„Alle Banken sind in Bedrängnis“

In Europa ist der Zahlungsverkehr im Handel fragmentiert, zwei amerikanische Kartenanbieter dominieren den Markt, weitere US-Häuser greifen an. Die European Payments Initiative (EPI) will die europäischen Banken im Spiel halten.

Martina Weimert

Martina Weimert ist eine ausgewiesene Spezialistin für den Zahlungsverkehr: Die seit vielen Jahren in Frankreich lebende Deutsche ist seit 2016 Partner bei Oliver Wyman und aktuell CEO der European Payments Initiative (EPI). Foto: privat

Frau Weimert, wer braucht die European Payments Initiative mehr: die Banken oder die Kunden?

Die Initiative ist wichtig für die Banken, für die Kunden, für die Händler, für die europäische Wirtschaft und für die Politik. Fangen wir mit den Kunden an: Sie nutzen heute verschiedene Apps, von denen keine sämtliche Funktionen übernimmt. Und außer der Apps der Banken sind die anderen Lösungen nicht an die Konten angeschlossen. Die Banken-Apps wiederum sind oft nicht sehr komfortabel oder bieten nicht alle Zahlungsmöglichkeiten. Dies versuchen wir mit der EPI zu überwinden. Wir bieten den Kunden zwei Lösungen in einer App: eine Debit- und Kreditkarte sowie die Möglichkeit, Instant Payment auch im Handel zu nutzen.

Das Interesse an Instant Payment ist bei den Kunden doch bislang eher gering …

Das liegt daran, dass man es im Handel nicht nutzen kann. Instant Payment im Handel ist etwas ganz anderes, als einfach Geld von einem Konto auf ein anderes zu transferieren. Im Handel kann zwar heute bereits die Sofortzahlung nutzen, doch damit fehlen dem Verbraucher wichtige Rechte wie Rückgabe, Refund und Reimbursement. All diese Rechte erwarten die Konsumenten aber zu Recht – und das unabhängig von der Zahlungsmethode. Instant Payment ist ein echter Fortschritt, weil damit Rechte und Sofortzahlung verknüpft werden.

Instant Payment wird noch eine Zeit brauchen, aber es wird das New Normal werden.

Was haben die Banken davon?

Alle Banken sind in Bedrängnis. Die nationalen Lösungen für den Zahlungsverkehr im Handel funktionieren zwar, aber sie wachsen in den meisten Ländern kaum. Dazu kommen mit Anbietern wie PayPal, Apple Pay etc. ganz neue Wettbewerber auf den Markt. Kein europäisches Haus hat die Durchschlagskraft, allein ein Zahlungssystem auf die Beine zu stellen, das im Markt Erfolg hat. Darum haben sich auf nationaler Ebene schon Lösungen etabliert. Wir heben das Thema auf die europäische Ebene, weil national heute nicht mehr ausreicht.

Wollen Sie alle nationalen Lösungen einfach abschaffen?

Nein, so gehen wir nicht vor; wir wollen die nationalen Transaktionsvolumina auf EPI überführen Was die digitalen nationalen Lösungen - also außerhalb der nationalen Kartensysteme – angeht, werden wir schauen, ob die Systeme Wert haben oder nicht. In den Niederlanden gibt es beispielsweise ein nicht sehr komfortables, aber sehr erfolgreiches System, das wir selbstverständlich in EPI überführen. Auch in Polen und in Spanien gibt es akzeptierte Ansätze, die bereits ein breites Händlernetzwerk mitbringen.

Wieso sind die Tech-Firmen eigentlich ein Problem? Die Banken kooperieren doch mit ihnen …

Das stimmt, aber es ist keine ausgewogene Zusammenarbeit. Nehmen wir Apple Pay: Apple lässt sich dafür bezahlen, die Karte einer Bank aufzunehmen. Und obwohl bei Apple Pay der Zahlungsverkehr über Visa, Mastercard oder die Banken läuft, kassiert Apple einen erheblichen Anteil. Zusätzlich geht die Kundenbeziehung verloren, weil der Kunde gefühlt mit Apple Pay bezahlt und die dahinter agierende Bank kaum wahrnimmt.

Die Händler erkennen genau, dass sie das Duopol aus Visa und Mastercard letztlich viel Geld kostet.

Warum machen die Banken das denn mit?

