Wirtschaftsraum. Für den Bankenmarkt und die Unternehmensfinanzierung gilt das nur eingeschränkt. Insbesondere das Firmenkundengeschäft ist noch stark von Ländergrenzen dominiert.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bodenseeregion lag im Jahr 2019 bei 272 Milliarden Euro und machte damit gut sechs Prozent der Wirtschaftskraft der vier beteiligten Nationalstaaten aus. Foto: adobe stock

Der Bodenseeraum ist nicht nur Rückzugsgebiet für Urlauber in der Ferienzeit. Die Region im Vierländereck Deutschland, Schweiz, Liechtenstein und Österreich ist auch bekannt für ihre rege grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit. Zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pendeln tagtäglich über die nationalen Grenzen zu ihrem Arbeitsplatz, es existiert ein einzigartiges Geflecht von Kooperationsbeziehungen und die Region ist Heimat vieler national und international erfolgreich agierender Industrieunternehmen.

Wirtschaftlich zählen die Bodenseeanrainer zu den dynamischsten Regionen in Europa, sie sind in zahlreichen Rankings in der Spitzengruppe zu finden. So ist das Nordufer des Bodensees mit Friedrichshafen und Ravensburg einer der prosperierendsten Räume in Deutschland, was Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftsdynamik und Arbeitsmarkt angeht.

Gleiches gilt für das Bundesland Vorarlberg in Österreich. Und der Metropolraum Zürich, dem große Teile der Schweizer Gebiete im westlichen Bodenseegebiet zugerechnet werden, ist unbestritten eines der drei Wirtschaftszentren der Schweiz. Darüber hinaus gehört das Rheintal mit seinen Gebieten im Kanton St. Gallen, dem Fürstentum Liechtenstein und Vorarlberg zu den wichtigsten Industriestandorten. Zahlreiche global tätige Unternehmen haben ihren Sitz – und teilweise auch ihre Wurzeln – im Bodenseeraum (siehe Kasten).

Grenzüberschreitend vernetzter Lebens- und Wirtschaftsraum

Die internationale Bodenseeregion setzt sich aus Gebieten von zehn Bundesländern beziehungsweise Kantonen aus vier Nationalstaaten – Deutschland, Schweiz, Liechtenstein und Österreich – zusammen. Laut Statistikplattform Bodensee ist sie Heimat von 4,1 Millionen Menschen und 1,9 Millionen Erwerbstätigen. Von den Erwerbstätigen sind rund 74 Prozent im Dienstleistungssektor und 25 Prozent im produzierenden Gewerbe tätig. In der Landwirtschaft sind weniger als 2 Prozent beschäftigt.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bodenseeregion lag im Jahr 2019 bei 272 Milliarden Euro und machte damit gut sechs Prozent der Wirtschaftskraft der vier beteiligten Nationalstaaten aus. Das BIP pro Kopf betrug 66.000 Euro. Für nicht wenige ist die Bodenseeregion ein Modell eines zukunftsfähigen und grenzüberschreitend vernetzten Lebens- und Wirtschaftsraums.

Rund um den See haben eine Reihe namhafter Konzerne und Mittelständler ihren Sitz. Größere Unternehmen wie ZF, MTU, Airbus, Zeppelin, Liebherr, Doppelmayr, Zumtobel, Hilti, Bühler, Georg Fischer oder Leica, um nur einige zu nennen, zählen in ihren Branchen zu den Weltmarktführern. Gleiches gilt für etliche KMU, die als „Hidden Champions“ ihre internationalen Märkte dominieren.

Aufgrund seiner starken Wirtschaftskraft ist der Bodenseeraum auch ein hochinteressanter Markt für Banken und Finanzdienstleister. Entsprechend hoch ist die Bankendichte. Es gibt ein reichhaltiges Angebot an Finanzdienstleistungen von einer Vielzahl von Anbietern – vom klassischen Privatkundengeschäft über die Vermögensverwaltung bis hin zum Firmenkreditgeschäft. Der Wettbewerb unter den Banken ist intensiv, die Dienstleistungsqualität in der Regel hoch.

