Kann Künstliche Intelligenz M&A?

Der Einsatz von KI verspricht schnellere, günstigere Unternehmenstransaktionen. Doch die Modelle sind noch nicht voll ausgereift. Wie sind Verbesserungen möglich, die Datenschutz und Vertraulichkeit berücksichtigen?

Unternehmensverkäufe werden auch in Zeiten der KI immer menschlich bleiben müssen. Doch die Künstliche Intelligenz hilft deutlich.

Unternehmensverkäufe werden auch in Zeiten der KI immer menschlich bleiben müssen. Doch die Künstliche Intelligenz hilft deutlich. Foto: erzeugt via Midjourney

Das Potenzial moderner Technologien wie Machine Learning, Big Data und Künstlicher Intelligenz haben die M&A-Spezialisten schon länger erkannt, doch mit den aktuellen großen Sprachmodellen (LLMs, large language models) wie GPT 4.0 von Open AI wurden die Vorteile noch einmal deutlicher. Besonders auf drei Feldern kann der Einsatz von KI schon heute den M&A-Prozess beschleunigen und helfen, Kosten zu sparen: bei der Identifikation potenzieller Übernahmeziele, der Gestaltung der Due Diligence und der Erstellung von Verträgen (siehe Kasten).

„Immer mehr Informationen, zugleich fehlt Personal – und trotzdem soll es keine Qualitätseinbußen geben. Das wird nur funktionieren, wenn KI den Menschen unterstützt.“

Till Brennan, SS&C Intralinks

Der Vorteil der LLMs: Sie können nicht nur Daten filtern und Texte lesen, sondern diese auch in neuen Dokumenten zusammenfassen, Textteile schwärzen oder ganze Analysen erstellen. Tätigkeiten wie die mühsame Aufbereitung umfangreicher Informationen, die bislang meist von Juniorkräften bei den M&A-Beratern, den Wirtschaftsprüfern und den Wirtschaftskanzleien erledigt wurden, können teilautomatisiert werden. So lassen sich Finanzberichte gezielt nach bestimmten Merkmalen durchsuchen oder Risiken in Verträgen hervorheben. Dadurch können in kürzerer Zeit als bislang deutlich mehr Daten gesichtet werden. Weil die KI zudem Texte in einer Vielzahl von Sprachen lesen und verfassen kann, entfallen zudem Zeit und Kosten für Übersetzungen. „Es gibt immer mehr Informationen, zugleich fehlt Personal – und trotzdem soll es keine Qualitätseinbußen geben. Das wird nur funktionieren, wenn KI den Menschen unterstützt“, sagt Till Brennan vom Datenraum-Spezialisten SS&C Intralinks.

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Mehr als ChatGPT

Doch KI ist mehr als Sprachmodelle. Doch dafür braucht es eine ausreichende Datenbasis. Je mehr Dokumente und Daten zur Verfügung stehen, desto besser können Algorithmen verborgene Verhaltensmuster beispielsweise im M&A-Prozess aufdecken: So wird erkennbar, an welcher Stelle und in welcher Situation eine Transaktion gestoppt oder verzögert wird. Oder es können Annahmen über künftige Cashflows besser verifiziert und damit ein realistischerer Kaufpreis gefunden werden. Auch die Sprachmodelle selbst werden mit einem größeren, gezielten Datensatz klüger: Mit dem „Fine-tuning“ anhand ausgewählter Trainingsdaten können sie lernen, welche Informationen sie wie aufbereiten sollen. Kurzum: Die Vorteile liegen auf der Hand und alle großen Datenraumanbieter, aber auch mehrere internationale Wirtschaftskanzleien arbeiten bereits auf Basis von Big Data und generativen Sprachmodellen an der Weiterentwicklung gezielter M&A-Lösungen.

5 Einsatzgebiete für KI im M&A-Prozess

Target Screening: Die Long List kann teilautomatisiert erstellt und schneller gefiltert werden. Eine Short List kann aussagekräftigere Informationen enthalten und gegebenenfalls rascher angepasst werden. Beispiel: MADiscover.