Weil ihnen das eigene Angebot fehlt. Die Customer Experience der großen Tech-Firmen können die Banken heute meistens nicht liefern. Diese Schwachstelle beseitigen wir: Wir haben ein Regelwerk für den Handel mit unseren beiden Zahlungsmethoden Karte und Instant Payment entwickelt. Nun bauen wir eine App, die mit der Bank verbunden ist und auch Zusatzdienstleistungen wie „Buy now pay later“ entwickelt. Wir entwickeln aber keine Super-App, wie manchmal behauptet wird. Wir wollen kein Restaurant aussuchen, die sozialen Medien integrieren oder eine E-Commerce-Plattform werden. Wir konzentrieren uns ausschließlich auf den Zahlungsverkehr und alle dafür nützlichen Dienstleistungen. Wir nutzen das Momentum Instant Payment, um den Banken die Möglichkeit zu geben, ihre früher starke Position im Retail-Handel zurückzuerobern.

Wollen die Händler denn Instant Payment?

Natürlich, die Händler wollen das Geld sofort auf ihrem Konto haben, auch wenn sie nicht jede Transaktion als eine Linie auf ihrem Konto sehen wollen. Der Druck wird aber vor allem vom Konsumenten kommen: Sie fordern in Zeiten von Smartphones ganz einfach eine sofortige Erledigung und volle Klarheit über ihre eigene Kontoposition. Das digitale Verhalten ist nun einmal „real-time“. Ein oder zwei Tage Verzögerung wie mit einer Karte sind künftig für die meisten nicht mehr akzeptabel. Man darf allerdings die Veränderungsgeschwindigkeit nicht überschätzen, im Zahlungsverkehr braucht der Wandel immer sehr lange. Instant Payment wird noch eine Zeit brauchen, aber es wird das New Normal werden.

Die European Payments Initiative (EPI)

Im Juli 2020 hoben 16 europäische Banken die EPI aus der Taufe, um eine neue paneuropäische Zahlungsverkehrslösung zu entwickeln. Mittlerweile sind 33 Banken und Acquirer Gesellschafter der Initiative. Ziel ist, den etablierten Platzhirschen Visa und Mastercard sowie den erfolgreichen Angreifern PayPal, Alipay, Klarna oder Apple Pay die Stirn zu bieten und Einnahmen zu sichern.

Das Vorhaben, eine Karte sowie Instant Payment mit einer komfortablen App anzubieten und das System in den Banken zu integrieren, verlangt Investitionen in Milliardenhöhe. Im Oktober werden die Gesellschafter über das weitere Vorgehen entscheiden und im positiven Fall die aktuelle Interim Company in eine Target Holding Company überführen.

Wer zahlt die Zeche für die Leistung?

Hier investieren Banken und Zahlungsdienstleister gemeinsam, weil beide im Zahlungsverkehr positioniert bleiben wollen und Europa bisher die einzige große Region in der Welt ist, die keine eigene grenzüberschreitende Lösung hat. Die Banken sichern sich mit unserem Angebot also auch künftige Einnahmequellen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die Europäische Kommission das bisherige Modell der Interchange Fee abschaffen will, mit dem die Karten ausgebenden Banken heute noch verdienen. Für die Nutzung des Systems zahlen die Händler eine Gebühr.

Das Plädoyer für Instant Payment ist verstanden. Aber wollen die Händler wirklich noch ein zusätzliches System?

Die Händler erkennen genau, dass sie das Duopol aus Visa und Mastercard letztlich viel Geld kostet – das zeigen auch die enormen Renditen der beiden Anbieter. Die Händler wissen auch, dass man für Instant Payment ein ganz neues System aufbauen muss. Und auch für die Karte braucht es eine neue Plattform, sonst ändert sich am Duopol letztlich nichts.

Welche Rolle spielt der digitale Euro für Ihren Ansatz?

Das ist keine ganz einfache Frage. Grundsätzlich: In unser Wallet passt alles hinein, für den Kunden bedeutet das noch mehr Wahlmöglichkeiten. Allerdings muss sich erst noch zeigen, welchen Ansatz der digitale Euro verfolgt. Wir haben darum eine Arbeitsgruppe zum digitalen Euro ins Leben gerufen. Der digitale Euro kann prinzipiell nämlich sowohl Instant Payment als auch die Karte ersetzen. Das ist politisch gewiss nicht gewollt. Und eine Währung ist nicht dasselbe wie ein Zahlungsinstrument im Handel: Die EZB will sicherlich nicht Millionen Privatkonten einrichten und sich mit Rückgaberechten und ähnlichem herumschlagen. Zahlungsinstrumente im Handel brauchen Regeln – wir haben das Regelwerk und eine handelsfähige Lösung, die EZB hat es nicht.

Der digitale Euro kann sowohl Instant Payment als auch die Karte ersetzen. Das ist politisch gewiss nicht gewollt.

Sie haben sich sehr unverfänglich Initiative genannt. Das klingt nach zeitlicher Begrenzung. Was wird aus der EPI, wenn sie erfolgreich ist?