Vermögensverwaltung im Fokus

Die meisten Banken wollen in der Vermögensverwaltung wachsen, um ihre Abhängigkeit vom Zinsdifferenzgeschäft zu reduzieren. Dabei hilft, dass rund um den Bodensee viele vermögende Menschen leben. Allerdings sind die meisten dieser potenziellen Kunden mit den ortsansässigen Instituten wie Sparkassen oder Genossenschaftsbanken groß geworden und zeigen sich diesen gegenüber oft loyal. Es herrsche eine stärkere, oft persönlichere Kundenbindung als in Ballungsräumen, heißt es aus der Branche. Insbesondere die rasche Erreichbarkeit der Berater werde von den Kunden geschätzt.

Für Privatbanken heißt das, dicke Bretter zu bohren, um in dem Markt Fuß zu fassen. Verschärfend für den Wettbewerb wirkt die Präsenz der Institute aus den Anrainerländern – aus deutscher Sicht die österreichischen und insbesondere die Schweizer Banken, die aus dem grenznahen Bregenz oder Kreuzlingen heraus Baden-Württemberg und Bayern bearbeiten oder gar eine physische Präsenz in Deutschland aufbauen. Häufig kommen die Berater zu den Kunden nach Hause. Manchmal spielt aber auch die Anonymität eine Rolle, wenn es um die Wahl der Bank geht. Nicht selten entscheiden sich gerade Unternehmer für eine Trennung von der Hausbank und schätzen die räumliche Abgeschiedenheit einer Privatbank mit Sitz fernab der Heimatregion.

Während im Wealth Management grenzüberschreitender Wettbewerb an der Tagesordnung ist und man in gewisser Weise von einem gemeinsamen Bankenmarkt sprechen kann, ist die Situation im Firmenkundengeschäft eine ganz andere: Das Kreditgeschäft und die anderen Bankdienstleistungen für Gewerbe- und Firmenkunden sind viel stärker national und damit von Ländergrenzen dominiert. Die Refinanzierung deutscher Unternehmen in der Bodenseeregion auf dem angrenzenden österreichischen oder dem Schweizer Bankenmarkt ist eine seltene Ausnahme.

Kreditgeschäft national geprägt

„Nach unserer Beobachtung und Erfahrung sehen wir für die Region Bodensee-Oberschwaben keine besondere Nachfrage nach ausländischen Finanzierungen. Wer bei uns in der Region ein solides Vorhaben hat, der wird in aller Regel bei den Kreditinstituten vor Ort als Partner auch fündig“, sagt Jürgen Kuhn, Referent für Gründung und Finanzierung bei der IHK Bodensee-Oberschwaben. In dieses Bild passt die jüngste IHK-Konjunkturumfrage, nach der nur drei Prozent der Unternehmen am nördlichen Bodenseeufer das Thema Finanzierung für problematisch halten. Solide Bilanzen, ein hoher Eigenfinanzierungsanteil und korrespondierend dazu eine überschaubare Kreditnachfrage sind typisch für die überwiegend familiär geführten Kleinunternehmen und Mittelständler in der Region.

Zu einem ähnlichen Urteil kommt Dennis Schäuble vom Unternehmensservice der Handwerkskammer Konstanz: „Die Unternehmen unseres Kammergebietes finanzieren sich im Heimatmarkt.“ In der Vergangenheit sei es zwar immer mal wieder vorgekommen, dass deutsche Unternehmen auch in der Schweiz Kredite aufgenommen hätten. Wegen des starken Schweizer Franken sei das zurzeit aber unattraktiv. Außerdem biete Baden-Württemberg vor allem im Bereich der Förderkredite sehr interessante Angebote, die ein „Schielen auf den Schweizer Bankenmarkt“ unnötig machten.

Wenn deutsche Unternehmen jedoch in der Schweiz tätig sind, müssen sie im Konto- und Zahlungsverkehr einiges beachten, da in der Schweiz als Nicht-EU-Staat etliche Formalitäten zu erfüllen sind. Durch das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU können deutsche Unternehmen ihre Mitarbeiter zwar während 90 Arbeitstagen pro Kalenderjahr ohne ausländerrechtliche Bewilligung in der Schweiz arbeiten lassen; es besteht lediglich eine Meldepflicht. Allerdings müssen die Unternehmen in der Schweiz ein Konto eröffnen.

