Moderner Zahlungsverkehr braucht digitales Geld

Ein aktueller Bericht der Deutschen Bundesbank zeigt, wie eng Innovationen im Zahlungsverkehr und digitales Geld zusammenhängen. Und dass das Thema für Europa von strategischer Bedeutung ist.

Moderner Zahlungsverkehr braucht digitales Geld

Das Geldmuseum der Bundesbank zeigt, wie weit der Weg vom Metallgeld über das Papiergeld bis zum Buchgeld war. Nun gesellt sich digitales Geld hinzu. Foto: Uwe Nölke

Die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank sind eigentlich etwas für Statistiker und Hardcore-Finanzexperten. Doch manchmal findet sich auch ein Kleinod für den interessierten Laien. So geschehen im Monatsbericht April 2021, in dem sich die Zentralbanker das Thema „Digitales Geld: Optionen für den Zahlungsverkehr“ vornehmen. Auf 17 Seiten fassen die Autoren nicht nur übersichtlich den Ist-Zustand zusammen, sondern beschreiben auch die Anforderungen an digitales Geld, um schließlich bei digitalen Zentralbankwährungen zu enden. Um die wirklich spannenden Punkte zu erkennen, muss man allerdings ein wenig querlesen.

Aufschlussreich ist zunächst einmal die Perspektive, in die das Thema digitales Zentralbankgeld eingebettet wird. Die Bundesbank sieht den Zahlungsverkehr als „Branche mit strategischer Bedeutung für die künftige Entwicklung der europäischen Finanzwirtschaft und zugleich für die europäische Souveränität in einer zunehmend globaler ausgerichteten, digitalen Welt“. Es ist ein bisschen schade, dass die Autoren diesen Punkt außer dem Verweis auf „die wachsende Abhängigkeit von nichteuropäischen Infrastrukturen im europäischen Markt für Zahlungsdienste“ nicht weiter ausführen, aber sie deuten an: Es geht um Großes.

Die Treiber des Wandels

Und der strategisch bedeutsame Zweig des Finanzsystems ist heftig in Bewegung geraten: Früher war jeglicher Zahlungsverkehr zwingend mit Banken verbunden. Heute unterliegen Zahlungsverkehr und Geldsystem einigen grundlegenden Veränderungen mit noch unbekanntem Ausgang. Ursache dafür ist die digitale Transformation, die an verschiedenen Ecken den Wandel treibt: Erstens schneiden sich zahllose Fintechs Teile der Wertschöpfungskette im Zahlungsverkehr heraus, zum Teil sind daraus bereits Unternehmen mit Milliardenumsätzen wie PayPal oder Klarna entstanden. Sie nutzen die technischen Schnittstellen zu den Kontoführungssystemen der Banken und entwickeln innovative Apps, um Kunden zu gewinnen.
Zweitens ermöglicht die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) die automatische Verzahnung des Zahlungsverkehrs mit anderen Prozessen. Zahlreiche Abstimmungsprozesse entfallen, wiederkehrende Prozesse können komplett automatisiert ablaufen und „im Idealfall zu vollständig synchronen und automatisierten Leistungs- und Geldflüssen führen“. DLT ermöglich aber auch die dezentrale Schöpfung von Geld, das in Form von Tokens (ganz ohne Banken) über dezentrale Netzwerke übertragen werden kann.

Und drittens bietet „Big Tech“ – also die großen technologie- und datengetriebenen Unternehmen wie Apple, Alphabet (Google), Amazon, Microsoft und Facebook – zum Teil eigene Zahlungslösungen an oder plant sogar eigenes digitales Geld (Stable Coins). Diese Wettbewerber verfügen nicht nur über enorme finanzielle Ressourcen, sondern auch über riesige Kundenstämme. Sie sind nicht auf Kooperationen angewiesen, scheuen allerdings das margenärmere und hoch regulierte originäre Bankgeschäft. Aber sie werden den Aufbau mächtiger Plattformen vorantreiben, die Zahlungsverkehr zu einer integrierten Dienstleistung degradieren.

Geldformen

All das ist eine Bedrohung für das etablierte System, wird von der Bundesbank aber auch als Chance gesehen. Zwar glauben die Autoren nicht daran, dass dezentrale Netzwerke die Effizienz des Zahlungsverkehrs selbst verbessern können. Aber: „In der Gesamtbetrachtung könnte Geld, wenn es in programmierbaren Anwendungen nutzbar ist, effizienzsteigernd wirken.“ Vor allem der Zahlungsverkehr zwischen zwei Währungsräumen ist oft noch sehr teuer und aufwändig, hier kann digitales im Sinne von programmiertem Geld enorme Effizienzen heben. „Privatem Geld“ räumen die Währungshüter dagegen wenig Chancen ein: Sie sehen Krypto-Token wie Bitcoin oder Ether weder als Gewinner der Entwicklung noch als Bedrohung (eine Kontrolle dieser Akteure und Geldangebote über restriktive Gesetzgebung und Aufsichtsbehörden wird mit keinem einzigen Wort erwähnt). Stable Coins dagegen, die sich auf Zentralbankwährungen oder andere Assets beziehen, betrachten die Autoren als ernsthafte Option mit dem Potenzial, die Stabilität des Finanzsystems zu bedrohen.

