Grüne H₂offnung

Um fossile Energieträger durch erneuerbare zu ersetzen, werden heimische Energiequellen nicht ausreichen. Vor allem grüner Wasserstoff soll künftig importiert werden, doch das wird nicht so einfach.

Erneuerbare Energie made in Chile. Auf einer Fläche von 330 Hektar erstrecken sich die Solarmodule in der Ataca-Wüste. Ihre Stromproduktion kann den Stromkonsum von rund 116 Haushalten abdecken.

Erneuerbare Energie made in Chile. Auf einer Fläche von 330 Hektar erstrecken sich die Solarmodule in der Ataca-Wüste. Ihre Stromproduktion kann den Stromkonsum von rund 116 Haushalten abdecken. Foto: picture alliance/dpa | Alex F. Catrin

Mali hat Potenzial, Niger auch. Zumindest sind die beiden westafrikanischen Staaten sattgrün gefärbt auf der Potenziallandkarte des H2-Atlas vom Forschungszentrum Jülich. Das heißt: Die Chancen stehen hier vergleichsweise gut, in Zukunft grünen Wasserstoff mit Solarenergie günstig zu produzieren. Im südlicheren Teil Westafrikas, an der Küste, könnte hingegen günstig Windkraft genutzt werden. So ließen sich künftig jährlich bis zu 165.000 Terawattstunden Wasserstoff allein in Westafrika herstellen, schreibt das Bundesforschungsministerium (BMBF*). Zum Vergleich: Deutschland verbraucht jährlich rund 520 Terawattstunden Strom.

Warum Wasserstoff?

Wasserstoff lässt sich als Energieträger speichern und transportieren, die Energie kann zudem umgewandelt werden. Der große Vorteil: Wasserstoff kann auch dort fossile Energieträger ersetzen, wo eine Elektrifizierung von Prozessen nicht möglich ist. Dies ist beispielsweise in der chemischen Industrie bei der Stickstoffdüngerherstellung, in der Erdölraffinerie oder bei der Kunststoffherstellung der Fall. Aber auch im Schwerlasttransport, wo Akkukapazitäten an Grenzen stoßen, könnte Wasserstoff genutzt werden. Darüber hinaus ist es auch möglich, Wasserstoff wieder in Strom und Wärme umzuwandeln, sodass Wasserstoff als Speicher erneuerbarer Energien eingesetzt werden kann. Kurzum: Mit Wasserstoff könnten zahlreiche klimaschädliche Emissionen eingespart werden. Doch das ist nicht so einfach.

Denn das natürliche chemische Element Wasserstoff kommt auf der Erde immer nur in Verbindungen vor. Um reinen Wasserstoff zu erhalten, muss er von seinem Ausgangsstoff wie zum Beispiel Erdgas/Methan, Erdöl, Wasser oder Biomasse abgespalten werden. Diese Abspaltung ist jedoch energieaufwendig. Im industriellen Maßstab wird Wasserstoff derzeit vor allem aus Erdgas durch Dampfreformierung (Zugabe von Wasserdampf) gewonnen. Dabei entstehen Wasserstoff und Kohlendioxid. So entstandener Wasserstoff wird als grauer Wasserstoff bezeichnet. Von blauem Wasserstoff hingegen spricht man, wenn das Kohlendioxid nach der Wasserstoffproduktion aufgefangen und gespeichert oder weiterverwendet wird. Es gibt darüber hinaus noch weitere „Farben“ wie türkisen oder pinken Wasserstoff, je nach Umwandlungsverfahren. Am meisten diskutiert wird jedoch grüner Wasserstoff, weil er nachhaltig am klimaneutralsten ist.

Damit „grüner“ Wasserstoff erzeugt werden kann, wird Wasser mithilfe erneuerbarer Energie per Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Dieser Prozess ist jedoch sehr aufwendig. Aktuell gibt es in Deutschland rund 40 Elektrolyseure. Allerdings sind dies meist Entwicklungs- und Forschungsanlagen.

