Aus Erfahrung jung

Wenn sich die Innovationsspirale immer schneller dreht, wandelt sich auch das Kräfteverhältnis von Jung und Alt. Veränderungen stoßen zumeist die Jungen an, die sich auch schneller auf neue Umstände einstellen – und damit das Erfahrungswissen der Älteren entwerten.

Foto: Picture Alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library

Die Augen werden trübe und die Hände zittrig, aber die Erfahrung bleibt. Das sicherte lange den Wert der eigenen Arbeitskraft. Doch das Wissen der Alten wird zunehmend entwertet. Foto: Picture Alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library

Wie macht er das bloß? Das fragte sich viele Jahrhunderte lang der Enkel, wenn Opa aus dem Stamm, dem Leder oder dem Metall etwas Nützliches erschuf. Und auch wenn die motorischen Fähigkeiten nachließen, kannte er doch die Lösung für viele Probleme.

Wie macht er das bloß? Das fragt sich heute der Opa, wenn sein Enkel dem Smartphone Anwendungen entlockt, die das Leben vereinfachen. Und auf der Arbeit sieht es nicht anders aus. Heute bringen die Jungen mehr Fähigkeiten und Erfahrungen aus ihrer Jugend mit als die Alten aus ihrem Arbeitsleben. Und sie verzweifeln, wenn die Alten sich gegen die Umstellung auf neue digitale Systeme oder agile Arbeitsmethoden wehren.

Innovationen ziehen sich durch die Menschheitsgeschichte. Für die meisten war das aber ziemlich lange ziemlich egal.

Beides ist ein verklärter Blick auf die Welt. Schon immer hat die nächste Generation versucht, es besser zu machen als die vorherige. Schon immer gab es welche, die Bestehendes weiterentwickelten oder gar gänzlich Neues ersannen. Und noch heute ist der Rat weiser Frauen und Männer gefragt, vor allem in schwierigen Zeiten. Die großen Denker sehen wir als alte Menschen vor uns – wer kann sich Sokrates als Jungspund vorstellen? Auch in der Politik vertrauen wir zumeist weiterhin den Alten. Dazu müssen wir gar nicht in die USA schauen oder zurück bis Konrad Adenauer: Niemand unter 50 ist bei uns je Kanzler geworden.

Urteilsvermögen gegen Risikobereitschaft

Das mag klug sein, in der Politik ist rascher Wandel immer auch ein Risiko. Und die Bereitschaft zu radikaler Veränderung ist eng mit dem Alter verknüpft. „Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“ Diese Einschätzung wird von Winston Churchill bis zu André Malraux verschiedenen Denkern und Politikern zugeschrieben. Wer immer sie geäußert hat und ob man sie sachlich teilt oder nicht, sie enthält eine Wahrheit: Die Jugend lebt von Leidenschaft und Visionen, im Alter reift die Erkenntnis.

Das hat ganz simple biologische Gründe. Einige Fähigkeiten prägen wir im Alter stärker aus, andere verlieren wir. Urteilsvermögen und Genauigkeit, Teamfähigkeit und Verantwortung, Zuverlässigkeit und Selbstständigkeit nehmen Forschern zufolge zu. Die Downside: Unsere geistige Umstellungsfähigkeit, die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme und -erarbeitung und das Abstraktionsvermögen lassen nach. Und vor allem: die Risikobereitschaft. Darum entsteht das Neue oft in der Sturm-und-Drang-Phase des Lebens. Alexander der Große war zarte 25, als er mit seinen Truppen Babylon einnahm. Albert Einstein war nur ein Jahr älter, als er mit der Relativitätstheorie die Grundlagen der Physik revolutionierte. Edison entwickelte die Glühbirne mit 32, auch Techtitanen wie Bill Gates und Steve Jobs oder eine Generation später Larry Page und Mark Zuckerberg hatten ihre genialen Momente in jungen Jahren.

Die (angebliche) Halbwertszeit des Wissens

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Innovationen ziehen sich durch die Menschheitsgeschichte. Für die meisten war das aber ziemlich lange ziemlich egal. Auch alte Menschen gewöhnten sich rasch daran, die Glühbirne statt der Petroleumlampe und die Eisenbahn statt der Kutsche zu nutzen. Die Arbeitsumfelder veränderten sich nur gemächlich, das Erfahrungswissen der Alten blieb erhalten. Doch der Wandel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt. Zwar gibt es keinerlei Beleg dafür, dass die Halbwertszeit von beruflichem Fachwissen wirklich nur bei fünf Jahren liegt. Aber während der Lehrling einer Schmiede im 18. Jahrhundert darauf vertrauen durfte, dass seine erlernten Fähigkeiten ihm auch im Alter noch nützen würden, kann ein Auszubildender einer Bank heute eher vom Gegenteil ausgehen.

Die Handlanger von früher haben einen Stellenwert erreicht, der sie oft über die Generalisten erhebt.

Lebenslanges Lernen lautet darum die Forderung, sie ist der Fluch der Experten. Früher bewunderten wir den Universalgelehrten, der das relevante Wissen der Welt in seinem Kopf vereinte. Auch wenn dieser Anspruch schon vor Jahrhunderten aufgegeben werden musste, so blieb doch das Ideal einer breiten Allgemeinbildung erhalten. Die immer stärker verästelte Arbeitsteilung hat jedoch dazu geführt, dass Spezialisten die Oberhand gewannen. Weil ohne sie gar nichts geht und viele schwerer ersetzbar sind als Manager, haben die Handlanger von früher einen Stellenwert erreicht, der sie oft über die Generalisten erhebt.

Das Zeitalter der Spezialisten

Der Trend ist wohl unaufhaltsam: War ein Unternehmen um 1964 durchschnittlich für 33 Jahre im S&P 500 gelistet, ist die Verweildauer in diesem Aktienindex heute auf 18 Jahre gefallen. Das heißt: Unternehmen müssen sich immer rascher wandeln und damit auch die Mitarbeiter. Das entwertet zwar das Wissen der Alten. Andererseits brauchen wir sie dringend – wenn auch nicht als Innovatoren, so doch als Arbeitskräfte.

Die Älteren im Wandel nicht zu verlieren wird nicht einfach. Wie eng die Menschen Alter mit Veränderung verbinden, zeigte sich schon im alten Griechenland: In der Militärgesellschaft Spartas war alles auf den Erhalt des Status quo (vor allem auf die Unterdrückung der versklavten Heloten) ausgerichtet. Der Ältestenrat war eins von drei Verfassungsorganen – keines der 28 Mitglieder durfte jünger als 60 sein. Ganz anders im demokratischen Athen, das sich gern innovativ und dynamisch gab und politische Macht nur auf Zeit verlieh: Hier durfte niemand ein öffentliches Amt bekleiden, der älter als 60 war. Im Kampf behielten die Spartaner allerdings in der Regel die Oberhand, und die wilden Athener verloren ihre geliebte Demokratie immer wieder an allzu machthungrige Politiker. Am Ende mussten sich beide Stadtstaaten dem jungen Eroberer Alexander dem Großen unterordnen.

01/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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