
Rasanter Verfall
Der technologische Wandel führt nicht nur planmäßig zu schnellen Abschreibungen, sondern kann auch riesige Unternehmenswerte vernichten. Das trifft Branchen unterschiedlich stark – die Techunternehmen selbst nicht einmal am schlimmsten.

Es kann so schnell gehen: Was heute noch Stand der Technik ist, muss morgen schon abgeschrieben werden. FOTO: PIC4 / AI GENERATED
Das deutsche Steuerrecht erkennt seit 2021 an, dass Computerhardware und Anwendungssoftware in hoher Geschwindigkeit veralten. Daher wurde der Abschreibungszeitraum für diese Anschaffungen von drei Jahren auf ein Jahr verkürzt. Doch Unternehmen können durch technologische Neuerungen ganz andere Probleme bekommen – in kurzer Zeit werden komplette Produktgattungen und sogar Geschäftsmodelle obsolet. Dann sind deutlich höhere, oft außerplanmäßige Abschreibungen auf den Unternehmenswert notwendig.
Auch dafür gibt es Regeln. Der internationale IFRS-Rechnungslegungsstandard verlangt einen jährlichen Impairment-Test. Wird dabei festgestellt, dass Firmenwert (Goodwill) und immaterielle Technologien nicht mehr so werthaltig sind wie verbucht, wird der Wertminderungsbedarf abgeschrieben. Das HGB hingegen verlangt eine planmäßige Abschreibung des Goodwills über eine wirtschaftliche Nutzungsdauer von maximal zehn Jahren. Außerplanmäßige Abschreibungen sind aber zusätzlich nötig, wenn eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung eintritt. Eine spätere Wertaufholung ist für den Goodwill laut HGB und IFRS nicht möglich. Einmal abgeschriebener Goodwill bleibt abgeschrieben.
Bei anderen immateriellen Vermögenswerten wie erworbenen Technologiepatenten verlangt das HGB (anders als der IFRS) ebenfalls eine planmäßige Abschreibung – damit ist das Vorsichtsprinzip schon eingebaut. Immaterielle Vermögenswerte lassen sich aber bis zum vorherigen Buchwert zuschreiben, wenn die damaligen Wertminderungsgründe entfallen.
Disruptionsanfälligkeit
Eine grundsätzliche Unterscheidung der Bilanzierungsstandards nach Branchen gibt es nicht, doch immaterielle Werte können sehr unterschiedliche Bedeutungen in der Bilanz haben. Sektoren wie Pharma oder IT, bei denen Patente eine wichtige Rolle spielen, sind entsprechend anfälliger.
Wichtiger als Abschreibungen sind meist durch den Techwandel ausgelöste Marktwertverluste.
Doch wichtiger als Abschreibungen sind meist durch den Techwandel ausgelöste Marktwertverluste. In den 2010er-Jahren haben fast drei Viertel aller Industriezweige eine Zunahme an Disruption erlebt, schreibt Accenture. Die Unternehmensberatung hat eine 2×2-Matrix zur Disruptionsanfälligkeit erarbeitet. Dabei kam heraus, dass solche Branchen besonders resilient sind, die über etablierte Marken, proprietäre Technologien und kontrollierte Vertriebskanäle verfügen. Auch regulierte und kapitalintensive Sektoren wie Gesundheitswesen, Versorger und Banken erwiesen sich demnach als widerstandsfähiger.
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Langsame vs. abrupte Disruption
Je größer der strukturelle Puffer, desto langsamer erfolgt ein technologiebedingter Wertverlust. Allerdings sind auch „defensive“ Branchen wie Grundstoffe, Lebensmittel oder das klassische verarbeitende Gewerbe nicht disruptionsimmun. Sobald alternative Produkte und Technologien wie Fleischersatz oder KI-Robotik massentauglich geworden sind, kann eine vormals stabile Branche erschüttert werden. Doch der Wandlungsprozess erfolgt in der Regel schrittweise und ist absehbar. Allerdings sollten die Unternehmen Zeit und Ressourcen bestmöglich nutzen, um ihren Wert zu erhalten. Das ist – siehe Automobilsektor – keine einfache Aufgabe, weil zugleich das Bestandsgeschäft weitergeführt werden soll. In einigen anderen Sektoren – Beispiel Zeitungswesen – haben die Unternehmen nach einem großen Umbruch ein neues Gleichgewicht gefunden, wenngleich auf einem niedrigeren Niveau.