Denn obschon Sonne, Wind und andere erneuerbare Energieträger auch hierzulande zur Verfügung stehen, werden sie allein die Versorgungslücke nach dem Ende fossiler Energien nicht schließen können. Kevin Laubach aus dem ESG Client Solutions Team der Deutschen Bank erläutert: „Der Bedarf an erneuerbaren Energien zur Produktion von grünem Wasserstoff ist enorm, was folgendes Gedankenexperiment verdeutlicht: Um die derzeitige europäische Wasserstoffproduktion vollkommen auf grünen Wasserstoff umzustellen, müsste zur Herstellung mehr als ein Drittel des derzeit in Europa produzierten erneuerbaren Stroms verwendet werden – da ist der künftig wachsende Bedarf an Wasserstoff noch gar nicht berücksichtigt. Zudem wird die zunehmende Elektrifizierung der Gesellschaft zum Beispiel durch E-Mobilität ebenfalls große Mengen an erneuerbarem Strom benötigen.“** Grüner Wasserstoff hingegen kann auch in der Ferne produziert und anschließend exportiert werden. So könnten Regionen mit günstigen Solarstrom- oder Wasser- und Windkraftbedingungen zu den neuen Energielieferanten der Welt werden. Während 2050 hierzulande die Herstellung von einem Kilo Wasserstoff rund 3,80 Euro kosten würde, ließe sich laut BMBF das Gros des westafrikanischen Wasserstoffs für weniger als 2,50 Euro je Kilogramm produzieren*. Gerade in den Sahara-Anrainerstaaten herrscht daher Aufbruchstimmung, viel Hoffnung ruht auf den Erneuerbaren. An entsprechenden Projekten mangelt es nicht.

Aus Erfahrungen lernen

Auch Deutschland hat Erfahrungen gesammelt. Prominentestes Beispiel dafür ist Desertec. Bereits 2008 mit der Unterstützung zahlreicher deutscher Großunternehmen gestartet, um günstigen Saharastrom nach Deutschland zu leiten, geriet es bis vor kurzem in mediale Vergessenheit. Die Energiemengen, die es beispielsweise über die Meerenge von Gibraltar nach Europa schaffen, können nicht mal ein einzelnes Kernkraftwerk ersetzen. Mögliche Gründe für den bislang geringen Erfolg: Zum einen schätzten es die Anwohner in den Produktionsländern nicht, dass sie selbst nur unzureichenden Strom in ihren Häusern haben, aber große Mengen davon exportieren sollen. Und zum anderen war Energie in Europa keine Mangelware. Doch mit dem weiteren Verzicht auf fossile Energieträger rückt Wasserstoff stärker in den Fokus – und die zur Erzeugung von grünem Wasserstoff benötigte erneuerbare Energie aus Sonne, Wind und Wasser. Darum könnten Projekte wie Desertec, das diverse lokale Projekte unterstützt, jetzt neuen Auftrieb erhalten.

„Weltweit gibt es bislang erst wenige Schiffe, die verflüssigten/verdichteten Wasserstoff überhaupt transportieren können.“

Kevin Laubach, Deutsche Bank

„Beim Aufbau von grünem Wasserstoff stehen wir definitiv erst am Anfang einer längeren Reise. Aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage und der gestiegenen Preise für herkömmlichen Wasserstoff sehen wir jedoch ein stark gestiegenes Interesse sowie beschleunigte Projektpläne auf unserer Kundenseite. Auch wir als Deutsche Bank befassen uns intensiv mit dem Thema und erwarten einen großen Kapazitätszuwachs bis zum Ende der Dekade“, erläutert Lavinia Bauerochse, Global Head of ESG Corporate Bank. In vielen Staaten dürften Auslandsinvestitionen notwendig sein, um die notwendigen Solar- und Windanlagen zu installieren. Allerdings müssen nicht nur die Produktionskapazitäten vor Ort aufgebaut werden, auch in den Abnehmerländern wie Deutschland braucht es eine ganz neue Infrastruktur. Weil Wasserstoff das leichteste Gas ist, können bisherige Transportlösungen nicht genutzt werden; man benötigt hohe Drucke oder muss den Wasserstoff verflüssigen oder in Ammoniak umwandeln und später rekonvertieren. Es fehlt bislang an Leitungen, Terminals oder den Schiffen selbst. „Weltweit gibt es bislang erst wenige Schiffe, die verflüssigten/verdichteten Wasserstoff überhaupt transportieren können“, sagt Laubach.

Neue Exporteure, alte Exporteure?

