Nächste Hoffnung Auto-Flatrate

Mit dem Auto-Abo sollen Kunden gewonnen werden, die bei minimalem Aufwand möglichst flexibel sein wollen. Zahlreiche Start-ups und Autohersteller drängen in den neuen Markt. Ein Erfolgsmodell – und Vorbild für andere Branchen?

Nächste Hoffnung Auto-Flatrate

Durch die Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Autos eingebrochen. Die Hersteller suchen nun nach neuen Absatzmöglichkeiten. Wird die Flatrate helfen? Foto: istock

38% 

der Deutschen interessieren sich einer Studie zufolge für das Auto-Abo



Die Flatrate soll’s richten. „Care by Volvo“, werben die China-Schweden derzeit intensiv. Und sind damit längst nicht allein. Auch Porsche, Mercedes Benz, BMW und VW bieten ihre Autos zum monatlichen Festtarif an. Hinzu kommen mehr als ein halbes Dutzend Start-ups wie Faaren, Like2drive, Cluno oder Vive La Car. Und auch Verleiher wie Sixt und ganz aktuell Europcar sind auf den Zug aufgesprungen. Was Konsumenten schon länger von Netflix und Handy kennen, sollen sie jetzt auch beim Auto schätzen lernen: nutzen, so viel man möchte, ohne Mehrkosten. Bei der Auto-Flat, auch Auto-Abo genannt, ist von Versicherung bis Werkstattkosten bereits alles in der Monatspauschale enthalten – außer Benzin. Das verspricht sich insbesondere für jüngere Fahrer zu lohnen, die sonst hohe Versicherungsbeiträge zahlen müssen.

Die Automobilbranche, die ohnehin unter sinkender Nachfrage in Kernmärkten, regulatorischen Herausforderungen und dem Wandel zur Elektromobilität leidet, ist durch die Corona-Krise noch heftiger gebeutelt worden. 60 Prozent Absatzrückgang im April waren der vorläufige Tiefpunkt.

Wie kommen die Hersteller (OEMs) aus dem tiefen Tal heraus? Die Flatrate verspricht die passende Lösung in der Krise zu sein: Kunden können auch sehr kurze Laufzeiten von teilweise nur einem Monat vereinbaren, und das ganz ohne Anzahlung. Das macht die Flat de facto zur Langzeitmiete und unterscheidet sie vom Autokauf und auch vom Leasing mit seiner mehrjährigen Laufzeit und einer Anfangszahlung. Wer derzeit unsicher ist, wie es beruflich weitergeht, wird weder große Investitionen tätigen noch langfristige teure Verpflichtungen eingehen. Zugleich gewinnt der Individualverkehr durch die Pandemie an Zuspruch, ein Auto verspricht mehr Sicherheit als öffentliche Verkehrsmittel.

Das macht Hoffnung, die die Beratungsgesellschaft Oliver Wyman auch mit Zahlen untermauert. Laut einer aktuellen Studie zeigen schon 38 Prozent der Deutschen Interesse an der Auto-Flat.

Das ist eine deutliche Steigerung zum Vorjahr (rund ein Viertel). Jeder Sechste ist bereit, mehr als 1.250 EUR monatlich für das Rundum-sorglos-Paket auszugeben.

Die Flat als Kriseninstrument

Zu den Auto-Flat-Nutzerzahlen gibt es bislang noch keine Angaben. Sixt will bis Jahresende eine fünfstellige Anzahl von Abos verkauft haben. Allerdings könnten die Preise der Anbieter das Interesse empfindlich dämpfen. Sie sind deutlich höher als vergleichbare Leasingraten. 2019 zahlte der deutsche Leasingnehmer eine Monatsrate von 137 bis 499 EUR, je nach Fahrzeugklasse. Ein BMW 5er Touring ist im anzahlungsfreien Leasing schon ab 499 EUR zu haben, bei Cluno kostet das vergleichbare Modell 40 Prozent mehr im Monat. Das liegt nicht nur an den inkludierten Extraleistungen, sondern auch daran, dass fast nur Neuwagen im Angebot sind. Damit es günstiger werden kann, müssten aber mehr (junge) Gebrauchtwagen verfügbar sein. Die Autohersteller suchen eben dringend nach neuen Absatzmöglichkeiten für ihre bestehende Produktion.

Wie die Autohersteller suchen auch die Fluglinien nach neuen Möglichkeiten, um ihre Überkapazitäten abzubauen. Immer mehr Flug-Flatrate-Anbieter drängen auf den Markt. Schon ab 450 EUR kann man bis Jahresanfang 2021 mit der chinesischen China Southern unbegrenzt fliegen. Auch der Billigflieger Air Asia X sucht in der Flat einen Ausweg aus dem Corona-Unheil. Nachhaltig ist die Flug-Flat allerdings kaum. Als American Airlines in den 1980er Jahren eine Flatrate fürs Fliegen in der ersten Klasse angeboten hatte, stand unterm Strich ein Verlust von 1 Mio. USD je Flat-Kunde. Auch spätere Flat-Versuche wie vom deutschen Start-up Flatplane oder vom US-amerikanischen OneGo sind gescheitert. Nur ganz kleine Fluglinien wie Surf Air (USA) oder Take Air halten sich am Markt. Fürs Fliegen scheint die Flat kein nachhaltiges Pricing-Modell zu sein.

