Mittendrin statt nur dabei: Mitarbeiterbeteiligung im Mittelstand

Beschäftigte am Unternehmen beteiligen: Das ist angesichts des Fachkräftemangels eine gute Strategie, um Talente zu überzeugen. Der Mittelstand aber tut sich schwer mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen. Viele Vorurteile sind unbegründet.

Foto: Drägerwerk AG & Co. KGaA

Mitarbeiterbeteiligung bringt einen klaren Vorteil: Die Angestellten assoziieren sich stärker mit ihrem Unternehmen – bei Dräger zum Beispiel als Aktionäre in der Hauptversammlung. Foto: Drägerwerk AG & Co. KGaA

Der Fachkräftemangel ist eine der größten Sorgen deutscher Unternehmen. Laut dem jüngsten KfW-ifo-Fachkräftebarometer aus dem Dezember 2023 behindert der Mangel an qualifiziertem Personal in 39 Prozent der Unternehmen die Geschäftstätigkeit. Eine Umfrage von Statista aus dem Oktober 2023 unter 24.000 Industrieunternehmen ergab: 58 Prozent der Befragten sehen im Fachkräftemangel ein Geschäftsrisiko.

Strategien, die raren potenziellen Angestellten von der eigenen Firma zu überzeugen sind da dringend nötig – und Spoiler: Der Obstkorb im Konferenzraum reicht nicht. Viel eher lassen sich Talente gewinnen, wenn ihnen Teilhabe, Mitverantwortung und nicht zuletzt finanzielle Benefits in Aussicht gestellt werden. Das Zauberwort ist ein wahres Ungetüm: Mitarbeiterkapitalbeteiligungsprogramme (MAB). Gut durchdacht und strukturiert können sie viele Erwartungen erfüllen. Und ein MAB bringt noch einen zweiten Vorteil für die Unternehmen: Beteiligen sich die Mitarbeiter mit eigenem Geld, fließt Kapital zu, das für die Geschäftstätigkeit zur Verfügung steht.

Dennoch herrscht in Sachen MAB vornehme Zurückhaltung bei den meisten deutschen Unternehmen. Dr. Heinrich Beyer vom AGP – Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung bestätigt: „Im Mittelstand gehe ich von nur 3.000 bis 4.000 Unternehmen aus, die ein MAB haben.“ Vorurteile und Informationsdefizite sind meist die Gründe, sich die Option nicht genauer anzusehen. Manager und Unternehmer fürchten hohe Kosten und Bürokratie – und dass am Unternehmen beteiligte Angestellte übermäßig bei Geschäftsentscheidungen mitreden möchten.

„Im Mittelstand gehe ich von nur 3.000 bis 4.000 Unternehmen aus, die ein MAB haben."

Heinrich Beyer, AGP – Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung

Die Ängste lassen sich nehmen: Die Einführung eines MAB braucht Zeit und Ressourcen, das ist klar, doch sie ist kein Hexenwerk. Im Prinzip gilt immer: Nach der Entscheidung für ein entsprechendes Programm kann eine interne Arbeitsgruppe zusammen mit einem Berater die Eckpunkte des Beteiligungsprogrammes festlegen, Vorlagen für Verträge erstellen und den Mitarbeitern präsentieren zeitnah ein startbereites MAB. Auch dass Angestellte sich plötzlich als aktive Gesellschafter und damit Mitentscheider im Unternehmen gerieren ist unwahrscheinlich – und de facto sind ihre Rechte in den meisten Ausgestaltungsformen ohnehin mehr als überschaubar.

Welche Variante eines MAB für die eigene Firma sinnvoll ist, darüber entscheidet zumeist schlicht die Rechtsform des Unternehmens. In der AG ist die einfachste und zielführendste Option die direkte Beteiligung über die Ausgabe von Belegschaftsaktien, mit denen die Angestellten zu Aktionären ihres Arbeitgebers werden. Die individuellen Ausgestaltungmöglichkeiten sind vielfältig, denkbar ist beispielsweise ein Employee Stock Option Plan, in dem festgelegt wird, zu welchen Bedingungen Angestellte ihre Aktienoption erhalten und wann diese zum fixierten Wert ausgeübt werden dürfen. Gemeinsam ist den Programmen mit Belegschaftsaktien, dass Mitarbeiter über die (Mitsprache-)rechte verfügen, die auch alle anderen Anteilseigner haben: ein Auskunftsrecht und das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung mit entsprechendem Stimmrecht.

Die Drägerwerk AG & Co. KGaA ist eines der mittelständischen Unternehmen, das ein solches MAB umsetzt. CFO Gert-Hartwig Lescow erläutert die Motivation seiner Firma: „Durch das MAB geben wir unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich direkt an ihrem Unternehmen zu beteiligen. Damit unterstützen wir unser Ziel, die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu stärken und ihr Interesse am langfristigen Erfolg des Unternehmens zu erhöhen.“ Konkret können Angestellte Vorzugsaktien erwerben, und für je drei selbst gekaufte Vorzugsaktien gewährt Dräger eine Bonusaktie. Begonnen hat das Unternehmen damit 2013, die Teilnahmequote liegt mittlerweile bei rund 20 Prozent. Das MAB ermöglicht der Firma auch, besonderes Engagement besonders zu honorieren. „Im Jahr 2020 haben wir allen unseren Mitarbeitenden fünf Dräger-Aktien geschenkt“, berichtet CFO Lescow. „Wir wollten uns für den außerordentlichen Einsatz während der Pandemie bedanken.“ Der CFO betont, dass Dräger das MAB auch als Chance sieht, die Kapitalmarktaffinität seiner Mitarbeiter zu erhöhen und damit der Aktie als Instrument zum Vermögensaufbau zu mehr Akzeptanz zu verhelfen.

