Zeitwertkonten: sperriger Begriff, elegante Lösung

Zeitwertkonten bieten Angestellten die Chance, mit 35 ein Sabbatical einzulegen oder mit 63 früher in „Rente“ zu gehen. Sie sind der logische Nachfolger von Altersteilzeitregelungen – aber hat der Arbeitgeber auch etwas davon?

Chef und Mitarbeiter pflegen die Zeit verschieden zu interpretieren.

Chef und Mitarbeiter pflegen die Zeit verschieden zu interpretieren. Foto: picture alliance/dieKLEINERT.de/Andrea Koopmann

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nennt den Arbeitsplatzabbau in deutschen Unternehmen „alarmierend“, manch ein Konzern will Stellen in fünfstelliger Höhe streichen. Eine Analyse des ebenfalls arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft ergibt, dass vier von zehn Unternehmen 2025 einen Stellenabbau planen. Deutschlands Wirtschaft bemüht sich, die Kurve zu kriegen. Ein Mittel der Wahl: Personal reduzieren. 

Etablierte Modelle müssen angepasst werden

Da wirkt es auf den ersten Blick wie ein Widerspruch, dass sich ebendiese Wirtschaft echauffiert über den demografischen Wandel mit einhergehendem Fachkräftemangel. Warum, so könnte man fragen, regt man sich auf, wenn man doch anscheinend froh um jeden Angestellten ist, den man loswird?

Allein: Das heutige Zuviel an Mitarbeitern ist morgen ein Zuwenig – und das wissen die Unternehmen. Sie wollen heute sozialverträglich Stellen abbauen und sich zugleich die Chance bewahren, morgen die besten Talente zu gewinnen. Sie suchen nach Wegen, Personalpolitik flexibel und dynamisch zu gestalten und sich den Erwartungen einer neuen Generation anzupassen. Dieser Spagat kann funktionieren. Dazu müssen Mittelständler allerdings bereit sein, etablierte Modelle sukzessive anzupassen und sich neuen Lösungen zu öffnen: Die Altersteilzeit, derer sich viele gerade wieder bedienen, muss dem flexibleren Modell der Zeitwertkonten weichen. Gelingt dieser Wandel, gewinnen alle. 

„Im Laufe des Erwerbslebens angesparte Zeitguthaben können für längere Auszeiten oder einen gleitenden Übergang in den Ruhestand genutzt werden.“

Susanne Wanger, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Altersteilzeit (ATZ) ist ein bewährtes Konzept, das aber nur ein einziges Ziel erfüllt: Unternehmen können damit relativ rasch und dauerhaft ihre Mitarbeiterzahl reduzieren. „Bei sogenannten Personalanpassungsnotwendigkeiten kann man über die ATZ schnell gezielt Kapazitäten in Personengruppen freisetzen, deren Arbeitsinhalte wegfallen – beispielsweise durch die Digitalisierung“, erklärt Thomas Haßlöcher, der mit seiner Firma PensExpert zum Thema Altersteilzeit und Lebensvorsorge berät.

Rund 295 000 Beschäftigte waren laut Deutscher Rentenversicherung 2022 in Altersteilzeit – ein Anstieg um mehr als 61 000 seit 2016. Damit hat sich der Trend umgekehrt: 2009, kurz bevor die Förderung der Bundesagentur für Arbeit für Altersteilzeitmodelle endete, waren noch mehr als 672 000 Beschäftigte in ATZ. Doch mit den steigenden Anpassungsbedarfen der Unternehmen wächst seit Jahren auch die Zahl der Altersteilzeiten wieder – obwohl das für die Firmen teuer ist, sie müssen Gehalt und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung aufstocken.

Zeitwertkonten bieten Flexibilität

Mittelständische Unternehmen können sich diese finanzielle Belastung immer seltener leisten, und auch Konzerne sind angesichts der ökonomischen Situation auf der Suche nach Alternativen. Die ATZ ist aber nicht nur teuer, sie widerspricht auch dem Bemühen der Politik, die Rentensysteme zu stabilisieren und ältere Arbeitnehmer länger im Job zu halten.

