Das Recht auf Reparatur

Hohe Hürden für Drittanbieter und teure Ersatzteile machen Reparaturen und Erneuerungen von Elektronikgeräten unattraktiv. Das wollen Kunden, Werkstätten und Umwelt-NGOs nicht länger hinnehmen. Auch die Politik wird aktiv.

Bild zeigt eine große Müllhalde mit Bergen von Elektroschrott.

Ex und hopp. Reparaturen sind teuer, der Neukauf einfacher und manchmal sogar günstiger. Das soll sich ändern – nicht nur bei Weißware. Foto: picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Apple verzichtet bei seinen neuen iPhones nicht nur auf Zubehör wie Kopfhörer und Ladegerät, die viele Käufer schon von früheren Geräten besitzen, sondern auch auf jegliche Plastikverpackung und verwendet zudem Recyclingmaterialien. Bis 2030 will der Technikgigant CO2-neutral sein. Doch Umweltverbände sind nicht gut auf Apple zu sprechen: Apple verhindert aktiv, iPhones günstig reparieren zu können und verursacht dadurch viel Elektroschrott. Nur Apple und entsprechend zertifizierte Partner dürfen die Geräte reparieren. Wer allerdings als Reparatur-Partner zugelassen werden will, verpflichtet sich, Kundendaten mit dem Konzern zu teilen und nur Originalersatzteile einzubauen.

Apple sperrt mit dem „Part Pairing“ Dritte aus: Ersatzteile müssen erst individuell softwareseitig registriert werden, damit sie als offizielles Produkt anerkannt werden. Das geht so weit, dass sogar Original-Ersatzteile von Apple nicht durch Dritte eingebaut werden können. Wichtige Funktionen des Geräts werden sonst deaktiviert. Apple behält damit die komplette Kontrolle über Reparaturen und kann die Preise selbst setzen.

Neuanschaffung (fast) günstiger

Nicht nur Apple, viele Unternehmen gehen so oder ähnlich vor. Die Hersteller argumentieren mit Qualitätssicherung: Sie fürchten Sicherheitsprobleme, wenn beispielsweise ein Dritt-Anbieter-Akku in Flammen aufgeht oder ein Ersatzteil einer Landmaschine bricht. Darum wollen sie die volle Kontrolle über Ersatzteil und Einbau. Hinter Part Pairing stecken aber mindestens ebenso finanzielle Motive. Weil kein Wettbewerb stattfindet, können die Kosten für Reparaturen so hoch angesetzt werden, dass sich in vielen Fällen ein Neukauf lohnt. Eine Leserumfrage von Stiftung Warentest ergab: Wer seine Waschmaschine immer gleich schon bei der ersten Störung – statistisch nach acht Jahren – durch einen Neukauf ersetzte, zahlte am Ende kaum mehr als derjenige, der sie immer reparieren ließ.

Doch unter den hohen Reparaturkosten leiden nicht nur Endverbraucher, sondern beispielsweise auch die Landwirtschaft mit ihren teuren Maschinen – oder McDonald’s-Lizenznehmer: Die McFlurry-Eisgeräte haben eine so hohe Ausfallquote (und können nur exklusiv repariert werden), dass sich nun die US-Bundesbehörde FTC (Federal Trade Commission) damit befasst. Wenn die Reparatur zu teuer ist, verkürzt sich die Nutzungsdauer und es werden immer mehr Neugeräte angeschafft. Das hat Folgen für die Umwelt: Allein in Deutschland werden jährlich pro Kopf mindestens 10,5 Kilogramm Elektroschrott entsorgt, Tendenz steigend. Das entspricht 10 Mixern, 20 Handys oder einem 55-Zoll-Fernseher, rechnet die Umweltorganisation BUND vor.

