
Zölle: So helfen sich Unternehmen
Mit „Tariff Engineering“ versuchen Importeure, auf legale Weise die Höhe von Zöllen zu drücken. Welche Ansätze es gibt und wie gut sie funktionieren. Eine Wiederentdeckung.

Wie hoch werden die Zollschranken am Ende sein? „Tariff Engineering“ kann vielleicht helfen, die Barrieren zu senken. Foto: picture alliance / ZB
Es ist schon – nach vielen Jahren der EU-Zollfreiheit und weltweit oft niedriger Zölle – beinahe in Vergessenheit geraten: „Tariff Engineering“. Dabei sind Gestaltungsmaßnahmen von Importeuren, um Zölle zu umgehen oder zumindest zu reduzieren, wohl annähernd so alt wie die Zölle selbst. Sogar gerichtlich ist Tariff Engineering schon seit 1885 anerkannt: Im Leitsatz Merritt v. Welsh hat der Oberste Gerichtshof der USA Importeuren das Recht eingeräumt, ihre Geschäfte so zu gestalten „as to reduce or entirely avoid the burden of duties“.
Mit den Jahrzehnten wurden manche legalen Schlupflöcher enger, weil Zollbehörden und Gesetzgeber nachgeschärft haben. Doch es gibt sie noch. Vor allem folgende Gestaltungsmaßnahmen sind unter Importeuren im US-Geschäft verbreitet:
- Konstruktions- und Designänderungen: Columbia Sportswear beispielsweise näht an einigen Damenblusen kleine Taschen unterhalb der Taille an. Dadurch werden die Oberteile nicht mehr als Blusen eingestuft, sondern als Outdoor-Hemd. Der Zollsatz sank (alle Angaben auf damalige Zölle bezogen) dadurch von 26,9 auf 16 Prozent. Converse wiederum trägt auf seine „Chuck Taylor“-Sneaker eine dünne Schicht Filz auf etwas mehr als der Hälfte der Sohlenfläche auf – sodass diese offiziell als Hausschuhe klassifiziert werden konnten und nur mit 7,5 Prozent statt 37,5 Prozent verzollt werden mussten.
- Zerlegen und Zusammenbauen: Viele Zollsätze sind für Bausätze geringer als für fertige Endprodukte. Besonders im Automobilsektor werden daher Bausätze (CKD – completely knocked down) versandt und im Zielmarkt einfach zusammengebaut. Von dieser Regel hatte auch Mercedes-Benz (damals noch Daimler) Gebrauch gemacht, bevor der Konzern die Sprinter-Produktion in die USA verlegte: Die Transporter wurden in Deutschland gebaut, anschließend wieder zerlegt und in den USA wieder zusammengesetzt. So wurde die US-„Chicken Tax“ von 25 Prozent auf Pick-ups und Vans vermieden.
- Funktionsmodifikation: Bestimmte Zolltarifnummern – die Grundlage für die Zuordnung eines Produkts zu einem bestimmten Zollsatz – definieren sich über die Funktion des Produkts. Mit dem Hinzufügen oder Wegfall einer Funktion kann die Kategorisierung verändert werden. Originell – wenngleich letztlich vergebens – war der Versuch von Marvel. Der Zollsatz für Spielfiguren, die Menschen darstellen („dolls“), war in den USA beinahe doppelt so hoch wie der von Figuren, die keine echten Menschen repräsentieren („toys“). Marvel, bekannt für seine Superhelden-Comics, argumentierte, dass die X-Men-Spielfiguren nicht-menschliche Mutanten darstellen würden. Daher seien sie als Spielzeug, nicht als Puppe einzuordnen. Ein anderes bekanntes Beispiel sind Weihnachtsmann-Kostüme: Mit Reißverschluss gelten sie als zollpflichtige Bekleidung, mit einem Klettverschluss hingegen als zollfreie festliche Dekorationsartikel.
