Minderheitsbeteiligung – ein Helfer in der Krise?

Zahlreiche Unternehmen werden Eigenkapital brauchen, um die Krise zu überstehen. Ist eine Minderheitsbeteiligung auf Zeit für Unternehmen und Investoren attraktiv?

Finanzinvestoren hätten die Lufthansa nicht gestützt – also musste der Staat mit einer Minderheitsbeteiligung in Höhe von gut 20 Prozent ins Risiko gehen. Foto: Alex Kraus/Bloomberg via Getty Images

Eigentlich kommt die Pandemie zu keinem schlechten Zeitpunkt: Die meisten Mittelständler schauen auf zahlreiche gute Jahre zurück, viele konnten ordentlich Eigenkapital aufbauen. Allerdings fällt Corona für einige Unternehmen mit einem konjunkturellen Abschwung und einem strukturellen Wandel zusammen. Das gilt vor allem für die so wichtige Automobilbranche, aber auch für Teile des Maschinen- und Anlagenbaus und für Fashion. Die dreifache Herausforderung frisst sich in manchen Fällen rasend schnell ins Eigenkapital. Doch auch wer „nur“ von Corona getroffen wird, bangt mitunter um seine Finanzierung.

Wichtiges Fach-Chinesisch: Tag-along und Drag-along

Wenn Finanzinvestoren mit einer Minderheit einsteigen, wird der Exit gleich mitgedacht. Dafür gibt es in den Verträgen zwei wesentliche Klauseln:

Mitverkaufsrecht (Tag-Along)

Bei einem Mitverkaufsrecht hat ein Gesellschafter die Möglichkeit, sich einer geplanten Veräußerung anzuschließen. Will ein Gesellschafter seine Beteiligung veräußern, hat er es den anderen Gesellschaftern mitzuteilen. Alle Inhaber eines Mitveräußerungsrechts dürfen (müssen aber nicht) verlangen, dass ihre Anteile ebenfalls veräußert werden.

Mitverkaufspflicht (Drag-Along)

Weil Käufer häufig die Mehrheit oder das ganze Unternehmen erwerben wollen, lassen Finanzinvestoren bei einer Minderheitsbeteiligung oft eine Mitverkaufspflicht für die anderen Gesellschafter festlegen. Damit können betroffene Gesellschafter unter bestimmten Umständen zum Mitverkauf gezwungen werden.

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Nicht heute, aber morgen

Aktuell ist das für viele Unternehmen noch kein Problem. Die reichlich ausgeschütteten Fördermittel haben viele Liquiditätslöcher gestopft. Doch viele Unternehmen werden die Umsatzausfälle nicht nachholen können, und die Fördermittel sind keine Zuschüsse, sondern Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Viele Unternehmen rutschen vermutlich dauerhaft auf ein niedrigeres Ertragsniveau. Damit stehen höheren Schulden geringere Gewinne gegenüber – eine Kombination, die nach zusätzlichem Eigenkapital schreit, das nicht immer von den bestehenden Gesellschaftern aufgebracht werden wird.
„Wir haben in der ersten Corona-Welle erlebt, dass die Unternehmen Kredit zur Liquiditätssicherung aufgenommen haben“, sagt Marcus Stein, der bei der Deutschen Bank mittelständische Unternehmen zu Eigenkapitallösungen berät. „In der aktuellen Welle wird es noch einmal staatliche Kredite geben. Allerdings mag das nicht für alle in ausreichendem Maße der Fall sein. Dann sollten wir Lösungen sehen, die näher am Eigenkapital sind. Meine Erwartung wäre, dass wir in dem Zusammenhang auch zunehmend Diskussionen über Minderheitsbeteiligungen sehen werden.“ Stein sieht die Anfragen in den nächsten ein bis zwei Jahren kommen.

„Strategische Investoren kommen um zu bleiben."

Marcus Stein, Deutsche Bank

Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten werden als Minderheitsgesellschafter auf Zeit kaum in Frage kommen. „Strategische Investoren kommen um zu bleiben“, sagt Stein. „Außerdem wollen sie in der Regel die Mehrheit und oft sogar alle Anteile übernehmen, damit sie durchregieren können.“ Die meisten Beteiligungsgesellschaften wollen ebenfalls die Mehrheit, aber einige haben viel und gute Erfahrungen mit Minderheiten gesammelt. „Eigentlich gewinnt man durch die Mehrheit nichts“ hat Christian Futterlieb, Geschäftsführer von VR Equitypartner, beobachtet. „Die rein rechtliche Möglichkeit durchzugreifen hilft in der Praxis nicht viel – man muss die Dinge lösen, die auf dem Tisch liegen.“
Können Beteiligungsgesellschaften sich vorstellen, auch Bankkredite mit Eigenkapital abzulösen? „Denkbar ist das“, sagt Futterlieb. „Wir sehen aber derzeit die Anfragen nicht, weil die Finanzierungen auf Grundlage von Corona-KfW-Bürgschaften den Liquiditätsbedarf abdecken.“ Allerdings schauen die Investoren in diesen Fällen noch genauer hin: „Man muss aufpassen, nicht missbraucht zu werden“, erklärt Goetz Hertz-Eichenrode, Vorstandssprecher der alteingesessenen Beteiligungsgesellschaft Hannover Finanz. „Manchmal wissen die Banken, dass die Schulden nichts mehr wert sind.“

