Ganz am Anfang

Groß waren die Hoffnungen deutscher Mittelständler, als 2019 der 5 Milliarden Euro schwere Digitalpakt für Schulen verabschiedet wurde. Doch Geld ist bislang kaum geflossen. Wie IT-Dienstleister nun Tempo machen wollen.

Digitalpakt Schule

Viel Hardware wurde gekauft – doch vielfach fehlt die schlüssige Integration. Foto: picture alliance / dpa | Sebastian Gollnow

Auf Freude folgte rasch Ernüchterung. Groß war die Freude, dass der deutsche Staat ab 2019 mit dem „DigitalPakt Schule“ insgesamt 5 Milliarden Euro zur Verfügung stellte, die in den flächendeckenden Ausbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur gesteckt werden sollten. Eine weitere gute halbe Milliarde sollte zusätzlich von Ländern und Schulträgern aufgebracht werden. Das große Investitionsprogramm war notwendig, damit Deutschland den digitalen Anschluss nicht gänzlich verliert. Weil die Mittel nicht zentral, sondern in der Regel von den Schulträgern selbst beantragt werden, rechneten sich viele mittelständische IT-Häuser gute Chancen aus, ein Stück vom Kuchen zu ergattern. Die Hoffnung war, dass durch die regionale Nähe nicht nur die Platzhirsche zum Zuge kommen würden. Leider kam bislang überhaupt noch niemand zum Zuge: Gerade einmal 112 Millionen Euro sind bis Jahresende 2020 aus dem Digitalpakt abgeflossen.

Erst 112 Mio. EUR

sind bis Ende 2020 von insgesamt 5 Mrd. Digitalpakt Schule ausgezahlt worden.

Erweiterung des Digitalpakts

In der Zwischenzeit wurden die Töpfe sogar noch weiter gefüllt: Weil die Corona-Krise die Digitaldefizite in den Schulen schonungslos offengelegt hat, wurden kurzfristig weitere Hilfen bewilligt. Je 500 Millionen Euro entfallen auf die Corona-Hilfen I–III mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten Sofortausstattung (z.B. IT-Hardware für Schülerinnen und Schüler), Administration (z.B. Ausbildung für IT-Administratoren) und mobile Endgeräte für Lehrkräfte. „Dazu kommen noch rund 15 Milliarden Euro für Ersatzinvestitionen in den Folgejahren“, erwartet Pierre-Pascal Urbon, Vorstandsvorsitzender des ITK-Distributors und -Dienstleisters KOMSA aus Sachsen. Während die Hilfen aus dem 1. Zusatzpaket von mindestens der Hälfte der Bundesländer vollständig abgerufen worden sind, gibt es bislang kaum Angaben zu den beiden Töpfen Administration und Ausstattung für die Lehrkräfte. Diese beiden Programme sind allerdings auch später gestartet und kommen teilweise erst jetzt überhaupt zur Anwendung.

Das Schneckentempo hat verschiedene Gründe. Der bürokratische Aufwand sorgt für Reibungsverluste, weil der Schulträger vor dem Antrag erst selbst den Bedarf ermitteln und ein medienpädagogisches Konzept erstellen muss. Dieser Aufwand ist zwar durchaus sinnvoll, betonen auch IT-Experten, allerdings verzögert er den Abruf und überfordert manche Schulen. Sie müssen erst Beratung (die finanziell nicht vom Digitalpakt abgedeckt ist) für das Konzept einkaufen, das dann wiederum erst auf Landesebene überprüft wird. „Da wird für das Konzept seitenweise Literatur erstellt, die eh niemand wirklich liest, weil die Zeit fehlt“, lästert ein IT-Berater. Eine landesweite Harmonisierung kann nur angeboten, aber nicht erzwungen werden – auch wenn sie viel Aufwand sparen könnte. Doch weil die Schulträger Lehrmittelfreiheit und Schulen ganz unterschiedliche Profile (und Ausgangslevels) haben, wollen viele Schulen keine Vereinheitlichung.

Grafik der Universität Göttingen

Grundlegende Lücken in der schulischen IT-Infrastruktur. Quelle: Kooperationsstelle Universität Göttingen – Digitalisierungsstudie 2021

Das zweite, noch gravierendere Problem: Es fehlen vielfach in den Schulen die Grundlagen, um die Digitalisierung überhaupt umsetzen zu können. Eine aktuelle Studie der Universität Göttingen hat ermittelt, dass bei mindestens jeder vierten Schule technische Ausfälle o.Ä. den Einsatz digitaler Unterrichtstechniken behindern. In jeder dritten Schule gibt es noch kein WLAN für die Lehrer, bei jeder zweiten keins für die Schüler. Auch ist erst bei etwa 50 Prozent der Schulen für technische Unterstützung gesorgt, sollte diese benötigt werden. „Alle wollen jetzt WLAN“, beobachtet ein IT-Dienstleister aus Rheinland-Pfalz, „doch den Schulen fehlen grundlegende Informationen zu Baustruktur, Feuerschutz etc., die benötigt werden.“

Ein drittes Problem: mangelnder Wille, mangelnde Erfahrungen. Der Digitalisierungsstand in den Schulen ist sehr unterschiedlich. So gibt es die digitalen Vorreiter mit ausgebautem WLAN, Schul-Cloud etc. – viele Nachzügler hinken aber hinterher. Aktuelle Daten des NRW-Schulministeriums zum Mittelabruf aus dem Digitalpakt zeigen, dass Ende April 2021 in 28 Prozent der Regionen noch überhaupt keine Mittel beantragt, in anderen dagegen schon mehr als 100 Prozent abgerufen waren.