Das Recht auf Reparatur

Mehr Recycling, Refurbishing, Repairing fordern Umweltinitiativen. Während in vielen Bereichen erst jetzt die technologischen Möglichkeiten für Recycling geschaffen werden, sind die Vorteile von Reparatur und Restauration fast in Vergessenheit geraten. Dabei wäre ihr Ressourcenverbrauch meist noch geringer als beim Recycling. In den USA hat die „Right to repair“-Initiative sogar die Unterstützung von Präsident Joe Biden. Er hat die unter anderem für Verbraucherschutz zuständige FTC angewiesen, Regelungen gegen Reparaturhürden zu entwerfen. Auch in Europa arbeitet die Politik an Vorgaben. Die Anfang dieses Jahres aktualisierte Ökodesign-Richtlinie der EU versucht, Elektroschrott durch Reparaturvorgaben zu reduzieren. Neue Haushaltsgeräte sollen zehn Jahre lang repariert werden können, einfache Ersatzteile wie Dichtungsringe oder Türgriffe überall zu kaufen und mit Standardwerkzeug austauschbar sein. 83 Prozent der Deutschen, die Ende 2019 an einer Umfrage der EU-Kommission teilnahmen, begrüßen solche Vorgaben bei Digitalgeräten. Bislang ist der Erfolg aber überschaubar, kaum jemand kennt die neue Richtlinie.

„Wenn die Hersteller wie durch die EU-Ökodesign-Richtlinie nur zur Reparaturfähigkeit, aber nicht zur Öffnung durch unabhängige Dritte gezwungen werden, bleiben Reparaturen teuer“

Marc Schattenberg, Deutsche Bank

Nicht bei jedem Gerät gleich lohnend

Die Tendenz zumindest der Politik ist dennoch eindeutig: Unternehmen werden zunehmend für den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte verantwortlich gemacht. In der Praxis wirft dies allerdings viele Fragen auf – rechtliche, finanzielle und auch ökologische: An welcher Stelle geht dann künftig die Verantwortung eines verkauften Produkts an den Käufer über? Helfen Vorgaben, Ersatzteile über viele Jahre vorrätig zu halten, wirklich der Ökobilanz – oder werden dadurch viele Teile produziert, die später unbenutzt entsorgt werden müssen? Und ist Reparatur in jedem Fall besser? So stellte Stiftung Warentest zwar fest, dass die Waschmaschinenreparatur dem Neukauf zumindest aus Umweltgründen vorzuziehen sei. Bei Staubsaugern hingegen sei die Wegwerfstrategie sogar besser für die Umwelt. Neugeräte sind einfach herzustellen und verbrauchen deutlich weniger Strom als Altgeräte.

Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Wenn die Hersteller wie durch die EU-Ökodesign-Richtlinie nur zur Reparaturfähigkeit, aber nicht zur Öffnung durch unabhängige Dritte gezwungen werden, bleiben Reparaturen teuer“, erwartet er. Die arbeitszeitintensive Reparatur in Deutschland habe gegenüber der Herstellung in Billiglohnländern sowieso einen strukturellen Kostennachteil.

Modulare Öffnung

Die Konsumentenumfrage der EU-Kommission hat aber noch eine Alternative aufgezeigt: 30 Prozent der Befragten gaben an, ihr letztes digitales Gerät ersetzt zu haben, weil es defekt war. Ebenso viele gaben als Grund an, dass sich die Leistung des Altgeräts deutlich verschlechtert habe, und 29 Prozent sagten, dass bestimmte Anwendungen nicht mehr funktionierten. (Es durften bis zu drei Antworten gegeben werden.) Wenn Hersteller nun zumindest bei Digitalgeräten stärker dazu verpflichtet werden, ihre Geräte modular aufzubauen, dürfte das auch ohne Reparatur die Lebensdauer steigern. Das könnte ein Geschäftsmodell sein, empfiehlt Schattenberg. „Schon jetzt sehen wir viele Bereiche, in denen per Software neue Funktionen freigeschaltet werden können.“ Tesla bietet dies beispielsweise für den Bereich des autonomen Fahrens an; Bosch erlaubt eine Leistungssteigerung seiner Pedelec-Motoren per Software-Update. „Nicht nur in der Automobilindustrie geht die Entwicklung von der Hardware zur Software, d.h. vom reinen Produkt zur Dienstleistung. Die Hardware ist Standard, aber das Nutzungserlebnis ändert sich – und das wird für viele Konsumenten immer wichtiger“, beobachtet Schattenberg. So unterscheidet sich zum Beispiel das iPhone 13 vom Vorgängermodell schon heute äußerlich zumindest kaum.

10/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.