Haltung, bitte!

Soziale Medien verlangen auch Marken eine Haltung zu aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen ab. „Purpose Marketing“ verspricht eine engere Bindung der Zielgruppe. Doch die Risiken sind erheblich.

US-Star Kendall Jenner (Teil des Kardashian-Clans) überreicht die Pepsi - und vergessen sind alle Black-Live-Matters-Sorgen. Soweit der Spot. Doch: Der Protest war riesig, Pepsi hat den Werbespot nach nur einem Tag zurückgezogen.

US-Star Kendall Jenner (Teil des Kardashian-Clans) überreicht die Pepsi - und vergessen sind alle Black-Live-Matters-Sorgen. Soweit der Spot. Doch: Der Protest war riesig, Pepsi hat den Werbespot nach nur einem Tag zurückgezogen. Foto: picture alliance / The Advertising Archives

Größer hätte die Blamage kaum sein können: Sogar „Saturday Night Live“, eine der bekanntesten Comedy-TV-Sendungen der USA, nahm den misslungenen Werbespot von Pepsi auf die Schippe. SNL erzielte damit allein auf Youtube im Nachgang mehr als 10 Millionen Ansichten. Dabei hatte Pepsi eine „globale Botschaft der Einheit, des Friedens und des Verständnisses“ aussenden wollen, wie es das Unternehmen formulierte. Der Inhalt des Spots? Die Prominente Kendall Jenner, Teil des Kardashian-Clans, bietet auf einer Demonstration einem Polizisten eine kühle Pepsi an. Der nimmt dankbar an, die Demonstranten brechen in Jubel aus.

Das war angesichts der eskalierten Proteste während der damaligen Black-Lives-Matter-Demonstrationen bestenfalls naiv und unsensibel. Dass im Clip zudem „Vielfalt“ der Menschen vor allem durch Klischees dargestellt wird, machte es nicht besser. Der Shitstorm in den sozialen Medien war entsprechend groß. Nach nur einem Tag wurde die Ausstrahlung gestoppt, später nahm der Pepsi-Marketingchef seinen Hut. „Purpose Marketing“, mit dem Marken und Unternehmen einen „höheren Zweck“ proklamieren, kann viel kaputtmachen, wenn es falsch umgesetzt wird. Aber kann Purpose Marketing auch nützlich sein?

Lange bewusst neutral

Lange Zeit haben sich Unternehmen bewusst nicht politisch oder sozial positioniert. Zu groß schien ihnen das Risiko, mit einer kontroversen Positionierung Kunden zu verprellen, die anderer Meinung sind. Darum wurden klare Statements gänzlich vermieden oder so weit aufgeweicht, dass sie keine Angriffsfläche mehr boten. Das entspricht der traditionellen Definition: Der Zweck („Purpose“) eines Unternehmens ist es, Geld zu verdienen. Doch längst ist bei den meisten Konsumenten das Bewusstsein ausgeprägt, dass Unternehmen mit ihrem Ressourcenverbrauch oder ihren Arbeitsbedingungen die Gesellschaft und Umwelt deutlich prägen. Entsprechend ist auch die Erwartungshaltung, dass sich Unternehmen zu dieser Verantwortung bekennen und positionieren.

>80%

der 18- bis 35jährigen erwarten eine klare Haltung ihrer Marke (Kantar).

Schon 2018 zeigte die „Earned Brand“-Studie der Agentur Edelman, dass 64 Prozent der weltweit Befragten Marken nach der Position des Unternehmens zu gesellschaftlichen Problemen auswählen, abwählen oder grundsätzlich boykottieren (mit den höchsten Werten bemerkenswerterweise in China, Brasilien und Indien – deutlich vor Europa). Außerdem sind Kunden bereit, wie eine Nielsen-Befragung ergab, mehr für ein Produkt zu zahlen, dessen Hersteller sich einem Purpose verschrieben hat. Und laut einer Kantar-Umfrage fordern mittlerweile mehr als 80 Prozent in der Social-Media-affinen Zielgruppe der 18- bis 35jährigen eine klare Haltung ihrer Marke. Wer es schafft, sich glaubwürdig zu positionieren, kann Kantar zufolge zudem stärker wachsen als traditionelle Marken. Und der Markenwert steigt deutlich schneller: Eine Untersuchung in 50 Ländern ergab, dass Marken mit einem nach Auskunft der befragten Konsumenten hohen „Brand Purpose“ zwischen 2016 und 2018 um 212 Prozent im Wert zulegten, solche mit einem niedrigen Brand Purpose hingegen „nur“ um 77 Prozent. Die Erklärung für das überproportionale Wachstum: Anders als andere Markenwerte lasse sich „Brand Purpose“ nur schwer kopieren.