Due Diligence: Verträge und andere Dokumente bis hin zu Online-Echtzeit-Informationen lassen sich auf Risiken überprüfen, aggregieren und bewerten. Bestimmte Informationen können in frühen Verhandlungsphasen gezielt intelligent geschwärzt werden. Beispiel: Kira.

Unternehmensbewertung: Auch komplexe Szenarien können schnell simuliert und Finanzzahlen prognostiziert werden – inklusive der Berechnung des passenden Kaufpreises.

Prozesssteuerung: M&A-Berater sind in der Lage, in schwierigen Verhandlungssituationen schneller Alternativen zu simulieren und Handlungsempfehlungen zu verfassen. Sie können schneller typische „Break Points“ erkennen und bewusst vorab umgehen. Beispiel: Bidder Engagement Score von Ansarada.

Post-Merger-Integration: KI-Systeme können einfacher unterschiedliche Integrationsstrategien vergleichen oder in der Frühphase auch über Daten-Systemgrenzen hinweg leichter vergleichbare Analysen erstellen sowie die Übertragung von Daten von einem ins andere IT-System erleichtern. Beispiel: Modelyzr erlaubt eine bessere Einschätzung des Kundenpotenzials.

Die KI ist bislang allerdings weit davon entfernt, fehlerfrei zu sein. Das beginnt bei strukturellen Schwächen wie begrenzten Datenvolumina, die zugleich verarbeitet werden können. Zwar kann das Sprachmodell Claude vom Unternehmen Anthropic mittlerweile bis zu rund 75.000 Wörter „verarbeiten“ und GPT kann auch umfangreiche PDF-Dokumente analysieren und zusammenfassen. Doch die Praxis zeigt, dass die Modelle zur selektiven Auswahl neigen. So werden beispielsweise die Informationen am Anfang und am Ende eines umfangreichen Dokuments deutlich stärker berücksichtigt als der Mittelteil. Hinzu kommt, dass LLMs auch bei der sogenannten Retriever-Augmented Generation (RAG) – der Generator verwendet Informationen, die er aus definierten Datensätzen abgerufen hat – weiterhin nicht vor sogenannten Halluzinationen gefeit sind: Inkorrekte Informationen werden zu korrekten hinzugefügt.

KI und Mensch für das beste Resultat

Es ist allerdings nur eine Frage der Zeit, bis diese Probleme gelöst werden. Das wird nicht auf einmal geschehen, aber mit besserem Training und der Fähigkeit, immer größere Datenmengen zu verarbeiten, wird die Fehleranfälligkeit sinken. Aktuelle Studien zeigen bereits Lösungswege gegen die Halluzinationen auf. Und: Bei aller Kritik an der KI darf nicht vergessen werden, dass auch Menschen keinesfalls fehlerfrei sind. Sie neigen ebenfalls dazu, bestimmte Aspekte überzubetonen, Informationen zu übersehen oder falsch zu interpretieren. Einer Studie von LawGeex aus dem Jahr 2018 zufolge soll bereits damals die Genauigkeitsrate des AI-Analysetools für juristische Dokumente bei 94 Prozent gelegen haben – die von Anwälten hingegen nur bei 85 Prozent. Die Tools sind allerdings bis zu 200-mal schneller als ein Mensch.

Das beste Ergebnis verspricht bis auf Weiteres eine Kombination aus KI und Mensch: Unterschiedliche Analyse-Tools sollten miteinander kombiniert werden, um Schlagseiten oder blinde Flecken zu minimieren. Beispielsweise könnte eine Big-Data-Analyse helfen, gezielt nach Schwächen in den Ergebnissen der LLMs zu suchen. Der Mensch kontrolliert die Ergebnisse und Arbeiten der KI vor der Veröffentlichung, die KI wiederum könnte Annahmen des Menschen testen. Allerdings: Diese „Kooperation“ bedeutet beim derzeitigen Stand der Sprachmodelle oft noch Mehrarbeit im Vergleich zur rein manuellen Aufbereitung, weil nicht immer nachvollziehbar ist, warum die KI welche Fehler macht.