- Country of Origin Engineering: Unternehmen verlagern gezielt Produktionsschritte in andere Länder, die keinen oder geringen Zöllen unterliegen. Erfolgt dann dort die Endmontage, kann das Produkt dort als „ursprungsständig“ klassifiziert werden. Nachdem die USA 2018 die Hälfte aller chinesischen Wareneinfuhren mit Zöllen belegten, haben viele Firmen wichtige Fertigungsschritte aus China in Drittstaaten wie Vietnam oder Mexiko verschoben.
- Freihandelszonen und Zolllager: In den USA gibt es verschiedene Foreign Trade Zones, in denen Importware und Bauteile zollfrei gelagert und bearbeitet werden können. Erst wenn die Ware in den US-Wirtschaftsraum überführt wird, fällt der Zoll an. Der Importeur kann dann wählen, ob er die Einzelteile oder das fertig montierte Produkt verzollt – je nachdem, was für ihn günstiger ist. Importeure können so „inverted tariffs“ nutzen, wenn Komponenten höhere Zölle haben als das Endprodukt.
- Wertgrenzen-Ausnutzung: Keinen klassischen Engineering-Ansatz, eher eine Umgehungsstrategie haben insbesondere chinesische E-Commerce-Händler wie Temu und Shein genutzt. Sie haben ihre Warensendungen per Flugzeug geschickt und gezielt unter der sogenannten De-Minimis-Grenze gehalten, die Pakete bis zu 800 US-Dollar Warenwert zollfrei belässt. Allerdings wurde schon länger erwartet, dass diese Lücke geschlossen wird. Die aktuelle Trump-Regierung hat diese Zollfreiheit derzeit aufgehoben, andere Länder werden voraussichtlich ebenfalls ihre Regeln anpassen.
Der „Snuggie“ – eine Fleecedecke mit Ärmeln – könnte eine Decke sein (bislang rund 8,5 Prozent Zoll) oder ein Kleidungsstück (bislang 14,9 Prozent Zoll).
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Grenzen des Tariff Engineering
Dank moderner Technologie können Unternehmen heute bereits bei der Produktentwicklung die Vorgaben für die Zollgruppen-Zuordnung berücksichtigen. Spezialisierte Zollberatungen unterstützen bei solchen „proaktiven Klassifizierungsanalysen“. Natürlich können Veränderungen oder die Änderung der Zollgruppe nicht beliebig und rein aus Zollgründen erfolgen. Legal sind die Tariff-Engineering-Maßnahmen nur, wenn sie mehrere Vorgaben erfüllen:
- Das Endprodukt muss in der importierten Version sinnvoll verwendet werden können – also nicht erst durch spätere Änderungen im Importland wieder sinnvoll werden. Turnschuhe können demnach nicht mit Filz komplett überzogen werden, der anschließend wieder entfernt wird.
- Veränderungen am Produkt dürfen nicht völlig künstlich wirken, sondern müssen einen kommerziellen Zweck erfüllen oder dürfen zumindest nicht sofort wieder nach dem Import entfernt werden.
- Die jeweiligen „Rules of Origin“ müssen eingehalten werden, die den Ursprungsort eines Produkts abhängig von der Wertschöpfungstiefe definieren („substantial transformation“). Wird in Mexiko nur beispielsweise ein Etikett auf dem ansonsten fertigen Produkt aus China angebracht, wird Mexiko als Ursprungsort nicht akzeptiert und dieses Vorgehen gegebenenfalls als Umgehungstatbestand der Scheinausflaggung gewertet.
- Kreatives Zollgruppen-Picking ohne nachvollziehbare Basis ist unzulässig – denn letztlich kann es immer nur eine korrekte Einordnung je Produkt geben. Wäre eine andere Gruppierung nachvollziehbarer, kann das als Rechtsverstoß gelten.
In der Praxis ist es für Unternehmen nicht immer ganz einfach zu analysieren, wie weit die Rechtsauslegung ihnen entgegenkommen kann. Der „Snuggie“ – eine Fleecedecke mit Ärmeln – könnte eine Decke sein (rund 8,5 Prozent Zoll) oder ein Kleidungsstück (14,9 Prozent Zoll). Gerichtlich wurde entschieden, dass der Snuggie als Decke eingeordnet wird.