Nicht einfach nur ein Ziel – ein höheres Ziel

Dabei ist der Begriff „Purpose“ eigentlich nicht neu, nur wurde er vom „Corporate Purpose“ zum „Higher Purpose“ erweitert: Purpose heißt in diesem Sinne, dass sich das Unternehmen für eine Verbesserung der Lebensumstände einsetzt und auch entsprechend vermarktet. Allerdings macht dies zugleich Purpose Marketing so schwierig. Denn damit Purpose Marketing nicht allein als Greenwashing empfunden wird, muss es „authentisch“ sein – oder zumindest von der Zielgruppe so empfunden werden.

Hart zu fassen ist „Authentizität“ allerdings kaum, da sie aus der Summe der Informationen über ein Unternehmen und seine Produkte gebildet wird, nicht nur aus dem gesteuerten Marketing. Diese Gleichung galt schon immer – ein schnell verschleißendes Produkt führte jedes Marketingversprechen von Langlebigkeit ad absurdum –, doch geht es beim Purpose Marketing per definitionem über das Produkt hinaus. Den Konsumenten interessiert nicht länger nur das Produkt oder die Leistung an sich, sondern auch das dahinterstehende Unternehmen und wie es geführt wird. Weil sich Unternehmen, ganz im Sinne der jungen Zielgruppe, zunehmend als nachhaltig, sozial fair und klimaneutral positionieren wollen, müssen sie ihre Lieferkette, ihre Arbeits- und Produktionsbedingungen und schließlich auch „Nebenprodukte“ wie Verpackung und Reparaturfähigkeit entsprechend aufstellen. Gibt es nur einen öffentlichen Schwachpunkt in dieser Kette, droht Unglaubwürdigkeit.

Der „höhere“ Zweck ist fest integriert

Purpose-Marketing-Berater halten daher ein isoliertes Purpose Marketing für dauerhaft aussichtslos. Das Unternehmen müsse im Innersten von einem „Purpose“ getrieben sein, der über das einfache Gewinnstreben hinausgehe. Dies beginne bei der Führung und umfasse alle Stakeholder. „Diese Führungskräfte sind der Auffassung, dass ihre Betriebe auch jenseits der eigenen Gewinnoptimierung einen Zweck haben, deshalb erfüllen sie die Anforderungen der Interessengruppen auf vielfältige Weise“, schreibt Rosabeth Moss Kanter, Professorin an der Harvard Business School. Markenberater Gary Kopervas formuliert es knackiger: Überzeugungen und Werte seien in die Kultur, Geschäfte und langfristigen Initiativen einer Purpose-getriebenen Marke eingebacken.

„Niemand kann den definierten Anspruch sofort erfüllen. Das verstehen Kunden aber auch – solange ein Purpose aufrichtig ist und nicht zur reinen Pose verkommt.“

Andreas Baetzgen, Prof. für Wirtschaftskommunikation

Als Beispiele nennt Kopervas die Mission des Outdoor-Kleidungsherstellers Patagonia „We are in business to save our home planet.“ („Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten.“). Auch Teslas Anspruch, „den Umstieg der Welt auf nachhaltige Energie zu beschleunigen“, oder der Claim von Dove, Frauen zu ermutigen, sich selbst und ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist, mache diese zu Purpose-Marken. Diese Unternehmen zeigten jenseits des Marketings auf unterschiedlichste Weise, wie sie diese Mission umsetzen – von den Einstellungskriterien für Mitarbeiter über die öffentliche und finanzielle Unterstützung ausgewählter Projekte bis zur Verwendung von Rohstoffen und Vorprodukten, die den eigenen Anforderungen genügen.

Andreas Baetzgen, Professor für Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, warnt allerdings davor, den Maßstab zu hoch anzulegen: “Nicht jedes Unternehmen wird so stringent wie Patagonia handeln und entscheiden. Das muss es aber auch nicht, auch weniger konsequente Unternehmen leisten einen positiven Beitrag. Der Purpose ist ja, so wie es zuvor ‘Mission’ und ‘Vision’ waren, auch immer ein Idealbild, das ein Unternehmen für sich definiert. Niemand kann den definierten Anspruch sofort erfüllen. Das verstehen Kunden aber auch – solange ein Purpose aufrichtig ist und nicht zur reinen Pose verkommt.”

Purpose Marketing oder Cause Marketing?

