Ein Preis für die Natur

Wasser, Luft, Fauna und Wald sind uns lieb, aber wie teuer sind sie uns? Unterschiedliche Ansätze versuchen, einen angemessenen Preis für die Natur zu finden. Welche Folgen hätte das?

Längst beteiligen sich auch Unternehmensberatungen und Wirtschaftsinstitute am Natur-Rechnen: Wale haben demnach einen Wert von mehr als 1 Billion Dollar (IWF, 2019), Bienen liegen nur knapp dahinter, und afrikanische Waldelefanten kommen immerhin noch auf 175 Milliarden Dollar Wert.

Längst beteiligen sich auch Unternehmensberatungen und Wirtschaftsinstitute am Natur-Rechnen: Wale haben demnach einen Wert von mehr als 1 Billion Dollar (IWF, 2019), Bienen liegen nur knapp dahinter, und afrikanische Waldelefanten kommen immerhin noch auf 175 Milliarden Dollar Wert. Foto: adobe stock

„If you can’t measure it, you can’t manage it“, lautet eine Weisheit des Management-Vordenkers Peter Drucker, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend auch Umweltschützer zu eigen gemacht haben. Denn bislang ließen sich zwar die Kosten einer Bauverzögerung zum Schutz einer seltenen Vogelart einfach beziffern, doch blieb der „Wert“ dieser Spezies in der Regel eine Frage des Betrachters. Mit der Bewertung der wirtschaftlichen Kosten des Artensterbens, der Vernichtung von Wald, dem Verbrauch von Wasser können Umweltschützer nun gegenhalten und Opportunitätskosten von Abholzung, Wasserentnahme oder CO₂-Emissionen ausweisen.

Der Ansatz hat offenbar auch Unternehmensberatungen und Wirtschaftsinstitute überzeugt, die vorrechnen: Die Wale haben einen Wert von mehr als 1 Billion US-Dollar (IWF, 2019), Bienen liegen nur knapp dahinter, und afrikanische Waldelefanten kommen immerhin noch auf 175 Milliarden US-Dollar. Diese Werte werden nicht anhand ästhetischer Maßstäbe, sondern in Bezug auf den wirtschaftlichen Nutzen beziehungsweise die Opportunitätskosten gerechnet. Wale sind deshalb so wertvoll, weil sie im Laufe ihres Lebens der Atmosphäre viel CO₂ entziehen, außerdem profitieren von ihnen Fischfang und Tourismus. Bei den Waldelefanten wurde naheliegenderweise nicht der Wert ihres Elfenbeins berechnet, sondern ihr CO₂-Nutzen: Sie zertrampeln und fressen kleine Gewächse und Bäume, sodass große Bäume – die deutlich mehr CO₂ absorbieren – besser gedeihen können.

Der Charme der einfachen Zahl

Doch wie belastbar sind solche Berechnungen? Die Boston Consulting Group kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass alle Wälder der Erde zusammengerechnet einen Wert von 132 Billionen US-Dollar haben. Was aber folgt aus dieser Summe in der praktischen Anwendung? Muss künftig, wer ein Prozent des Waldes abholzen möchte, dafür mindestens 1,32 Billionen US-Dollar zahlen? Für die Abholzung von 90 Prozent das Neunzigfache? Aber so funktioniert Umwelt nicht. Kleinere „Entnahmen“ des Waldes mögen aus Umwelt- und Klimagründen verschmerzbar sein, ein größerer Waldverlust hätte aber dramatische Folgen. Und wer würde das Geld erhalten, wie verwenden? Nicht immer ließe sich der Schaden in der Natur kompensieren. Schließlich: Ganz ohne Wald wäre Leben auf der Erde schwer möglich, der Wert des Waldes müsste entsprechend unendlich hoch sein.

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132 Billionen Dollar

soll der Wert alle Wälder der Erde betragen.