Zahlungsverkehr als Türöffner

Das Gleiche gilt – allerdings aus einer anderen Motivation heraus – für Schweizer Unternehmen, die in Deutschland oder in der Euro-Zone Geschäfte machen. Sie führen traditionell bei deutschen Kreditinstituten Konten für den Euro-Zahlungsverkehr, um die Vorteile im grenz- und währungsüberschreitenden Zahlungsverkehr zu nutzen. „Vor diesem Hintergrund haben wir viele Geschäftsbeziehungen zu Schweizer Unternehmen – auch über den reinen Zahlungsverkehr hinaus“, sagt Axel Hepelmann, Marktgebietsleiter Firmenkunden Hochrhein bei der Deutschen Bank in Konstanz. Das schließe auch das Kreditgeschäft ein, wobei aber klassische Investitionsgüterfinanzierungen für Maschinen, Anlagen oder Immobilien in der Schweiz eine Domäne der Schweizer Banken blieben. Hier seien vor allem bilaterale Working-Capital-Finanzierungen oder Beteiligungen an Konsortialfinanzierungen für die Deutsche Bank im Fokus.

Bei grenzüberschreitenden Finanzierungsthemen hingegen könne die Deutsche Bank wegen ihres im Vergleich zu den Schweizer Banken internationaleren Netzwerkes punkten. „Der klassische Schweizer Familienunternehmer mit Werken in der Euro-Zone oder weltweit, wie beispielsweise in China und den USA, greift gern auf unsere Struktur zurück“, sagt Hepelmann. Die Deutsche Bank könne hier unter anderem mit zwei Aspekten punkten: Einige der Kunden nutzten die weltweite Präsenz etwa über Umbrella-Kreditlinien, die sich damit recht einfach in die Welt und damit an den Ort des konkreten Bedarfs allokieren ließen; andere würden beispielsweise für ihre Investitionen in Deutschland auf öffentliche Fördermittel zurückgreifen und hätten damit einen Zugang zu Finanzierungsalternativen, die die lokalen Schweizer Banken nicht anböten. Schweizer Banken hingegen würden als direkte Finanziers deutscher Unternehmen keine große Rolle spielen.

Selektive Expansionsstrategien

Eine expansivere Strategie verfolgen hingegen österreichische Finanzinstitute auf den Bodensee-Anrainermärkten. Im Allgäu wie auch in Oberschwaben gibt es etliche Vertreter aus der Alpenrepublik, die deutsche Unternehmen auch in Finanzierungsangelegenheiten bedienen. „Die österreichischen Banken spielen hier im Firmenkundengeschäft durchaus eine Rolle. Sie wollen nicht immer Hausbank sein, finanzieren aber ganz gern“, weiß Gerhard Remmele von der Abteilung Recht und Betriebswirtschaft der IHK Schwaben aus Memmingen zu berichten. Anders als viele deutsche Institute kämen sie nicht über den Preis und mit einem „Bauchladen an Produkten“, sondern versuchten, über Qualität und Beratung Marktanteile vor allem im bonitäts- und umsatzstarken Mittelstand zu gewinnen. „Diese Herangehensweise geht auf“, beobachtet Remmele.

Das ist ein Vorbote: Perspektivisch dürfte es bei der noch immer starken Fragmentierung des Bankenmarkts und dem nationalstaatlich geprägten Denken im Bankwesen nicht bleiben. Der Konsolidierungsdruck – auch grenzübergreifend – steigt, um im schärfer werdenden Wettbewerb zu bestehen. Ein Treiber könnte die von der EU geplante Bankenunion sein, deren Ziel es unter anderem ist, die Marktfragmentierung durch harmonisierte Regeln für den Finanzsektor abzubauen. Dieser Bankenunion können sich auch die nicht dem Euro-Raum angehörenden Staaten wie die Schweiz anschließen, indem sie eine enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank eingehen.

11/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Andreas Knoch. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.