Untersuchungen haben gezeigt, dass „Purposeful Companies“ sich besser entwickelten als Unternehmen mit einem „traditionellen“ Verständnis des Unternehmenszwecks. So haben die Autoren des Buchs „Firms of Endearment“ errechnet, dass 18 untersuchte Purpose-getriebene Unternehmen über den betrachteten 10-Jahres-Zeitraum durchschnittlich im Jahr 9 bis 13,1 Prozent Eigenkapitalrendite erzielten und damit deutlich erfolgreicher waren als der S&P 500. Eine Studie der Harvard Business School fand heraus, dass ein „klarer Purpose“ den ROA (Return on Assets; Dt.: Gesamtkapitalrendite) um bis zu 3,89 Prozent im Jahr steigern kann – deutlich besser als die Fortune-100-Unternehmen insgesamt.

„Ein Unternehmen, das meint, es müsse den Zweck von Hellmann’s Mayonnaise definieren, hat die Orientierung verloren. Die Marke Hellmann’s gibt es bereits seit 1913 – wir können also davon ausgehen, dass Konsumenten in der Zwischenzeit ihren Zweck herausbekommen haben.“

Terry Smith, Investmentanalyst

Die Outperformance hat offenbar mehrere Gründe: Purpose-Unternehmen können innovativer sein, weil ihre Mitarbeiter motivierter sind, Dinge zu verbessern und damit zu verändern. Generell ist die Belegschaft offenbar motivierter und produktiver, weil sie sich stärker mit dem Unternehmen identifiziert. Aber nur wenige Unternehmen erfüllen tatsächlich den umfassenden Anspruch an „purposeful“. In der Praxis verfolgten viele Marken nur ein „Cause-driven“ Marketing, das an die Marke „rangetackert“ werde, kritisiert Kopervas: Eine Charity-Aktion, bei der gebrauchte Joghurtdeckel von den Käufern eingeschickt werden sollen und das Unternehmen für jeden Deckel eine kleine Spende für Brustkrebsforschung zahlt, ist nur „Cause“-getrieben. Der Unterschied sei auch bei der Formulierung des Ziels erkennbar: Der Cause ist in der Regel eng definiert und zeitlich begrenzt; er steht zudem nicht unbedingt in direktem Bezug zu den Unternehmensaktivitäten. Entsprechend kurzlebig ist der Marketingerfolg von Cause Marketing: Es entsteht keine engere Bindung zwischen Konsumenten und Unternehmen. Außerdem profitieren Cause-orientierte Unternehmen seltener von den genannten Vorteilen der Purpose-Unternehmen wie einem höheren Innovationsgrad oder produktiveren Mitarbeitern.

Die Konzentration aufs Wesentliche?

Aber selbst Unternehmen, die für sich ein höheres Ziel definiert haben und darum in ihrem Purpose-Marketing „authentisch“ sind, sind umstritten. So werden kritische Stimmen lauter, die eine Rückbesinnung auf den klassischen Fokus eines Unternehmens fordern. Terry Smith, Investmentanalyst eines US-Investmenthauses, kritisiert die schwache Kursentwicklung von Unilever. Seine Erklärung: zu viel Beschäftigung mit „höheren Zielen“: „Ein Unternehmen, das meint, es müsse den Zweck von Hellmann’s Mayonnaise definieren, hat die Orientierung verloren. Die Marke Hellmann’s gibt es bereits seit 1913 – wir können also davon ausgehen, dass Konsumenten in der Zwischenzeit ihren Zweck herausbekommen haben. So viel sei verraten: Er hat mit Salaten und Sandwiches zu tun.“ Peter Field, Experte für Marketing-Effektivität, spricht sich zwar für Purpose Marketing aus, doch seine Daten zeigen auch, dass im Durchschnitt Purpose-Marketing-Kampagnen schlechter abschneiden. Sie haben im Durchschnitt nicht so starke langfristig anhaltende Effekte wie traditionelle Kampagnen.

Allerdings sind dies nur Durchschnittswerte: Richtig betrieben, kann Purpose Marketing stärker wirken als Nicht-Purpose-Marketing – auch das zeigen die Daten von Field. Dove – ebenfalls eine Marke im Unilever-Konzern – ist mit Purpose Marketing ausgesprochen erfolgreich. Es kommt, wie so oft im Marketing, auf eine individuelle Betrachtung an. Purpose Marketing kann ausgesprochen erfolgreich sein für einige Unternehmen und Marken, anderen aber schaden. Davon weiß der Ex-Pepsi-Marketingchef zu berichten. Heute berät er Unternehmen, wie sie Fehler im Purpose Marketing vermeiden können. Marketingexperte Baetzgen ist überzeugt: “Purpose Marketing ist kein kurzlebiger Trend, sondern wird uns noch viele Jahrzehnte lang begleiten. Es gehört schon heute und in Zukunft zu einer modernen Unternehmensstrategie dazu.”

4/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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