Wie Altersteilzeit funktioniert

In der Altersteilzeit wird die Arbeitszeit meist im Blockmodell reduziert: In der ersten Hälfte arbeitet der Beschäftigte weiter Vollzeit, in der zweiten Hälfte wird er vollständig freigestellt. Über die gesamte Dauer hinweg erhält der Arbeitnehmer ein gleichbleibendes Gehalt, das sich aus der Hälfte des ursprünglichen Bruttoeinkommens sowie einer Aufstockung durch den Arbeitgeber zusammensetzt. Diese beträgt mindestens 20 Prozent des reduzierten Gehalts. Die angesparten Bezüge aus der Arbeitsphase werden für die spätere Freistellungsphase zurückgelegt und verzinst. Damit die Gelder auch im Insolvenzfall gesichert sind, greift eine gesetzliche Insolvenzsicherung. Diese kann über ein Treuhandkonto erfolgen; dabei werden die Gehaltsanteile nicht in der Bilanz geführt, sondern auf einem separaten Konto verwahrt, das von einem unabhängigen Treuhänder verwaltet wird.

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Ein Umdenken ist nötig – und die Öffnung für neue und flexiblere Modelle. Ein Lösungsansatz können Zeitwertkonten (ZWK) sein. Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betont die „vielfältigeren Möglichkeiten und größeren Spielräume“ der ZWK und erläutert: „Im Laufe des Erwerbslebens angesparte Zeitguthaben können für längere Auszeiten oder einen gleitenden Übergang in den Ruhestand genutzt werden. Nicht nur im Alter kann die Arbeitsbelastung für einen bestimmten Zeitraum verringert werden.“ Thomas Haßlöcher ist ebenfalls ein Fan der ZWK: „Gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisch ist ein Zeitwertkonto spannend.“

Tatsächlich kann das Zeitwertkonto deutlich mehr als die ATZ und ist ein ideales Instrument für die Anforderungen des künftigen Arbeitsmarktes. Über ein Zeitwertkonto spart der Mitarbeiter in Eigenverantwortung. Das entlastet den Arbeitgeber und ermöglicht es, die eingesparten Kosten an anderer Stelle sinnvoller einzusetzen. Die Angestellten wiederum erleben über ihr Mitwirken stärker das Gefühl, des eigenen Glückes Schmied zu sein. Die als faul verschriene Nachfolgegeneration erhält mit dem ZWK die stets geforderte Flexibilität, sich Auszeiten zu nehmen. Das kann im Wettbewerb um Talente der entscheidende Vorteil sein. Die Älteren wiederum können ebenfalls flexibler entscheiden – und einen stufenweisen Ruhestand nach eigener Fitness und Motivation gestalten oder sich das angesparte Guthaben als Kapital zu Beginn der Rente auszahlen lassen. Der Unternehmer verliert dann, anders als im Blockmodell, nicht ad hoc einen vollen Mitarbeiter. Und zuletzt gilt: ZWK können hoch individuell formuliert werden. Der Gesetzgeber macht nur sehr wenige Vorgaben. Sind beide Seiten einverstanden,

„Gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisch ist ein Zeitwertkonto spannend.“

Thomas Haßlöcher, PensExpert

ermöglichen die Verträge es den Unternehmern auch, die Arbeitskraft der Mitarbeiter flexibel zu steuern. Ist die Auftragslage gut, und es drohen Produktionsengpässe, können Überstunden ins ZWK eingezahlt werden – der Arbeitgeber hat mehr Kapazitäten ohne steigende Personalkosten. Herrscht hingegen Flaute, kann der Arbeitgeber den Angestellten gezielt ins Sabbatical schicken. 