Dezentrale Beschaffung führt zu Flickenteppichen

In Summe heißt das: Von den insgesamt 6,5 Milliarden Euro rund um den Digitalpakt wurde bis Ende vergangenen Jahres mit knapp 1,4 Milliarden Euro nur etwa ein Fünftel beantragt; abgeflossen ist sogar nur ein Bruchteil davon, weil das Geld erst nach Projektabschluss gezahlt wird. Ein Großteil der abgeflossenen Mittel ist auf die einfacher zu beantragende Corona-Hilfe I, die Ausstattung für Schüler, zurückzuführen. Von den mobilen Endgeräten profitieren aber in erster Linie Hardwarehersteller – die mittelständischen Systemhäuser haben das Nachsehen, weil es keine echte Integration und Abstimmung der Neugeräte gibt.


„Selbst innerhalb einer Klasse nutzen Lehrer ganz unterschiedliche Dienstprogramme.“

Pierre-Pascal Urbon, KOMSA

Pierre-Pascal Urbon, KOMSA

Foto: Marty Anger für KOMSA


Experten wie KOMSA-Chef Urbon erwarten nicht, dass der Mittelabruf in Kürze explodieren wird. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, zitiert Urbon ein afrikanisches Sprichwort. Er sieht vor allem in der Heterogenität der Bildungslandschaft Schwierigkeiten. In den akuten Phasen der Pandemie mit Distanzunterricht setzten engagierte Lehrer und Eltern vor allem private Geräte ein. Headsets, Webcams und Laptops wurden individuell beschafft, oft wurden auch Altgeräte „reanimiert“. Entsprechend divers sind die eingesetzten Betriebssysteme und Softwarelösungen. Urbon ist überzeugt: Damit digitaler Unterricht nicht zum Frust führt, braucht es eine ganzheitliche Kommunikationsinfrastruktur. UCC – Unified Communication and Collaboration ist das Stichwort. Dahinter verbirgt sich eine Entwicklung, die bereits vor einigen Jahren bei Unternehmen eingesetzt hat und bei der es darum geht, sämtliche Anwendungen in einer Plattform zu bündeln und damit das virtuelle Zusammenarbeiten zu erleichtern. „Wir müssen neue Hardware in die bestehende IT-Landschaft der Schule integrieren und unterschiedliche Software miteinander harmonisieren. Selbst innerhalb einer Klasse nutzen Lehrer ganz unterschiedliche Dienstprogramme. Das ist viel zu aufwendig.“

Google, Apple, Samsung profitieren

Profitieren werden von der Harmonisierung von Hard- und Software vor allem internationale Riesen wie Alphabet, Apple oder Samsung. Doch die Abwicklung der Beschaffung läuft vielfach über lokale Partner. Diese können die Geräte entsprechend konfigurieren und an die Bedürfnisse der Schulen anpassen. Das wird Aufgabe der Systemhäuser und Fachhändler vor Ort. „Ich glaube schon, dass die Gelder letztlich alle abgerufen werden“, ist Urbon optimistisch. „Auch langfristig wird der Bedarf groß sein. Denn Schulen und Universitäten wollen sich der Herausforderung Digitalisierung stellen.“

„Alle wollen jetzt WLAN, doch den Schulen fehlen grundlegende Informationen.“

IT-Dienstleister in Rheinland-Pfalz

Dabei sollten sie nicht alleingelassen werden. Die Schulen brauchen Unterstützung, wie die digitale Zukunft denn aussehen könnte. Darum haben Unternehmen wie KOMSA ein umfangreiches Informationsangebot auf die Beine gestellt und engagieren sich in interdisziplinären Arbeitskreisen. Im Netzwerk Digitale Bildung haben sich IT-Spezialisten wie Intel, Soennecke, Commscope und Macom als Förderpartner zusammengeschlossen. BenQ hat einen „DigitalPakt Rechner“ mit einem Dutzend einfacher Fragen ins Internet gestellt, nach deren Beantwortung Schulen Vorschläge zur Hardwarebeschaffung erhalten. Neben Leitfäden zum Einkauf von Hardware oder Foren zum Austausch von Praxisbeispielen sind auch Trainings für Lehrkräfte zum Einsatz ausgesuchter Software im Angebot. Ein „digitales Klassenzimmer“ zeigt die Bandbreite der Möglichkeiten auf.

Unternehmensinitiativen sollen helfen

All das soll helfen, den Teufelskreis aus „ohne Ausstattung kein Aufbau digitaler Kompetenz – ohne digitale Kompetenz keine sinnvolle Auswahl der Ausstattung“ zu durchbrechen. Das Interesse an den Initiativen der IT-Spezialisten ist groß; und sie werden dazu beitragen, dass die Mittel schneller beantragt und ausgezahlt werden können. Auch an der Finanzierung sollte es nicht scheitern: „Es mangelt nicht an Geld“, betont Urbon. Dennoch bleiben Flaschenhälse, die auch Unternehmensinitiativen schwer lösen können: mangelnde Personalkapazitäten und fehlende Administratoren-Kompetenzen in den Schulen selbst und auch Engpässe bei den komplexen Anträgen und Genehmigungen.

Die IT-Unternehmen, die sich auf die Milliarden aus dem Digitalpakt freuen, werden wohl noch Geduld mitbringen müssen. Angesichts von Lieferengpässen bei Hardware und mangels IT-Fachkräften ist es vielleicht manchem IT-Haus sogar ganz recht so.

06/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.