Es wird teuer!

Bei Straftaten kamen Unternehmen bislang glimpflich davon. Der erste Anlauf für ein Unternehmensstrafrecht ist gescheitert, aber es wird vermutlich trotzdem kommen. Und viele viel Geld kosten.

Cynthia Robinson im Portrait

Cynthia Robinson hätte 2014 die reichste Frau der Welt werden können: Eine Jury sprach der Witwe eines Kettenrauchers 23,6 Milliarden Dollar zu, die der Tabakkonzern R. J. Reynolds an sie zahlen sollte. Das Urteil wurde allerdings in der Berufung kassiert. foto: picture alliance / Reuters

Es klingt ganz harmlos, doch die Konsequenzen sind gewaltig: Der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“ wurde im vergangenen Jahr vom Bundesjustizministerium vorgelegt. Er sieht ein sogenanntes Verbandssanktionengesetz (VerSanG) vor, das in Fachkreisen gern als Unternehmensstrafrecht bezeichnet wird, und soll die bislang geltende Rechtspraxis beenden, nach der sich nur natürliche Personen, nicht aber Unternehmen strafrechtlich schuldig machen können. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich recht isoliert da. Ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht ist mittlerweile internationaler Standard. Neben den USA haben 21 von 27 EU-Mitgliedstaaten und mehr als die Hälfte der OECD-Staaten ein Unternehmensstrafrecht.

Mit jedem Wirtschaftsskandal hierzulande wächst der Druck, etwas Vergleichbares auch in Deutschland einzuführen.

Die Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard, der Hygieneskandal bei der Schlachterei Tönnies und vor allem der Dieselskandal bei Volkswagen – künftig soll es für solche Vergehen deutlich höhere Strafen geben, und zwar für die Unternehmen selbst. Das bisherige Sanktionsregime halten Rechtsexperten für wenig effektiv, da die Verantwortung für Entscheidungen durch unüberschaubare Hierarchien oftmals nicht nachvollziehbar ist. „Zudem liegt die Ahndung unternehmensbezogener Straftaten nach geltendem Recht im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden – diese können bei Straftaten von Führungskräften gegen das Unternehmen ermitteln, müssen es aber nicht“, erklärt Christian Schoop, Wirtschaftsstrafrechtsexperte bei der Kanzlei DLA Piper.

In Deutschland fremd, in der Welt verbreitet

Afrika ist ein weißer Fleck, das riesige Russland lässt auch Asien als Kontinent ohne Unternehmensstrafrecht erscheinen. Doch die bevölkerungsreichsten Länder China und Indien kennen Straftaten durch Unternehmen ebenso wie Nordamerika und große Teile Europas.

In Deutschland fremd, in der Welt verbreitet

Karte: Redaktion 4, Quelle: Freshfields Bruckhaus Deringer

Mittelstand bislang benachteiligt

Ein weiterer Kritikpunkt: Kleine und mittlere Unternehmen sind nach geltendem Recht benachteiligt, weil die maximale Strafhöhe unabhängig von der Unternehmensgröße auf zehn Millionen Euro gedeckelt ist. Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität sei damit bei Konzernen nicht möglich. Mit der Einführung des Verbandssanktionengesetzes sollen die Defizite bei der Bestrafung von Unternehmen ausgeräumt und ein international wettbewerbsfähiges Unternehmensstrafrecht etabliert werden.

Der vorgelegte Gesetzentwurf konzentriert sich auf drei Punkte. Erstens: Die Staatsanwaltschaften sollen künftig immer ermitteln, wenn der Verdacht besteht, dass in einem Unternehmen Straftaten begangen wurden. Bisher gab es hier ein Ermessen. Zweitens: Unternehmen sollen nur dann bestraft werden, wenn sie nichts getan haben, um Straftaten zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Und drittens: Sie können ihre Strafe mildern, wenn sie zur Aufklärung der Straftat mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten.

Gelten soll das VerSanG für Unternehmen jedweder Größenklasse und Gesellschaftsform – angefangen vom Start-up über ein mittelständisches Familienunternehmen bis hin zum Konzern. Es soll auch auf Verbände und Stiftungen angewendet werden, wenn deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.

