Rückzug

Auch wenn es manchmal so scheint: Es gibt nicht nur Weltmarktführer in Deutschland. Etwa jedes dritte Unternehmen strauchelt beim Gang ins Ausland. Was lässt sich daraus lernen, damit die eigene Expansion zum Erfolg wird?

Zu schnell zu viel. Systemgastronom Vapiano verhob sich an seinem Expansionsdrang. In mehr als 30 Auslandsmärkten wollte das Unternehmen wachsen und machte dabei viele Fehler.

Zu schnell zu viel. Systemgastronom Vapiano verhob sich an seinem Expansionsdrang. In mehr als 30 Auslandsmärkten wollte das Unternehmen wachsen und machte dabei viele Fehler. Foto: Picture-Alliance / Zumapress.com / Paco Freire

Mehr als drei Milliarden Euro Verluste hatte Walmart in Deutschland angehäuft, als sich der US-Handelsriese Ende 2006 zurückzog. Traditionell niedrige Margen im discounter-geprägten Lebensmitteleinzelhandel und die Ablehnung der „Walmart-Unternehmenskultur“ wie des Einpack-Service an der Kasse hatten dazu geführt, dass sich Walmart hierzulande nicht behaupten konnte. Wenige Monate zuvor hatte das Unternehmen sich bereits aus Südkorea verabschieden müssen.

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Vor der Expansion steht immer die sorgfältige Marktanalyse, idealerweise mit dem Praxisversuch vor Ort.

Die Gründe für die gescheiterte Expansion von Walmart – heute in mehr als 20 Ländern, von China bis Sambia, vertreten – sind hinreichend bekannt. Doch auch deutsche Unternehmen, die hierzulande ausgesprochen erfolgreich sind, straucheln im Ausland. Nur sprechen sie ungern darüber, wenn es sich vermeiden lässt. Dabei scheitert etwa jede dritte Auslandsexpansion. Mit mehr Informationen darüber, warum Unternehmen gescheitert sind, ließe sich manche Enttäuschung anderer Unternehmen vermeiden. Natürlich gibt es nicht den einen Fehler oder den einen Grund. Doch es lassen sich drei Muster erkennen fürs Scheitern.

1. Mangelnde Sorgfalt

Hauptmotiv für die Expansion sind meist neue Kunden. Gerade wenn Unternehmen sich in Deutschland sehr dynamisch entwickelt haben und sich die Wachstumskurve langsam abflachen könnte, verspricht der Auslandsmarkt eine rasche Multiplikation. Vapiano war zwischenzeitlich sogar gleich in 33 Auslandsmärkten aktiv. Und übernahm sich damit völlig. Dabei empfehlen Berater immer wieder, schnell bei der Expansion zu sein – so fehle der Konkurrenz Zeit, sich auf den neuen Wettbewerber einzustellen, und die deutschen Unter-nehmen könnten ihr Momentum am Markt nutzen. Doch häufig wird übersehen, dass sich Märkte trotz ähnlicher Makrofaktoren voneinander unterscheiden können. Der Online-Parfümspezialist MyParfum, vom Geschäftsmodell auf Skalierung angelegt, ist vor Jahren nicht nur in den USA mit dem Markteintritt gescheitert, sondern auch in Frankreich und Großbritannien. Im deutschsprachigen Österreich hingegen klappte die Expansion. Die Berliner wollten zu viel zu schnell. Das hat am Ende das gesamte Unternehmen überfordert. Vor der Expansion steht daher immer die sorgfältige Marktanalyse, idealerweise mit dem Praxisversuch vor Ort. Einheimisches Personal auch in Führungspositionen hilft, gerade die unausgesprochenen Unterschiede zu erkennen.

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in 33 Auslandsmärkten war Vapiano zwischenzeitlich aktiv.

2. Unzureichender Puffer

Deutsche Unternehmen wissen natürlich, dass es Schwierigkeiten geben kann. Doch oft schließen sie dabei von Erfahrungen in Deutschland auf mögliche Probleme im Ausland. Diese können jedoch ganz andere Dimensionen annehmen. Die USA versprechen als gigantischer, „homogener“ Markt eine relativ leichte Eroberung; doch die schiere Größe des Landes verlangt große Investitionen in Marketing und Personal, um Fuß zu fassen. Gibt es dabei Verzögerungen, kann es sehr schnell zu viel werden und die deutsche Mutter überfordern.

Oder Beispiel China: Schon 2008 vermeldete der VDI, dass sich jedes fünfte deutsche Unternehmen aus China zurückziehen wolle. Günstige Produktionskosten hatten die Ansiedlung attraktiv erscheinen lassen. Preissteigerungen waren meist einkalkuliert – doch das Ausmaß hatten viele offenbar unterschätzt. 20 Prozent mehr Lohn in wenigen Jahren widersprach den Erfahrungen sehr gemäßigter Lohnforderungen, wie sie damals in Deutschland etabliert waren. Kommen dann noch neue Umweltstandards, Finanzierungsvorgaben, Ein- und Ausfuhrauflagen hinzu, ist die Kalkulation rasch hinfällig. Wer zu knapp kalkuliert hat, dem bleibt meist nur, die Zelte wieder abzureißen. Auch hier hilft neben einem Kapitalpuffer: den Zielmarkt auch politisch und makroökonomisch vorher gut kennenzulernen.

Isa Foltin / Getty Images for Escada

Die Industrie spart bereits. Foto Isa Foltin / Getty Images for Escada

3. Aus der Defensive expandieren

In Deutschland überlegt derzeit mancher Unternehmer, dem Land wegen hoher Energiekosten den Rücken zuzukehren. Der angeschlagene Modehersteller Escada versuchte sein Glück in der Flucht nach vorn und wollte vor allem in den fernen Märkten Indien und China reüssieren. Doch das hat den Niedergang nur beschleunigt. Wer „aus der Not“ sein Heil in der Expansion sucht, dem fehlt oft das Fundament, den Widrigkeiten im Ausland zu begegnen und in Ruhe den neuen Markt zu erobern. Auch können Unzulänglichkeiten im Geschäftsmodell im Ausland viel offener zutage treten. Ein bekannter Finanzdienstleister zog sich nach wenig mehr als einem Jahr bereits aus Großbritannien zurück. Begründet wurde der Rückzug mit den regulatorischen Widrigkeiten des Brexits. Dabei war dem Unternehmen ein fulminanter Start in UK gelungen, konnte der „Neue“ im Markt zahlreiche Kunden gewinnen. Doch Medienberichten zufolge war es offenbar schwierig, mit den Neukunden auch Geld zu verdienen. Als dann regulatorische Schwierigkeiten hinzukamen, zogen die Deutschen rasch die Reißleine.

Wer zu knapp kalkuliert hat, dem bleibt meist nur, die Zelte wieder abzureißen.

Wer diese drei Punkte beherzigt, dürfte seine Erfolgschancen auf dem Weg zum Weltmarktführer verbessern. Eine Erfolgsgarantie sind sie nicht. Denn manchmal haben Unternehmen auch einfach Pech. Wer hatte schon gedacht, dass der Zwangsrückzug aus Russland so schnell und radikal kommen würde?

09/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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