Wofür brauchen wir Unternehmer?

Sie sorgen für Wachstum und dürfen im Gegenzug reich werden. Doch wie sieht unser Gesellschaftsvertrag mit den Unternehmern aus? Eine Spurensuche bei Staatstheoretikern und Ökonomen.

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In Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte wird der Ausbeuter Ebenezer Scrooge zum Philanthropen. Dabei erwarten wir von Unternehmern gar keine Almosen. Fotos: Mauritius Images / Landmark Media / Alamy Stock Photos

Elon Musk, Bernard Arnault, Bill Gates oder Jeff Bezos: Die reichsten Menschen der Welt sind Unternehmer. Das gilt auch für Deutschland, wo neben der Quandt-Familie die Eigentümer von Lidl, Aldi, Würth oder Kühne & Nagel die Rankings anführen. Selbst in China sind die Wohlhabendsten Eigentümer von Unternehmen – und auch in Russland haben es die berüchtigten Oligarchen zum größten Reichtum gebracht.

Ob freiheitliche Demokratie oder Autokratie: Fast überall wird es Unternehmern erlaubt, reich zu werden – unermesslich reich sogar. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass unternehmerische Freiheit und ungehemmte Vermögens-anhäufung keine Menschenrechte sind. Vielmehr muss jede Gesellschaft definieren, wie viel individuelle ökonomische Freiheit und wie viel Ungleichheit sie zulässt, um ihre übergeordneten Ziele bestmöglich zu erreichen.

Mit der richtigen Gesellschaftsform beschäftigt sich die Menschheit seit Jahrtausenden. Für Unternehmer interessierten sich die Theoretiker zunächst allerdings kaum. Aristoteles hielt Gewinnstreben nicht für statthaft, der natürliche Erwerb stammte aus der Jagd und der Landwirtschaft. Auch die frühen Aufklärer sorgten sich mehr um das angemessene Verhältnis von Herrschenden und Untertanen als um die Wirtschaft. Thomas Hobbes begründet die absolutistischen Herrschaftsformen seiner Zeit im Monumentalwerk „Leviathan“ damit, dass es einen – unwiderruflichen – Herrschaftsvertrag brauche, um den im Naturzustand drohenden Krieg von jedem gegen jeden zu verhindern. Doch die Zeit ging über den Absolutismus hinweg, und auch die Staatstheoretiker verfeinerten ihre Ideen. Darin waren für das Unternehmertum wichtige Neuerungen enthalten: John Locke verlangte nicht nur, dass eine Regierung durch die (implizite) Zustimmung der Untertanen legitimiert wird, sondern sprach diesen auch ein Umsturzrecht zu, falls die „Naturrechte“ Leben, Freiheit und Eigentum nicht beschützt würden. Auch Jean-Jacques Rousseau glaubte zwar nicht an den Nutzen von Eigentum für die Menschheit („Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“), betonte aber seine Bedeutung für die Entwicklung einer Gesellschaft: „Aus der Bebauung des Grund und Bodens folgte notwendigerweise seine Aufteilung; und aus dem Eigentum, war es einmal anerkannt, die ersten Regeln der Gerechtigkeit.“

Unternehmertum stärkt Demokratie


Kein Unternehmertum ohne Eigentum – aber wie genau Eigentum gemehrt werden sollte, darüber schwiegen die meisten großen Denker. Auch Charles de Montesquieu, der die heute übliche Gewaltenteilung in die Staatstheorie eingeführt hat, widmete sich zwar den Chancen und Risiken des Handels zwischen Gesellschaften, aber nicht der Produktion im eigenen Lande. Wie die Wirtschaft funktioniert und wie die unsichtbare Hand des Markts die Entwicklung lenkt, das hat uns der wegweisende Adam Smith gelehrt. Er prägt damit unser Verständnis einer Marktwirtschaft bis heute.

„Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe.“

Adam Smith

Dass Smiths Werk „Der Wohlstand der Nationen“ im Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, 1776, erschien, ist Zufall. Doch es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft und Demokratie: Der freie Markt ist ein Wachstumsmotor, und mittlerweile gibt es eine stabile Indizienlage, dass Wirtschaftswachstum Demokratien stabilisiert und umgekehrt demokratische Gesellschaften langfristig stärker wachsen. Politische und ökonomische Freiheit sind also eng – wenn auch keinesfalls unauflöslich – miteinander verbunden.

Ökonomische Freiheit wiederum ist die Basis für Unternehmertum: Einige Wagemutige schreiten voran und setzen (oft mit dem Kapital anderer) ihre Ideen um. Wie wichtig die Person des Unternehmers für Wachstum durch Erneuerung ist, hat uns niemand so eindrucksvoll gezeigt wie der Österreicher Joseph Schumpeter, der die kreative Zerstörung durch Unternehmer als zentralen Treiber von Wachstum und Weiterentwicklung definierte. Schumpeter sieht den Unternehmer quasi als Künstler, der mit einer innovativen Antwort auf eine Herausforderung etwas Neues erschafft – und damit ganze Märkte verändert. Diese Innovationskraft macht die Unternehmer zu zentralen Spielern in unserer Gesellschaft, erteilt aber keinen Freibrief, sich nach Herzenslust auszutoben. Karl Marx und Friedrich Engels bringen es 1848 in ihrem Kommunistischen Manifest auf den Punkt: „Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einzunehmen.“

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Unternehmer müssen dienen


Das könnte man als sozialistische Verzerrung abtun, doch schon Adam Smith weist den Unternehmern rund 70 Jahre vorher eine eindeutige gesellschaftliche Funktion zu: „Der Konsum ist der einzige Sinn und Zweck der Produktion, und den Interessen der Produzenten sollte man nur insoweit Beachtung schenken, als nötig ist, die der Verbraucher zu fördern.“

Es ist ein klares Statement, dass Unternehmer nützlich sein müssen. Auf Moral kann Smith allerdings verzichten: „Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe.“ Der ebenso begnadete Ökonom John Maynard Keynes formuliert das Jahrhunderte später deutlich drastischer: „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“

Unternehmer werden von der Gesellschaft gebraucht, aber ihren Reichtum müssen sie sich durch den fortwährenden Dienst an der Gesellschaft ebenso verdienen wie die Politiker ihre Macht.

Das allgemeine Wohl allerdings wird von der Gesellschaft definiert – und muss nicht unbedingt Wachstum lauten. Das grenzt die Freiheit der Unternehmer ein. Sie haben Regeln zu befolgen und den Nutzen zu stiften, den die Gesellschaft von ihnen verlangt. Wenn sie Ressourcen verschwenden, dann muss eine Gesellschaft, die Nachhaltigkeit als Ziel definiert hat, ihnen die Verschwendung verbieten. Die Gesellschaft erkennt zwar an, dass es besonders leistungsfähige und leistungswillige Menschen gibt, die andere mitziehen und dafür besonderen Lohn verdienen. Doch daraus ergibt sich auch eine Verantwortung. Unternehmer werden also von der Gesellschaft gebraucht, aber ihren Reichtum müssen sie sich durch den fortwährenden Dienst an der Gesellschaft ebenso verdienen wie die Politiker ihre Macht.

02/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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