Datenschutz und Vertraulichkeit

Mit der Weiterentwicklung der (fine-getunten) Modelle dürfte dieser Aufwand bei insgesamt besserem Ergebnis sinken. Doch so einfach ist es mit der Verbesserung in so einem sensiblen Bereich wie M&A gar nicht. Denn die Daten, die zur Optimierung von KI-Systemen benötigt werden, unterliegen Datenschutzrechten und einer strengen Vertraulichkeit. Das Problem der großen Sprachmodelle wie GPT von OpenAI: Sie basieren zu einem Großteil auf den im Internet verfügbaren Informationen. Tiefergehende Vertrags- und M&A-Daten gehören nicht dazu. Diese Modelle sind aber derzeit führend – GPT 4 ist in den meisten Bereichen weiterhin aktuell Qualitätsführer.

Ein exklusives KI-Modell aufzubauen, das auch nur annähernd die Qualität von GPT 4 erreicht, ist für die wenigsten M&A-Berater oder Due-Diligence-Spezialisten finanzierbar. Günstiger, aber auch aufwendig, ist das erwähnte Fine-tuning, der Anpassung eines existierenden Sprachmodells an spezielle Bedürfnisse durch eigene Daten. Dabei werden die hinzugefügten Daten zwar Open AI und anderen Anbietern nicht zur Verfügung gestellt. Doch sobald die Marktführer ihre Modelle notwendigerweise weiterentwickeln, könnte der Fine-tuning-Aufwand von vorne beginnen. Und selbst wenn das „fine-getunte“ KI-Modell restriktiv gehandhabt wird, kann nicht genau kontrolliert werden, wie sensible Daten wie Kundennamen oder proprietäre Technologien später in Ergebnissen wieder auftauchen.

Intralinks, berichtet Brennan, setzt bewusst auf eine Eigenentwicklung im Sprachmodell: „Unser Kapital ist Datensicherheit. Daher kommt die Auslagerung der Daten an einen Drittanbieter zur Verarbeitung nicht in Frage. Deshalb investieren wir seit mehr als zwei Jahren in die Entwicklung unseres eigenen Sprachmodells, das ab kommendem Frühjahr im Bereich Due Diligence unseren Kunden zur Verfügung stehen wird.“

Die KI-Anbieter im M&A-Bereich stehen vor einer besonders großen Herausforderung: Ihre Kunden möchten ein möglichst gutes KI-Modell nutzen, um Fehler und Aufwand möglichst klein zu halten. Doch das setzt voraus, dass die Modelle mit möglichst vielen passenden Daten gefüttert werden. Der einzelne Kunde möchte aber die Daten nicht hergeben. Die M&A-KI-Programmierer müssen daher die Daten umfassend anonymisieren. Das kann beispielsweise durch synthetische Daten geschehen, die die Charakteristika realer Daten nachbilden.

Ein anderer Ansatz ist das „föderierte Lernen“: Dabei verbleiben die Daten in einem abgeschlossenen Datenraum und werden nicht direkt im Modell aggregiert. Stattdessen werden jeweils lokale Modelle auf den dezentralisierten Daten trainiert und nur die Updates und Parameter der Modelle an den zentralen Server gesendet. Die rohen Daten verlassen dadurch nie den Datenraum, nur die Modell-Updates werden im Gesamtmodell aggregiert. Dieses verbesserte Gesamtmodell wird dann wieder jedem einzelnen Datenraum zur Verfügung gestellt. Doch eine sinnvolle Aggregation der Einzel-Updates ist nicht nur technisch sehr aufwendig: Der M&A-Markt verändert sich und könnte unter dem Eindruck von Marktschwankungen das Gesamtmodell so verändern, dass es in einer anderen Marktlage nicht zuverlässig funktioniert.

Anwender unverzichtbar

Es ist nicht absehbar, dass KI im M&A-Prozess den Menschen vollständig ersetzen wird. Doch an vielen Stellen können die KI-Tools schon jetzt mehr Daten bei geringerem Zeitaufwand verarbeiten und dadurch den Analyseumfang (und damit die Risikovorsorge) erweitern, ohne dass Mehrkosten entstehen. Entscheidend wird dabei allerdings das Know-how des KI-Anwenders sein: Er muss die Stärken und Schwächen „seines“ Modells genau kennen und gegebenenfalls bestimmte Prozessschritte bewusst „analogisieren“. Wer das kann, wird schneller und besser Unternehmen kaufen und verkaufen können als bislang.

11/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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