Zu kreativ war hingegen Ford: Der Konzern hat zwischen 2009 und 2013 mehr als 160.000 „Transit Connect“-Kleintransporter aus der Türkei importiert. Dabei hatte der Autobauer vor dem Versand Rücksitze auf die Ladefläche montiert. So konnte der Transit Connect als Personenwagen (2,5 Prozent Zoll) deklariert werden. Und nicht als leichtes Nutzfahrzeug („Chicken Tax“, 25 Prozent Importzoll). Kaum in den USA angekommen, wurden die Sitzbänke einfach demontiert. Anfangs wurde dieses Vorgehen als legal eingestuft, da die Importkonfiguration durchaus ein handelsübliches Produkt darstellte. 2013 aber änderte die Zollbehörde ihre Einschätzung: Die Konfiguration sei rein taktisch, der tatsächliche Verwendungszweck sei maßgeblich. Im darauffolgenden Rechtsstreit gewann Ford zwar vor dem U.S. Court of International Trade, unterlag aber schließlich 2019 in letzter Instanz vor dem Supreme Court. Schließlich einigte man sich auf einen Vergleich mit dem US-Justizministerium: Ford zahlte – ohne Schuldeingeständnis – 365 Millionen US-Dollar Strafe. Außerdem fertigt Ford neuere Modelle nun in den USA selbst und holt sich für künftige Konstruktionen verbindliche Zollauskünfte vorab. Auch andere Autobauer wie Mercedes haben auf höhere Zölle teils mit der Erweiterung ihrer Produktion in den USA reagiert.
Die Lücken werden kleiner
Anders als das Lobbying für Ausnahmen – zwischen 2018 bis 2021 wurden nur 13 Prozent der mehr als 50.000 Anträge auf Zollausnahmen in den USA bewilligt – können Tariff-Engineering-Praktiken viele Jahre erfolgreich bleiben. Doch nehmen sie überhand, reagieren die Behörden. Wer Tariff Engineering nutzt, sollte stets mit sich ändernden Spielregeln rechnen. 2021 spezifizierte der US-Zoll genauer, wann ein Fahrzeug trotz Passagiersitzen als Truck gilt. Im selben Jahr hat die US-Zollbehörde CBP (Customs and Border Protection) zudem die Kontrollen gegen Fehlklassifizierungen verstärkt. Bei Antidumpingzöllen lässt das US-Handelsministerium per Anti-Circumvention Inquiry häufiger überprüfen, ob leichte Produktveränderungen die Zölle umgehen und die Zollmaßnahmen entsprechend erweitern. 2023 wurde im Freihandelsabkommen USMCA (USA, Mexiko, Kanada) die Definition des Begriffs „core parts“ im Kfz Sektor verschärft. Eine reine Endmontage genügt nicht mehr zur Anerkennung als Ursprungsland. Grundsätzlich galt aber unter der Biden-Regierung: Legitime Zollplanung soll nicht kriminalisiert, aber Austricksen unterbunden werden.
Mit den Plänen der aktuellen Trump-Regierung, hohe pauschale Importzölle zu verhängen, die fast alle Handelspartner betreffen, wird Tariff Engineering deutlich erschwert. Inwiefern es zur Umsetzung kommt – derzeit gilt ein Pauschalsatz von 10 Prozent für die meisten Länder und Güter –, bleibt abzuwarten. Doch könnte insbesondere das Country of Origin Engineering besonders interessant werden. Unterschiede, wie sie aktuell zwischen Elektronikkomponenten und Fertigprodukten gemacht werden, könnten zu einem umgekehrten Ansatz von Freihandelszonen und „Zerlegen und Zusammenbauen“ führen: Fertige Teile werden importiert und dann auseinandergebaut. Momentan ist nicht absehbar, welche Zollregeln die Trump-Regierung dauerhaft umsetzen wird, welche Ausnahmen sie zulässt und wie divers die Zollsätze je nach Produktart oder Herkunftsland gestaltet werden. Je weniger einheitlich sie letztlich sind, desto mehr kann sich Tariff Engineering lohnen.
05/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.