Fördermittel: im Würgegriff der Schuldenbremse?

Artikel 109 Grundgesetz schreibt die Schuldenbremse fest – wir zwingen uns zu sparen. Doch das Land hinterfragt die Schwarze Null: Gefährdet sie die Transformation der Wirtschaft, weil Fördermittel zusammengestrichen werden?

Christian Lindner, der Finanzminister der FDP, pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse – das gefällt nicht jedem.

Christian Lindner, der Finanzminister der FDP, pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse – das gefällt nicht jedem. Foto: picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd

Deutschland hat sich eine gewaltige Aufgabe vorgenommen: die Transformation zu einer innovativen und zeitgleich klimaverträglichen Wirtschaft. Der Mittelstand und die Industrie des Landes müssen Geschäftsmodelle anpassen, neue Strategien erdenken und Innovationen aus der Forschung in die Produktion transferieren. Die damit verbundenen massiven Kosten schrecken und überfordern Unternehmen – sie zögern, wodurch die Umstellung an Geschwindigkeit verliert.

Um dem entgegenzuwirken, greift die Politik ein und stellt Fördermittel bereit. Sie will Anreize und Sicherheiten schaffen, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erklärt: „Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen in neue Technologien, in Künstliche Intelligenz und in den Klimaschutz. Dafür steht ein breites Spektrum an Programmen zur Finanzierungsunterstützung mit zinsgünstigen Krediten, Beteiligungskapital und Zuschüssen bereit.“

Im Bundeshaushalt 2024 sind für diese „Zukunftsinvestitionen“ rund 58,5 Milliarden Euro vorgesehen. Allein 4,8 Milliarden Euro stehen für die Förderung der Mikroelektronik zur Verfügung. Über das Strompreispaket fließen weitere 3,9 Milliarden Euro Strompreiskompensation an produzierende Unternehmen und die Landwirtschaft. Außerdem wird auf „Mittel in Milliardenhöhe zur Umstellung der Stahlproduktion von Kohle auf Wasserstoff, zur Umsetzung der nationalen Wasserstoffstrategie und für andere wichtige Wasserstoffprojekte“ verwiesen.

Der Verabschiedung des Etats ging allerdings eine lange Debatte voraus – denn mit seinem Urteil vom 15. November 2023 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts der fröhlichen Umverteilung von Geldern ein Ende gesetzt, plötzlich musste die Regierung Milliardenlöcher stopfen. Es folgten zähe Diskussionen, die sich im Kern darum drehten, ob die Schuldenbremse noch zeitgemäß ist oder angesichts der einzigartigen Herausforderungen ausgesetzt oder gleich vollständig aus dem Grundgesetz getilgt werden müsste.

Die Regierung verweist darauf, dass erhebliche Sparanstrengungen und Konsolidierungen unternommen und bilanziert wurden, um die Schwarze Null zu halten.

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Für dieses Jahr ist die Entscheidung gefallen: Die Schwarze Null wird eingehalten. Die Regierung hat laut eigener Aussage „erhebliche Sparanstrengungen und Konsolidierungen unternommen“ und bilanziert: „Dabei hält Deutschland die reguläre Grenze der Schuldenregel ein – bei gleichzeitig hohen Investitionen.“ Nun ist allerdings nach dem Haushalt vor dem Haushalt und auch in den kommenden Jahren wird die Schuldenbremse dem Geldausgeben Grenzen setzen. Führt das dazu, dass die Transformation der Wirtschaft nicht so schnell vorankommt wie gewünscht? Hält die Schuldenbremse nötige Fördermittel im Würgegriff?

Allein im Klima- und Transformationsfonds, dem zentralen Instrument für Investitionen, müssen bis 2027 45 Milliarden Euro eingespart werden. Auch das Wachstumschancengesetz der Regierung ist in den letzten Monaten deutlich zusammengestrichen worden – unter anderem wurde die Klimainvestitionsprämie verworfen. Kritiker der Schuldenbremse verweisen auf solche Beispiele und erklären sie zum Beweis dafür, dass der Sparzwang Innovation abwürgt.

So einfach aber ist es nicht. Die Schuldenbremse hat Deutschland das AAA-Rating erhalten und damit in akuten Krisen den nötigen Spielraum verschafft, Fiskalpolitik gezielt zu steuern. Dazu kommt: Der Klimawandel ist eine einzigartige Herausforderung, aber keine Ad-Hoc-Notsituation, die Deutschland allein bewältigen muss oder kann.