„Durch das MAB geben wir unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich direkt an ihrem Unternehmen zu beteiligen. Damit unterstützen wir unser Ziel, die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu stärken und ihr Interesse am langfristigen Erfolg des Unternehmens zu erhöhen."

Gert-Hartwig Lescow, CFO Drägerwerk

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Lescow ist ganz unabhängig von seinem eigenen Unternehmen ein klarer Befürwortet der Mitarbeiterbeteiligung: „Die Stärkung des unternehmerischen Denkens und Handelns der Mitarbeiter ist für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe vorteilhaft. Wenn Unternehmen möchten, dass sich ihre Mitarbeitenden mit der Firma identifizieren und im Sinne des Unternehmens motiviert handeln und entscheiden, dann ist eine Mitarbeiterbeteiligung ein sehr gutes Instrument.“

Die meisten Firmen im deutschen Mittelstand firmieren allerdings als GmbH oder Personengesellschaft und können somit, anders als Dräger, keine Aktien ausgeben – schon gar keine, die über die Börse auch wieder verkauft werden können. Die direkte Beteiligung der Angestellten ist bei diesen Rechtsformen schon deutlich schwieriger, da die Mitarbeiter in den Gesellschafterkreis aufgenommen werden müssten – und damit tatsächlich sehr weitreichende Mitentscheidungsrechte hätten. Doch ein MAB muss damit nicht vom Tisch sein. Zwei Varianten eignen sich besonders für den Mittelstand: stille Beteiligungen und Genussrechte.

Die stille Beteiligung erfolgt meist über eine Innengesellschaft, die nicht nach außen in Erscheinung tritt. Der AGP beschreibt die entscheidenden Vorteile dieser Variante: „Die Mitarbeiter haben als stille Gesellschafter nicht die Rechte und Pflichten der echten Gesellschafter des Unternehmens; sie haben auch keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Geschäftsführung. Die stillen Gesellschafter sind aber am Unternehmensgewinn und – in sehr begrenztem Maße – an möglichen Verlusten beteiligt.“ Im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers haften stille Gesellschafter mit ihrer Einlage.

Eigentumsanteil der Arbeitnehmer

Eine weitere attraktive Form der Mitarbeiterbeteiligung im Mittelstand sind sogenannte Genussrechte. „Hierbei überlassen die Mitarbeiter dem Unternehmen das Geld wie ein Gläubiger und erhalten als ‚Genuss‘ eine jährliche Gewinnbeteiligung“, erklärt Beyer vom AGP. „Die Mitarbeiter erwerben reine Vermögens- und keine Beteiligungsrechte.“ Auch hier haben die Angestellten keine Mitwirkungsrechte.

Der Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wurde auf 2.000 Euro erhöht

In der Startup-Szene finden sich weitere Ausgestaltungsoptionen wie virtuelle Beteiligungen, auch Mitarbeiterdarlehen sind möglich – beides spielt im Mittelstand aber eine untergeordnete Rolle. Festzuhalten ist für die beiden wichtigsten Varianten stille Beteiligung und Genussrechte salopp gesagt: Angestellte werden dem Geschäftsführer auch mit einem MAB nicht in Entscheidungen „pfuschen“ und identifizieren sich dennoch sehr viel stärker mit dem Unternehmen.

Seit dem Inkrafttreten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes Anfang des Jahres sind MAB noch einmal attraktiver geworden: Der Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wurde auf 2.000 Euro erhöht. Das bedeutet, dass die Eigenleistung des Angestellten bis zu diesem Betrag steuerfrei bleibt. Erhöht der Arbeitgeber die Eigenleistung des Mitarbeiters durch Überlassung aus eigenen Mitteln innerhalb des Rahmens von 2.000 Euro, bleibt dessen Anteil sogar steuer- und sozialabgabenfrei. Experte Beyer betont: „Das ist hochattraktiv, zweistellige Renditen sind vorprogrammiert.“ Der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung erwartet, dass die Zahl von MAB durch die Erhöhung des Freibetrags deutlich zunehmen wird.

Kündigt der Angestellte, ist auch das kein Grund zur Sorge für den Unternehmer. Bereits beim Aufsetzen der Verträge rund um das MAB kann festgelegt werden, dass im Fall des Arbeitgeberwechsels das Unternehmen entscheiden kann, ob die Kapitalbeteiligung ausgezahlt oder weitergeführt werden soll.

Nun mag der Unternehmer einwenden, dass MAB keinen Vorteil gegenüber einer am Gewinn orientierten Bonuszahlung bringen. Freunde der Mitarbeiterbeteiligung entgegnen, dass Bonuszahlungen kurzfristiger ausgelegt sind und nicht die langfristige Anreizstruktur des MAB mitbringen. Sie unterstellen, dass die Rolle als stiller Gesellschafter oder Profiteur von Genussrechten stärker als Boni dazu führt, dass Arbeitnehmer sich mit ihrem Unternehmen identifizieren und sich für den anhaltenden Erfolg der Firma eher mitverantwortlich fühlen – weil sie nicht passiv bleiben und der Abstand zwischen Arbeitgeber und -nehmer sich verringert. Wie stark er diesen Argumenten folgen will, bleibt natürlich dem Unternehmer überlassen.

Tatsächlich zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber mit Sicherheit, dass es keine Gründe gibt, die gegen MAB sprechen – es liegt an den Unternehmen, aktiv zu werden. Die Regierung hat mit der Erhöhung des Freibetrags für mehr Attraktivität gesorgt, der Fachkräftemangel erhöht den Druck auf die Geschäftsführer, sie müssen jetzt nur noch frei nach Robert McNamara handeln, der wusste: „Gehirne, wie Herzen, gehen dorthin, wo sie geschätzt werden.“

03/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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