Bislang nur Ordnungswidrigkeiten

Bislang werden unternehmensbezogene Straftaten nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) sanktioniert – und sind damit im Gesetz neben Verkehrsverstößen und anderen Bagatelldelikten eingereiht. Neben dem zurzeit möglichen Bußgeldrahmen von maximal zehn Millionen Euro bei Vorsatz und maximal fünf Millionen Euro bei Fahrlässigkeit sind Gewinnabschöpfungen möglich: Der Staat kann den vom Unternehmen erwirtschafteten Gewinn aus der Tat einziehen. Dadurch kann ein Vielfaches der Bußgeldhöchstgrenze von zehn Millionen Euro kassiert werden.

„Zur Ahndung schwerer Wirtschaftsstraftaten taugt das Ordnungswidrigkeitenrecht nur bedingt.“

Heiko Ahlbrecht, Wessing & Partner

Das gegen VW im Dieselskandal verhängte Bußgeld von einer Milliarde Euro beispielsweise setzt sich zusammen aus einer Ahndung der Ordnungswidrigkeit in Höhe von fünf Millionen Euro und einer Abschöpfung in Höhe von 995 Millionen Euro. „Im Unterschied zum Strafrecht gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht aber keine Pflicht zur Verfolgung“, sagt Heiko Ahlbrecht, Fachanwalt für Strafrecht bei der Kanzlei Wessing & Partner. In der Praxis gestalte sich zudem die Berechnung der Abschöpfung des durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteils schwierig. Zur Ahndung schwerer Wirtschaftsstraftaten, so Ahlbrechts Befund, taugt das Ordnungswidrigkeitenrecht daher nur bedingt.

Mit dem Verbandssanktionengesetz soll die Verfolgung und Ahndung von Unternehmenskriminalität „Zähne bekommen“. Anknüpfungspunkt für eine Strafverfolgung ist die sogenannte Verbandstat. Das ist eine von Leitungspersonen (Geschäftsführern, Vorständen oder vertretungsberechtigten Gesellschaftern) begangene Straftat, durch die das Unternehmen treffende Pflichten verletzt worden sind oder das Unternehmen bereichert worden ist oder bereichert werden sollte. Eine Verbandstat kann jedwede Straftat sein – es gibt keine Beschränkung beispielsweise auf Vermögens- oder Steuerdelikte.

Bei Vorsatz sieht das VerSanG für kleinere Unternehmen Geldsanktionen von mindestens 1000 Euro und höchstens zehn Millionen Euro vor; bei Fahrlässigkeit mindestens 500 Euro und höchstens fünf Millionen Euro. Doch für größere Mittelständler kann es deutlich teurer werden. Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro müssen nämlich mit deutlich härteren Sanktionen rechnen. Hier liegen die Strafen bei Vorsatz bei mindestens 10000 Euro und höchstens zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Bei Fahrlässigkeit sind es mindestens 5000 Euro und höchstens fünf Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes.

Darüber hinaus soll es weitere, nicht-monetäre Sanktionen geben. So soll das Gericht anordnen können, die Verurteilung des Unternehmens öffentlich bekanntzumachen. An diesen Pranger sollen Unternehmen gestellt werden, wenn durch das Fehlverhalten eine große Anzahl von Personen geschädigt wurde.

Eine ganz erhebliche Strafmilderung der Geldbuße kann das Unternehmen erreichen, wenn es dazu beiträgt, dass die Tat aufgeklärt wird. Dann soll auch das Mindeststrafmaß entfallen können. Doch dafür muss das Unternehmen unter anderem „ununterbrochen und uneingeschränkt“ kooperieren – wie es in der Gesetzesvorlage heißt. Für Heiko Ahlbrecht ein Unding: „Das ist Unterwerfungsstrafrecht, da das Unternehmen und die von ihm beauftragte Kanzlei nach Gusto der Staatsanwaltschaft zur eigenen Bestrafung beitragen müssten“, erklärt der Jurist. Das aber widerspreche dem Grundsatz jedes Strafprozesses, nach dem niemand verpflichtet sei, sich selbst zu belasten. Die eigentlich staatliche Strafaufklärungsverpflichtung werde ausgelagert und in die Hand einer beauftragten, von der Staatsanwaltschaft angeleiteten und vom Unternehmen bezahlten Kanzlei gegeben.