EPI Interim Company, so wie sie jetzt existiert war immer nur für eine begrenzte Zeit gedacht, und soll Ende des Jahres in die letztendliche Target Holding Company überführt werden. Dazu soll es im Herbst noch die letztendliche Entscheidung der Aktionäre geben. Wir sind ja letztlich ein Zahlungsverkehrs-Fintech, das den Banken und Acquirern Europas gehört.

Können Banken Trittbrett fahren, indem sie andere die Kosten tragen lassen und dann selbst die entwickelte Lösung nutzen?

Das wird sicherlich in gewissem Umfang geschehen. Heute haben wir Banken aus sieben Ländern mit an Bord, die kleineren halten sich bislang eher zurück und warten ab – was bedeutet, dass sie in gewisser Weise die großen Märkte das Risiko tragen lassen. Das lässt sich nicht gänzlich vermeiden, ist aber auch nicht dramatisch. Man kann bei uns entweder Gesellschafter sein oder Member werden – letztere können gegen eine Gebühr unsere Leistung beziehen. Wir können also künftig auch mit Banken Kosten abdecken, die die Aufbauarbeit nicht finanzieren. Allerdings wollen die Händler natürlich auch eine hohe Abdeckung gewährleistet sehen und fragen uns schon, warum noch nicht mehr Länder in der Initiative vertreten sind. Wenn die Entscheidung gefällt wird, werden sicherlich einige Länder mehr dazu stoßen wollen, weil dann die bisherige Unklarheit nicht mehr bestehen wird.

Würde denn eine europäische Abdeckung ausreichen oder muss ein Zahlungssystem global akzeptiert sein?

Ich sehe bei einer europäischen Abdeckung schon sehr großes Interesse bei den Händlern. Unsere Herausforderung ist eher der Preispunkt. Alle Händler sind bereits versorgt – darum muss ein zusätzliches Angebot ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Das ist nicht ganz einfach, weil die Investitionen doch enorm sind. Andererseits: Wenn Unternehmen wie Amazon, WeChat und Apple gern Gesellschafter werden wollen, kann unser Ansatz nicht ganz falsch sein. Wir sehen auch Interesse von anderen Akteuren und Regionen in der Welt, die mit EPI bereits jetzt die Zusammenarbeit suchen.

Hätten wir nur zwei oder drei Finanzinvestoren als Gesellschafter, wäre mein Leben sicherlich leichter.

A propos Gesellschafter: Wie schwierig ist es denn, die Interessen von 33 Banken und Acquirern im Gesellschafterkreis unter einen Hut zu bekommen?

Ich sage mal so: Hätten wir nur zwei oder drei Finanzinvestoren als Gesellschafter, wäre mein Leben sicherlich leichter. Natürlich hängen die Banken an ihren eigenen und an den nationalen Lösungen und wünschen sich Integrationen auch wenig akzeptierter Systeme. Das ist nicht immer ganz einfach in Einklang zu bringen. Auf der strategischen Ebene sind sich alle einig. Aber auf der operativen Ebene gibt es noch einige unterschiedliche Interessen. Wir brauchen von den Banken klare Commitments, wie und wann unsere Lösungen implementiert werden. Und dieses Risiko fester Zusagen scheuen manche bisher.

Wollen die Gesellschafter denn mit ihrem Investment Geld verdienen oder nicht in erster Linie Einnahmen absichern und zusätzliche Erlöse ermöglichen?

Natürlich wollen unsere Investoren mit uns am Ende auch Geld verdienen oder wenigstens die Investitionen langfristig wieder erwirtschaften. Zwar stand am Anfang die strategische Entscheidung, die Positionen und Einnahmen im europäischen Zahlungsverkehr zu verteidigen. Dabei ging es erst einmal nicht darum, dass die Gesellschaft selbst Geld verdient. Aber in den Banken und den Zahlungsdienstleistern wandern die Entscheidungen dann von der Strategie-Ebene in die Investitionskomitees. Dort wird evaluiert, ob und Projekt besser ist als andere, und natürlich werden auch Fragen nach der Rentabilität gestellt. Unser Projekt ist ja auch nicht billig: Alle bestehenden Lösungen müssen umgekrempelt werden, wir bauen eine neue App und die neue Lösung muss in alle bestehenden Apps der Banken integriert werden. Am Ende muss das Angebot für Händler und Kunden sowohl attraktiv als auch einfach und sicher sein. Das braucht Zeit: Visa und Mastercard haben 40 Jahre gebraucht, um sich die heutige Position zu erarbeiten. Aus meiner Sicht können wir in fünf Jahren beurteilen, ob wir erfolgreich sind. Aber der EPI Business Case wird mehr als zehn Jahre brauchen.

08/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.