Der Nutzen des digitalen Euro

Die Zukunft sehen die Zentralbanker aber im digitalen Zentralbankgeld. Diese Position ist sicherlich nicht zwingend, aber man muss kein Zentralbanker sein, um sie schlüssig zu finden. Wenn es dem digitalen Zentralbankgeld gelingt, wesentliche Vorteile der Krypto-Währungen nachzubilden, verlieren diese für alle an Attraktivität, die nicht grundsätzlich am staatlichen Geldsystem zweifeln oder der damit verbundenen Transparenz entgehen wollen. Dabei darf der digitale Euro allerdings die grundlegenden Vorteile staatlichen Geldes nicht verlieren: die allgemeine Akzeptanz, die Gleichwertigkeit mit und Eintauschbarkeit in die anderen Geldformen (Bargeld oder Geschäftsbankengeld in Form von Sichteinlagen) und absolute Sicherheit.
Doch welchen Mehrwert kann digitales Zentralbankgeld stiften, außer den privaten Wettbewerb im Zaum zu halten? Die Bundesbank sieht etliche Anwendungsfälle: „vollautomatische Abrechnung zwischen Maschinen, bspw. ein elektronisches Fahrzeug bezahlt selbständig die Ladesäule im Parkhaus; Zahlungen im Internet of Things, die durch Interaktion mit dem Endkunden ausgelöst werden, etwa für den partiellen Konsum aus einem Energienetzwerk; unmittelbare Begleichung eines Betrages in Abhängigkeit des Verbrauchs oder der Nutzung, z. B. wenn eine geleaste Maschine die Kosten für individuelle Nutzungseinheiten in Rechnung stellt und anschließend die dazugehörige Zahlung selbstständig abwickelt.“

Geld in programmierbaren Anwendungen

Leistungen und Geld können innerhalb von DLT-Netzwerken (Distributed-Ledger-Technologie) nur in tokenisierter Form transferiert werden. Giralgeld bei den Geschäftsbanken oder Guthaben auf einem Zentralbankkonto sind zwar auch digital im klassischen Sinne des Wortes, aber nicht tokenisiert und somit nicht unmittelbar durch DLT in automatisierten Verfahren nutzbar. Dafür müsste Geld als digitaler Token programmierbar vorliegen. Die Abwicklung idealtypischer Anwendungsfälle der DLT, bei denen Smart Contracts die Prozesssteuerung und Abwicklung übernehmen, etwa Machine-to-Machine-, Internet-of-Things- oder Pay-per-Use-Dienstleistungen erfordert den Einsatz programmierbarer Geldformen. Dabei kann zwischen programmierbaren Zahlungen und programmierbarem Geld unterschieden werden.

Programmierbare Zahlungen werden als Überträge von Geld definiert, bei denen Zeitpunkt, Betragshöhe und/ oder Art des Übertrags durch vorher, also nicht erst ad hoc beim Zahlungsvorgang, vorgegebene Bedingungen bestimmt werden. Im einfachsten Fall können dies regelmäßige Zahlungen sein, die beispielsweise per Dauerauftrag ausgeführt werden. Nunmehr kann damit aber auch die geldseitige Abwicklung von komplizierten Geschäftsprozessen unter Berücksichtigung der Erfüllung vorgegebener Bedingungen erfolgen.

Programmierbares Geld dagegen wird als eine digitale Ausprägung von Geld definiert, bei welcher der Nutzer auf der Basis der Eigenschaften des digitalen Geldes selbst inhärente Logiken für bedingte Verwendungen programmieren kann. Um wirklich von programmierbarem Geld sprechen zu können, müsste das Programm in dem jeweiligen „digitalen Geldstück“ hinterlegt werden. Der aktuelle Bedarf nach Geld in programmierbaren Anwendungen kann in vielen Fällen hinreichend durch eine programmierbare Zahlung erfüllt werden, die nicht zwingend programmierbares Geld erfordert.

Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2021, S.66

Klingt gut, doch dafür muss der digitale Euro in die DLT-Welt eingebunden werden. Das sollte nach Ansicht der Autoren über sogenannte Trigger-Lösungen erfolgen, die eine Interaktion digitaler Netzwerke mit bestehenden Infrastrukturen ermöglichen: „Ein großer Vorteil einer solchen Lösung ist, dass bereits bestehende Zahlungsverkehrssysteme genutzt werden können, obwohl diese selbst keine programmierbaren Anwendungen vorsehen.“ So hätte man mit einem Schlag alle regulatorischen Anforderungen erfüllt und könnte das bestehende Kontensystem nutzen.

Die Einbindung von digitalem Zentralbankgeld in die Wirtschaftsprozesse sollte also gelingen. Damit noch nicht beantwortet, aber den Autoren wohl bewusst, ist die Frage nach den systemverändernden Eigenschaften einer neuen Geldform. Das zweistufige System der Geldschöpfung mit Zentralbankgeld und Giralgeld hat sich bewährt. Für den digitalen Euro braucht es das Bankensystem allerdings streng genommen nicht. Trotzdem zeigen die Autoren eine klare Neigung, das System nicht zu zerstören, denn es „senkt Risiken und sichert gleichzeitig Innovationskraft, Kundenorientierung sowie eine effiziente Kapitalallokation. Beides dürfte im Falle einer rein öffentlichen Bereitstellung digitalen Geldes nicht in gleichem Maße erreichbar sein.“ Eine komplette Umstellung auf digitales Zentralbankgeld will die Bundesbank also nicht. Sie kann sich dagegen vorstellen, dass auch Geschäftsbanken künftig „tokenisiertes“ Geld zur Verfügung stellen.

06/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.