Kein Mangel an Anwendungsfällen

Verstöße von Unternehmen, die in anderen Ländern strafrechtlich verfolgt würden, gibt es auch hierzulande. Bislang behilft sich die Justiz mit einer Mischung aus Bußgeldern für Ordnungswidrigkeiten und Abschöpfung von Gewinnen. Ein Unternehmensstrafrecht könnte Klarheit schaffen.

Ein KFZ-Auspuff vor einem Bürogebäude des VW-Konzerns

Foto: picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Die Justiz fürchtet Überlastung

Um in den Genuss der Strafmaßmilderung zu kommen, soll das Unternehmen den Strafverfolgungsbehörden auch sämtliche Ergebnisse und Dokumente übergeben müssen, die im Rahmen interner Ermittlungen erhoben wurden. „Ohne vorherige Prüfung würde sich damit das Unternehmen vorschnell seiner Verteidigungsmöglichkeiten berauben“, gibt Experte Schoop zu bedenken. Der Deutsche Richterbund begrüßte das Ansinnen zwar im Grunde, lehnte das Gesetz aber wegen der absehbaren Zusatzbelastung ab. Die prognostizierte Steigerung der Verfahrenszahlen um bis zu 50 Prozent sei ein Mehraufwand, der ohne weitere Ressourcen nicht zu stemmen sei, hieß es in einer Stellungnahme des Berufsverbands von Richtern und Staatsanwälten.

„Auch kleine und mittelständische Unternehmen sollten ein Compliance-Management als präventive Maßnahme installieren.“

Christian Schoop, DLA Piper

Nach massiver Kritik von Strafrechtsexperten und Wirtschaftsvertretern, die vor allem für den Mittelstand ausufernde Kosten für die Compliance-Aufrüstung und existenzbedrohende Bußgelder befürchteten, ist der Gesetzentwurf vom Rechts- und Wirtschaftsausschuss des Bundesrats zunächst abgelehnt worden. Überraschenderweise befürwortete die Länderkammer das Vorhaben im September 2020 dann aber trotzdem. Passiert ist seitdem nichts. Kurz vor der Sommerpause in diesem Jahr dann die Nachricht: Das Vorhaben wurde bis zur Wahl gestoppt. Doch aufgeschoben ist nicht gleich aufgehoben, die rechtspolitische Diskussion ist ungebrochen. Ein vergleichbares Gesetzesvorhaben dürfte von der nächsten Bundesregierung erneut aufgegriffen und vorangetrieben werden. Entweder anhand des vorliegenden Entwurfs oder noch einmal ganz von vorn.

Was also sollten Unternehmen in der Zwischenzeit tun? Compliance wird mit der Einführung eines Unternehmensstrafrechts noch wichtiger. „Auch kleine und mittelständische Unternehmen sollten ein Compliance-Management als präventive Maßnahme installieren“, rät Schoop. Entsprechende Strukturen einzuführen, um Verstöße zu vermeiden oder im Bedarfsfall zeitnah aufzuklären, war auch explizit Ziel des Gesetzgebers. Das Problem: Der Gesetzentwurf hat keine konkreten Compliance-Maßnahmen und Mindeststandards benannt. Die mögliche Lösung: ein professionelles Compliance-System, beginnend mit einer Risikoanalyse und -bewertung und ergänzt um die individuelle Einführung oder Überarbeitung des Compliance-Management-Systems. Denn der Druck steigt. Unternehmen sollten sich, rät Schoop, vermehrt auch auf interne Untersuchungen einstellen: „Das heißt unter anderem, die Rahmenbedingungen rechtzeitig mit den Arbeitnehmervertretern verhandeln, um handlungsfähig zu sein. Im Detail können das Richtlinien und/oder Betriebsvereinbarungen beispielsweise zum Ablauf einer internen Untersuchung sein.“

Implikationen hätte ein Unternehmensstrafrecht übrigens für M&A-Deals. Da Sanktionen auch gegen den Rechtsnachfolger ausgesprochen werden können, sollte bei Unternehmensübernahmen eine gründliche strafrechtliche Due Diligence erfolgen.

Ob und wie ein Unternehmensstrafrecht am Ende kommt, eins ist sicher: Das Pendel, das seit geraumer Zeit in Richtung mehr Vorgaben und mehr Sanktionen bei Verstößen gegen die gute Unternehmensführung schlägt, hat seinen Wendepunkt noch nicht erreicht.

02/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.