Wettbewerbsfähigkeit sinkt

Dementsprechend ist eine Änderung der Schuldenbremse für viele Experten nicht der richtige Weg. „Die Schuldenbremse ist richtig“, sagt etwa Eric Heymann, Analyst bei Deutsche Bank Research. „Bezüglich der grünen Transformation in der Industrie haben viele Marktteilnehmer lange erwartet, dass der Staat durch Subventionen oder andere Maßnahmen in hohem Maße unterstützen kann.“ Dabei sei allerdings die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates überschätzt worden. Daher bewertet Heymann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als eine Art Realitätscheck, der für eine gewisse Ernüchterung sorgt: „Es macht deutlich, dass der Staat nicht alles subventionieren kann, was klimapolitisch wünschenswert wäre. Angesichts der vielfältigen öffentlichen Aufgaben der Zukunft wie der steuerlichen Unterstützung des Rentensystems oder den höheren Ausgaben für Gesundheit, Bildung, Forschung und Entwicklung, Verteidigung, digitale und Verkehrsinfrastruktur, wird es eine strukturelle Herausforderung sein, Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren.“

In diesem Licht ist die Schuldenbremse kein Konzept, das Förderung abwürgt, sondern ein sinnvolles Instrument, um die Ausgabenpolitik regelmäßig mit der Realität der verfügbaren Mittel abzugleichen. Es zeichnet sich aber leider dennoch ab: Diese verfügbaren Mittel reichen nicht, um alle Bereiche zu finanzieren, in denen staatliche Unterstützung gewünscht wird. Was also tun?

„Bezüglich der grünen Transformation in der Industrie haben viele Marktteilnehmer lange erwartet, dass der Staat durch Subventionen oder andere Maßnahmen in hohem Maße unterstützen kann.“

Eric Heymann, Analyst bei Deutsche Bank Research

Heymann spricht sich dafür aus, die Fördermittelpolitik zu verändern: weniger Subventionen und Ordnungsrecht. Dafür eine anspruchsvollere CO2-Bepreisung und ein ambitionierterer Emissionshandel. Ganz auf Förderung verzichten will aber auch er keineswegs. Richtig seien steuerliche Anreize für die Forschungsförderung, also bessere Abschreibungsbedingungen für die Forschungsausgaben der Unternehmen und Zuschüsse für die Entwicklung von Technologien, bei denen Deutschland international wettbewerbsfähig ist. Was laut dem Experten aber unbedingt verstanden werden muss: „Direkte Subventionen in zu vielen Bereichen überfordern den Staat. Wir sind nicht uneingeschränkt finanziell belastbar und unterliegen Restriktionen. Es ist richtig und nötig, dass wir dank der Schuldenbremse nicht unbegrenzt verschuldungsfähig sind.“

Einen Weg, um nicht-investive Ausgaben ohne Verletzung der Schuldenbremse zu ermöglichen, hat der Staat angesichts des Krieges in der Ukraine beschritten und ein Sondervermögen für die Bundeswehr verabschiedet – einmalig 100 Milliarden Euro. Warum sollte ein solches Sondervermögen nicht auch zur Bekämpfung des Klimawandels die richtige Option sein? Dafür sprechen sich Verbände wir Greenpeace aus, aber auch der Chef des Umweltbundesamts Dirk Messner. Experte Heymann sieht in einem weiteren Sondervermögen eine politisch realistischere Option, bestimmte Technologien für einen begrenzten Zeitraum staatlich zu finanzieren.

Anteil der Fördermittel

Nur: Diese Lösung gefällt in der Ampelregierung nicht allen. Die Bundesregierung verhandelt bereits über den Haushalt 2025. Im Plan klafft eine Lücke von 15 bis 30 Milliarden Euro. Aber Finanzminister Christian Lindner von der FDP will nichts von einem Sondervermögen wissen. Damit dürfte die Diskussion um die Schuldenbremse in die nächste Runde gehen. Dass die Schwarze Null dann zum Sündenbock für ausbleibende Förderungen gemacht wird, ist leider wahrscheinlich: In der Verantwortung sind aber nicht die Regelungen des Grundgesetzes, sondern die Politiker, die sie einhalten und trotzdem gemeinsam bestmögliche Lösungen finden müssen. Es zählt zu den Kernaufgaben der Politik, angesichts begrenzter Mittel Prioritäten zu setzen. Dabei gilt es, die Mittel für die Transformation und andere Zwecke möglichst effizient einzusetzen.

04/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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