Auch wenn die Infrastruktur steht, sind Konflikte nicht ausgeschlossen. Zum einen drohen politische Risiken. Nur ein Teil der potenziellen Standorte sind gefestigte Demokratien wie beispielsweise Australien. Mit den neuen Produktionsanlagen wachsen Begehrlichkeiten und zugleich könnten sie die Lage vor Ort sogar noch verschlimmern. So gibt es die Sorge, dass das notwendige Süßwasser vor Ort knapp werden könnte. Das gilt besonders für sonnenintensive Standorte fernab der Küste, wo Entsalzungsanlagen aufwendiger sein könnten. Außerdem wird sich zeigen, wie effizient der Wasserstoff vor Ort tatsächlich produziert und zu welchen Kosten auch über den Globus transportiert werden kann, wenn der Marktpreis mit zunehmenden Produktionskapazitäten weltweit sinkt.

Der Vorteil des grünen Wasserstoffs: Er könnte aus sehr viel mehr Staaten importiert werden als die bisherigen fossilen Energieträger Gas und Öl. Die nationale Wasserstoff-Strategie Deutschlands fördert vor allem Initiativen in Australien, West- und Südafrika. Neid wie zu Desertec-Anfängen sei nicht zu befürchten: Dem BMBF zufolge lasse sich der örtliche Energiebedarf Westafrikas vollständig decken, ohne den Energiebedarf für die Erzeugung von grünem Wasserstoff erheblich einzuschränken*.

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3,80 EUR vs <2,50 EUR

vom BMBF erwartete Herstellkosten von einem Kilo Wasserstoff im Jahr 2050 in Europa vs. Westafrika.

Derzeit sind es allerdings vor allem etablierte Erdölexporteure von der arabischen Halbinsel, die auf den neuen Energieträger setzen. So scheinen Dubai und Abu Dhabi mit Saudi-Arabien darum zu wetteifern, wer die Führung bei erneuerbaren Energien in der arabischen Welt übernimmt. Der saudische Energieminister zeigt sich selbstbewusst: Es koste im heimischen Solarkraftwerk nur 1,04 US-Cent, eine Kilowattstunde Strom zu produzieren. Saudi-Arabien sei der günstigste, fähigste und effizienteste Energiestandort weltweit. Auch ESG-Experte Laubach erwartet, dass etablierte Energiepartner auch in Zukunft wichtige Exporteure bleiben werden.

Eine Frage der Finanzierung

Ein großer Vorteil der alten und möglichen neuen Energie-Exporteure: Sie verfügen über die finanzielle Schlagkraft, Investitionen in Wasserstoff umzusetzen. Denn ohne staatliche Hilfe wird es zumindest zu Beginn nicht gehen. „Es ist das bekannte Henne-Ei-Problem“, erklärt Laubach: „Wasserstoff-Produzenten benötigen langfristige Abnahmeverträge, damit sie die Investitionen kalkulieren können. Die Abnehmer hingegen wollen sich nicht gleich zu Anfang binden, wenn fallende Preise zu erwarten sind.“ Ohne belastbare Kalkulation wird es schwer, privates Kapital zu mobilisieren, das für den Aufbau auch der gesamten Infrastruktur in Europa benötigt wird. Solange aber das Risiko besteht, dass am Ende die Infrastruktur für den grünen Wasserstoff fehlt, werden Abnehmer erst recht vor langlaufenden Vereinbarungen zurückscheuen.

Eine mögliche Lösung könnte das sogenannte „Contract for Difference“-System sein, bei dem der Staat die Preisdifferenz zahlt. Dabei wird mit dem Anlagenbetreiber – in der Regel per Ausschreibungsverfahren – eine Mindestvergütung für einen langen Zeitraum definiert. Kann der Wasserstoffproduzent am freien Markt nur einen Preis unterhalb dieses Festpreises erzielen, erhält er die Differenz als Förderung. Kann er allerdings am Markt einen höheren Preis erzielen, muss er den „Überschuss“ an den Förderpartner auszahlen. In Großbritannien und Frankreich wird das „Contract for Difference“-System bereits eingesetzt.

Laubach ist sich sicher, dass solche Fragen dem Erfolg von grünem Wasserstoff nicht im Wege stehen. „Auf absehbare Zeit wird die Nachfrage nach Wasserstoff das Angebot übersteigen. In der Anlaufphase in den nächsten Jahren wird es sicherlich noch Unsicherheiten geben, zu welchem Preis und in welchem Umfang grüner Wasserstoff wann zur Verfügung steht. Aber der politische Wille zur Umsetzung ist größer als jemals zuvor.“

06/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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