Wo Kipppunkte liegen, wann Grenzkosten wie stark steigen, lässt sich bislang nicht berechnen. Zu komplex sind die Abhängigkeiten innerhalb der Natur. Das Schrumpfen von Frischwasserbeständen kann ganz unterschiedliche Gründe haben – Straßen, Düngemittel oder das Austrocknen von Landschaften. Und der einzelne Faktor mag in kleiner Menge wenig schaden, im Zusammenspiel mit anderen Faktoren aber viel. Die Folgekosten eines konkreten Straßenbauprojekts für die Natur herunterzubrechen ist kaum möglich.

Das Ziel: Sensibilisierung für externe Kosten

Es lassen sich noch viele weitere Gründe gegen eine Wertberechnung der Natur finden – so ist es nicht allein menschliche Ignoranz, Bequemlichkeit oder Gier, dass bislang ein Großteil der Kosten der Natur unberücksichtigt bleibt. Plakative Gesamtsummen des Werts von Bienen, Wald oder Elefanten könnten aber zumindest das Denken ändern und die Sensibilisierung für externe Kosten der Natur steigern. Im Bereich des Klimawandels – dessen Folgen schon heute vielerorts zu spüren sind – ist dieser Wandel bereits (je nach Perspektive) angestoßen oder schon voll im Gange.

Gut möglich, dass die Quantifizierung von Umweltschäden auch in anderen Bereichen zu einem Umdenken führt. Manche Investitionsentscheidung könnte, werden Naturkosten berücksichtigt, anders als bislang ausfallen. Der Wirtschaftswissenschaftler Partha Dasgupta weist in „The Economics of Biodiversity“ darauf hin, dass die wirtschaftliche Rendite von Staudämmen schon ohne die Betrachtung der Biodiversitätsfolgen lediglich bei etwa vier bis fünf Prozent jährlich liegt – deutlich niedriger als in den Planungen angesetzt, weil die Baukosten regelmäßig unterschätzt wurden. Dennoch sind rund 3700 große Staudämme in Planung oder Arbeit, die dann zusammen mit den bestehenden rund 40 000 größeren Staudämmen auf der Welt mehr als 90 Prozent des Flusswassers regulieren und damit massiv die Biodiversität reduzieren werden. Unter Berücksichtigung des Werts von Biodiversität würden sich wohl nur noch wenige große Staudammvorhaben rentieren.

Ein politischer Preis

Auch Subventionen, die heute in Landwirtschaft, Energie oder Fischerei fließen, könnten infrage gestellt werden, weil sie die Kosten für die Umwelt weiter erhöhen. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge gibt es weltweit jährlich Subventionen zwischen vier und sechs Billionen US-Dollar für diese und weitere Sektoren – während laut OECD gerade einmal 68 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Mitteln zum Schutz und Erhalt der Biodiversität aufgebracht werden.

Manche Investitionsentscheidung könnte, werden Naturkosten berücksichtigt, anders als bislang ausfallen.

Um dieses Verhältnis dramatisch zu verändern, muss nicht zwingend der Wert eines Waldelefanten oder Baums belastbar berechnet werden. Der Preis oder zumindest der Preisfindungsmechanismus wurde bislang in der Regel von der Politik vorgegeben, und so wird es auch in Zukunft sein. Dieser Preis hängt vor allem mit der Wertschätzung von Umwelt und Natur zusammen und wird immer ein Kompromiss mit ökonomischen Interessen sein. Doch mit der Sensibilisierung für die Folgekosten von Investitionen, Subventionen oder anderen politischen Entscheidungen könnte der öffentliche Druck steigen, die Preise für Wasser, Wald oder Luft höher anzusetzen als bislang.

Ein indirekter Weg, der auf ESG-Ratings aufsetzen könnte, wäre eine zweckgebundene Abgabe, abhängig vom Rating. Und selbst wenn die Politik nicht an der Preisschraube dreht: Das Bewusstsein für Umweltfolgekosten und soziale Auswirkungen wird bei den Stakeholdern weiter zunehmen. Sie werden bei Unternehmen, die hohe externe Kosten verursachen, restriktiver werden, ob als Mitarbeiter, Kunde oder Finanzierer. Auch das hätte direkte Auswirkungen auf Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle und ihre Rentabilität.

01/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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