Ganz anders sind die Voraussetzungen in dynamischen Märkten, in denen es sofort zur technologischen Disruption kommen kann. IT, Medien, Einzelhandel erleben auch deshalb heftige Bewertungsumschwünge, weil ihre Investoren erwarten, dass das Neue das Alte schnell ersetzt. Dafür gibt es Beispiele wie Kodak, dessen bilanzielle Abschreibungen auf Fabriken zur Herstellung von Filmmaterial bemerkenswert waren. Noch gravierender war allerdings der Marktwertverlust des früheren Weltmarktführers für analoge Fotografie.
Auch digitale Vorreiter sind nicht gefeit: Allein 2023 verloren Bildungstechnologieanbieter wie Chegg Inc. mehr als die Hälfte ihres Börsenwerts, weil ChatGPT ihre Dienstleistungen obsolet machen könnte.
Selbst die eigentlich stabilen Versorger kennen Disruption. RWE musste aufgrund der Energiewende 2013 rund 3,3 Milliarden Euro außerplanmäßige Abschreibungen vornehmen, großteils auf Kraftwerksanlagen. E.on schrieb ebenfalls Milliarden ab und gliederte seine konventionellen Kraftwerke in ein neues Unternehmen aus. Sinkende Kosten für erneuerbare Anlagen, bessere Speichertechnik plus Regulierungsänderungen sorgten branchenweit für Marktwertverluste von 60 bis 70 Prozent binnen sieben Jahren.
Wertbeständigkeit im IT-Sektor
Wohl keine Branche wird so regelmäßig technologisch obsolet wie die IT-Branche selbst. Neue Open-Source-AI-Modelle können etablierte KI-Plattformen binnen Tagen mehr als zehn Prozent ihres Werts kosten. Investoren haben die sektorimmanente Disruption längst verinnerlicht. Abschreibungen in den Bilanzen, wenn veraltete Anlagen oder Goodwill an Wert verlieren, sind typisch. Darüber hinaus werden mutmaßliche Verlierer schon lange vor dem tatsächlichen wirtschaftlichen Niedergang drastisch abgewertet. Die möglichen Gewinner werden hingegen mit hohen Multiples belohnt.
Techunternehmen sind kurzfristig volatil, doch sie sind oft gewappnet.
Doch betrachtet man längere Zeiträume, zeigen Halbleiter- und Softwareunternehmen eine geringere Volatilität als Firmen aus mancher etablierten Branche. In einer Übersicht von 75 Branchen, geordnet nach der Volatilität der Gewinn-und-Verlust-Rechnung 1996–2023, stehen Halbleiter auf Platz 25 (Platz 75: am wenigsten volatil). Laut dieser Auswertung durch Verdad auf der Basis von Daten von S&P Capital IQ erreichen Softwareunternehmen einen relativ guten Platz 50.
Techunternehmen sind kurzfristig volatil, doch sie sind oft gewappnet. Insbesondere die Big-Tech-Unternehmen können auch größere Disruptoren übernehmen und integrieren. Zeitweise schwankten Techgiganten weniger als mancher Konsumgüterkonzern. Für junge und spezialisierte Unternehmen gilt dies deutlich weniger, aber auch sie bereiten sich in ihren Strukturen und Organisationen auf schnelle Veränderungen vor.
Schwerer tun sich damit etablierte Branchen wie Automotive, Hotels oder Energieversorger. Die bestehenden Unternehmen haben Innovationen lange Zeit nicht als Disruption, sondern als Evolution erlebt. Kommt es nun zu einer grundlegenden technologischen Veränderung wie Sharing-Modellen oder E-Mobilität, haben sie Probleme, sich mit der Technologie zu wandeln.
05/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.