Wie das Zeitwertkonto funktioniert

Zeitwertkonten (auch Wertguthaben- oder Langzeitkonto genannt) ermöglichen es Arbeitnehmern, Teile ihres Gehalts, Überstunden oder andere Vergütungsbestandteile anzusparen, um später bezahlte Freistellungszeiten zu finanzieren – etwa für eine vorzeitige Rente, Sabbaticals oder Pflegezeiten. Die angesparten Beträge bleiben steuer- und sozialabgabenfrei, bis sie ausgezahlt werden. Die Verzinsung der Guthaben richtet sich nach der jeweiligen vertraglichen oder tariflichen Vereinbarung und soll den Inflationstrend über die Jahre ausgleichen. Um die Sicherheit der angesparten Mittel zu gewährleisten, ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Guthaben gegen Insolvenz abzusichern. Dies geschieht häufig über eine Treuhandlösung mit Versicherungs-/Fondsrückdeckung oder durch eine Verpfändung von Versicherungen. Dadurch wird sichergestellt, dass das Guthaben im Insolvenzfall des Arbeitgebers nicht in die Insolvenzmasse fällt und weiterhin zur Verfügung steht.

Wie das Zeitwertkonto funktioniert

Und – mindestens genauso wichtig – bei den Mitarbeitern kommt das Konzept gut an. Selbst Führungskräfte von Deutschlands wertvollstem Unternehmen machen davon Gebrauch: Steffen Diel ist aktuell noch Treasury-Chef bei SAP. Über Jahrzehnte hat er für den Konzern gearbeitet – und auf ein Zeitwertkonto eingespart. Dieses hat er zum Beispiel für ein Sabbatical genutzt. Im April 2025 nimmt Diel an einem Freiwilligenprogramm der Firma teil, um noch einmal neue berufliche Wege zu gehen. Dieser Schritt wird durch die Nutzung des ZWK erleichtert, das eine stabile wirtschaftliche Grundlage bietet. „Für diese Option bin ich dem Unternehmen sehr dankbar“, berichtet der Manager und unterstreicht: „Solche Programme sind ein schlagkräftiges Argument im Wettbewerb um Fachkräfte.“ Kein Unternehmen werde künftig noch überzeugen können, wenn den Mitarbeitern nicht eine gewisse Flexibilität geboten werde. „Je mehr Flexibilität über die gesamte Karriere hinweg möglich ist“, ist Diel sich sicher, „desto eher wird man die Besten gewinnen.“

Auch Arbeitgeber profitieren

Noch ist das Angebot aber eine Nische: 2022 haben laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nur rund zehn Prozent der Betriebe ZWK ermöglicht. Das liegt in erster Linie an Unkenntnis, Unsicherheit gegenüber den Konzepten und Fragen rund um die Optionen der Ausgestaltung. Und die ZWK haben einen mächtigen Gegner: die Gewerkschaften. Sie wollen ihren Mitgliedern die komfortable ATZ, die der Arbeitgeber mitfinanziert, auch weiterhin sichern. Thomas Haßlöcher appelliert an die Verantwortlichen: „Die ATZ wird sich selbst abschaffen, und wer jetzt keine ZWK einführt, der lässt die Nach-Babyboomer komplett ohne Lösung zurück.“ 

„Solche Programme sind ein schlagkräftiges Argument im Wettbewerb um Fachkräfte.“

Steffen Diel, ehemals SAP

Doch die Arbeitnehmerseite ist nur die eine Seite der Medaille. Auch für Unternehmer können Zeitwertkonten eine attraktive Variante sein, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und den schwankenden Bedarf an Arbeitskraft in Abstimmung mit den Mitarbeitern flexibel steuern zu können. ZWK können gezielt Freiräume schaffen, Eigenverantwortung fördern, Flexibilität bieten und Anreize für mehr Leistung setzen. Bei guter Planung und offener Kommunikation können Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gewinnen – und die Volkswirtschaft, das Rentensystem und damit wir Bürger gleich noch dazu.

08/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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