Hohe Fixkosten, geringe Stückkosten

Die Flatrate wird offenbar leichter ein Erfolg, wenn wie bei Online-Filmdatenbanken oder Mobilfunkanbietern die Fixkosten – ob eingekaufte Filme oder Mobilfunkinfrastruktur – im Verhältnis zu den Stückkosten hoch sind. Gleichzeitig sollte das Angebot aber noch ausreichend Potenzial bieten, mit jedem Abonnenten einen höheren Umsatz zu erzielen, als bislang mit dem durchschnittlichen Kunden möglich war. Telefonkunden telefonieren mehr, Netflix-Kunden streamen mehr, aber die Mehrkosten für die Anbieter sind sehr gering. Das funktioniert nach Angaben von Easycarwash sogar bei der Autowäsche: Die Flatrate-Wäscher geben nach Anbieterangaben rund doppelt so viel Geld für Autowäsche aus wie die klassischen Kunden. Dabei sind sie weniger Wetter-, Jahres- und Tageszeit-abhängig, der Waschanlagenanbieter hat damit gerade in wenig frequentierten Zeiten eine höhere Auslastung seiner teuren Anlage. Ob diese Voraussetzungen auch für die Autohersteller gelten?

Klar ist: Andere Branchen werden das Flatrate-Modell kaum übernehmen können.

"Andere Branchen werden das Flatrate-Modell kaum übernehmen können."

Im Maschinenbau ist an eine kurzfristige Laufzeit kaum zu denken, da die Aufstell- und Abbaukosten zu hoch wären. Hier ermöglichen Industrie-4.0-vernetzte Maschinen eine Abrechnung großteils nach Nutzung. Anders als bei der Flatrate – beliebige Nutzung innerhalb eines definierten Zeitraums – wird beim Pay per Use (PPU) verbrauchsabhängig abgerechnet; eigentlich ein sehr klassisches Preismodell, das aber bislang bei Großinvestitionen wie Maschinen nicht möglich war. Der große Vorteil für den Nutzer: Er spart sich die hohen Anfangskosten und zahlt nur dann mehr, wenn er die Maschine auch entsprechend nutzt. Neben einer fixen Gebühr kann dann verbrauchsgenau der Preis variieren. Dadurch wird das finanzielle Risiko einer Fehlinvestition für den Nutzer überschaubar. Andererseits sinkt natürlich auch die mögliche Upside durch Skaleneffekte, wenn die Maschine am Auslastungslimit produziert. Doch in der Krise dürften viele Kunden froh sein, wenn sie solche flexiblen Preismodelle nutzen können. Angesichts der konjunkturellen Unsicherheit wissen viele Unternehmen nicht, ob sie ihre Produktion dauerhaft herunterfahren müssen oder schon bald wieder durchstarten können. Flexibilität passt in diese sogenannte VUCA-Zeit voller Volatilität und Ungewissheit.

Carsharing hat den Markt nicht revolutioniert

Die Anbieter dieser flexiblen Verrechnungsmodelle können nicht nur neue Kundensegmente gewinnen, sondern erhalten auch exklusive Daten zu Nutzungsverhalten und Verbrauch. Daraus ergeben sich Chancen von der Produktweiterentwicklung bis zum Absatz: Müssen Teile ersetzt werden? Produziert der Kunde an der Kapazitätsgrenze?

Durch ihre digitalen Geschäftsmodelle können auch Flatrate-Anbieter wie Netflix wertvolle Daten gewinnen. Die Auto-Flat wird allerdings nur wenig Datennutzen für die Anbieter haben. Zum einen sind moderne Autos längst vernetzt, dem Hersteller entgeht keine Pannenmeldung mehr. Zum anderen gibt die Flat nur eine Antwort auf die Frage: „Benötige ich ein Auto?“ Das echte Nutzerverhalten wird – außer der Freikilometerbedarf – ausgeklammert. Dabei gibt es durchaus PPU-Angebote: Taxis, Mietwagen – und seit einigen Jahren Carsharing. Carsharing war vor wenigen Jahren unter dem Stichwort der „Share Economy“ schon ein heißes Thema. Tatsächlich gewinnt Carsharing kräftig weiter Nutzer, allerdings bleibt der Markt noch überschaubar – zumindest aus Herstellersicht. Zwar sind inzwischen knapp 2,3 Millionen Kunden bei einem Carsharing-Anbieter registriert, doch nur rund 25.000 Autos gehören deutschlandweit zur Flotte – aller Anbieter. Zum Vergleich: Allein im Juni wurden in Deutschland knapp 280.000 Neuwagen zugelassen.

Der Nachteil: Bei allen drei Auto-PPU-Modellen gibt es keine exklusive Nutzung – anders als bei den Maschinen. Dabei wäre solch ein Angebot angesichts von gestiegenem Hygiene- und Distanzbewusstsein sicher für viele Nutzer interessant. Aber ein PPU-Modell mit „eigenem“ Auto werden die Autohersteller auf absehbare Zeit kaum anbieten wollen, da Autos laut VCD durchschnittlich nur eine Stunde am Tag gefahren werden. Der Preis je Stunde Nutzung wäre abschreckend hoch.


 8/2020

Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.