Rückkaufoption: ungern, aber möglich

Manch ein Unternehmer wäre den Investor gern irgendwann wieder los und wünscht sich ein Rückkaufsrecht. Für Beteiligungsgesellschaften ist das aber kein einfaches Feld, weil damit die Rendite begrenzt wird. Darum kommen Rückkaufoptionen oft nur in Betracht, wenn die Investoren im Wettbewerb um ein Unternehmen stehen. „In manchen Fällen bieten wir dem Eigentümer ein Rückkaufsrecht an, das auch in Tranchen gezogen werden kann“, berichtet Hertz-Eichenrode. Kollege Futterlieb erklärt die Systematik: Üblicherweise wird ein EBIT-Multiplikator festgesetzt, der dem Einstiegs-Multiple entspricht. Alternativ oder zusätzlich lassen sich Finanzinvestoren eine Mindestrendite zusichern, die etwa bei 20 Prozent pro Jahr liegt.
Nicht immer braucht es hartes Eigenkapital, um die Bilanz aufzumöbeln und die Kreditgeber zu beruhigen – nachrangige Finanzierungen können denselben Zweck erfüllen. Diese Finanzierungen können von Debt Funds kommen, aber auch von Banken und Beteiligungsgesellschaften. Auch andere Finanzierungsinstrumente, die näher am Eigenkapital sind, kommen zum Einsatz: Hannover Finanz zum Beispiel beginnt ein Engagement gern mit einer Mezzanine-Finanzierung – zum Beispiel mit einer Wandelanleihe, die ein Wandlungsrecht für den Finanzinvestor enthält. „Aufgrund der gesteigerten Ansprüche werden wir mehr Flexibilität und Kreativität in der Strukturierung der passenden Finanzierungslösung auch im Mittelstand sehen“, glaubt Stein.

Worauf man sich einlässt

In das operative Tagesgeschäft mischt sich kein Finanzinvestor ein. Einmal pro Jahr wird ein Budget definiert, innerhalb dieses Rahmens arbeitet der Unternehmer frei. Die unternehmerische Freiheit ist gleichwohl eingeschränkt: Wie in jeder Geschäftsführungsordnung sind Fälle festgelegt, die eine Zustimmung der Gesellschafter erfordern, wenn unternehmerische Entscheidungen getroffen werden müssen. Das geht nur im Konsens: „Die Satzungen unserer Portfoliounternehmen sehen immer vor, dass wir uns einigen müssen“, sagt Futterlieb.
Klar geregelt werden müssen vorab die Kauf- und Verkaufsrechte. Klassische Bestimmungen wie Drag-Along (Pflicht zur Mitveräußerung von Anteilen) und Tag-Along (Recht zur Mitveräußerung von Anteilen) gehören immer in den Vertrag, die Verkaufspflicht wird aber oft für mehrere Jahre freigestellt. Außerdem räumen Beteiligungsgesellschaften oft ein Vorkaufsrecht ein.
Die Erfahrungen der Finanzinvestoren mit den Unternehmern sind fast durchweg positiv. „Der Unternehmer versteht uns als Bereicherung“, sagt Hertz-Eichenrode. „Das ist auch notwendig, um die Einschränkungen zu akzeptieren.“ Manchmal erkennt aber auch ein sehr erfahrener Finanzinvestor erst zu spät, dass ein Unternehmer nicht „beteiligungsfähig“ ist.

Staatliche und private Initiativen

Auch der Staat hat erkannt, dass in dieser Krise Eigenkapital wichtig werden wird. Mit dem schon im März eingerichteten und im Juli von der EU-Kommission genehmigten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) können den Unternehmen bis zu 600 Milliarden Euro „zur Stärkung ihrer Kapitalbasis und zur Überwindung von Liquiditätsengpässen“ zur Verfügung gestellt werden. Allerdings sind nur Unternehmen antragsberechtigt, die zwei von drei der folgenden Kriterien erfüllen: mehr als 50 Millionen Euro Umsatz, mehr als 43 Millionen Euro Bilanzsumme und mehr als 249 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt. Der größte Teil des Mittelstands bleibt damit außen vor.

„Der Unternehmer versteht uns als Bereicherung."

Goetz Hertz-Eichenrode, Hannover Finanz

Einige Bundesländer haben Programme für kleinere Unternehmen aufgelegt. Auch ein privatwirtschaftliches Programm ist gestartet worden: die Initiative zur Stärkung des Eigenkapitals im deutschen Mittelstand (ISEM). Zielgruppe sind Unternehmen, die in Vorkrisenzeiten Umsätze zwischen 5 Millionen und 100 Millionen Euro erzielt haben und mindestens 100.000 Euro Eigenkapital suchen, die Finanzierung soll von institutionellen Investoren kommen. „Mit unserer Matching-Plattform finden wir die passenden privaten oder institutionellen Investoren“, sagt Initiator Matthias Wittenburg; über dessen M&A-Plattform Companylinks die Beteiligungen laufen sollen. Die Unternehmer sollen in der Regel eine Rückkaufoption erhalten.
Noch sind die Nachfragen bei allen Anbietern überschaubar. Aber noch hat die zweite Welle ihre ökonomische Wirkung auch nicht wirklich entfaltet. Zombie-Unternehmen ohne ein Nach-Krisen-Geschäftsmodell werden allerdings kein Eigenkapital erhalten. Für alle anderen ist es beruhigend zu wissen, dass der Markt sich vorbereitet. Am Geld mangelt es jedenfalls nicht.


11/2020

Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.