Die neue Trockenheit

Knappes Gut, große Nachfrage – dann geht der Preis nach oben. Doch Wasser ist in Deutschland quasi kostenlos. Das müsste sich eigentlich ändern. Aber so einfach geht es nicht.

Klares, kaltes Wasser – doch auch in Deutschland sinkt im Sommer immer häufiger der Wasserspiegel in den Flüssen. Dann wird Kühlwasser für die Industrie knapp.

Klares, kaltes Wasser – doch auch in Deutschland sinkt im Sommer immer häufiger der Wasserspiegel in den Flüssen. Dann wird Kühlwasser für die Industrie knapp. Foto: Picture-Alliance / Jochen Tack

Kohletagebaue, Chemiefirmen und die Nahrungsmittelindustrie verbrauchen nach Recherchen der gemeinnützigen Redaktion Correctiv fast viermal so viel Fluss- und Grundwasser wie alle Einwohner Deutschlands zusammen. Allein die Tagebaue von RWE nutzen 500 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Dabei zahlen sie nach eigenen Angaben höchstens fünf Cent je Kubikmeter. Andere Großverbraucher zahlen sogar nur einen Bruchteil davon.

Meist geht es um Kühlwasser, das Flüssen entnommen wird. Wenn im Sommer Flüsse trockenfallen und Grundwasserspiegel sinken, wird die Verteildiskussion ums Wasser in Mitteleuropa wieder beginnen. Und es könnte nicht beim Verbot von Autowäsche, Rasensprengen oder Poolbefüllung bleiben, sondern – wie schon bei der diesjährigen „Winterdürre“ in einigen Ortschaften Frankreichs – zu akuter Wasserknappheit kommen. Dabei steigt in einer Hitzephase nicht nur der Wasserbedarf der privaten Verbraucher, sondern auch der von Landwirtschaft und Industrie. Äcker und Felder müssen stärker bewässert werden, für die Kühlung werden größere Mengen Wasser aus den Flüssen entnommen.

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Problem Kühlwasser

Rund 85 Prozent des industriellen Wasserverbrauchs entfallen auf Kühlwasser, das bis auf den Anteil, der verdampft, eigentlich wieder eingeleitet wird. Der Verbrauch ist, anders als beispielsweise beim Wässern von Agrarflächen, nur kurzfristig. Doch für eine quasi permanente Kühlung befindet sich eine feste Wassermenge außerhalb des Flusses und steht nicht für eine andere Nutzung zur Verfügung. Wenn in Hitzezeiten mehr Wasser zur Kühlung entnommen werden muss und zugleich der Wasserstand niedriger ist, fehlt das Wasser möglicherweise der Binnenschifffahrt oder zur Trinkwasseraufbereitung. Außerdem könnte das Wasser zu warm sein, um wieder eingeleitet zu werden, weil die Temperatur Flora und Fauna schädigen könnte. Im vergangenen Sommer wurden die Temperaturobergrenzen für die Einleitung des Kühlwassers aus Kernkraftwerken hochgesetzt – sonst hätten noch mehr Kraftwerke abgeschaltet werden müssen.

In Santa Fe steigt der Preis, je mehr Wasser man verbraucht.

Mit drastischen Einschränkungen müssen Großverbraucher nicht unbedingt rechnen, denn sie haben oft sehr langfristige Verträge geschlossen. Es könnte aber der Punkt kommen, an dem auch die langfristigen Verträge wenig helfen – weil Wasser zu knapp ist oder der Widerstand in der Bevölkerung wächst.

Um Anreize für Wassereinsparungen zu setzen, werden schon länger unterschiedliche Preismodelle diskutiert. Bislang orientieren sich die Wasserpreise meist an den hohen Fixkosten und den relativ geringen „Stückkosten“. Die beiden Komponenten Grundpreis und Arbeitspreis spiegeln den jährlichen Durchschnittspreis wider. Dabei hängt der Grundpreis oft von der Zählergröße ab und soll die Fixkosten der Wasserbereitstellung abbilden. Der Arbeits- oder Mengenpreis wiederum fällt für jeden verbrauchten Kubikmeter Wasser an. Tendenziell sinkt bei solchen Modellen der Preis je Kubikmeter für Großabnehmer. Weil Wasser aber ein menschliches Grundbedürfnis ist, gestaltet sich eine Steuerung des Wasserverbrauchs durch den Preis grundsätzlich schwieriger als bei anderen Gütern.

Preisstaffelung

Noch vor Kurzem bereitete nicht Wasserknappheit, sondern ein sinkender Wasserverbrauch den Versorgern Schwierigkeiten: Die Fixkosten blieben hoch, die Abnahmen zum Mengenpreis sanken. Das führte dazu, dass für alle der Wasserpreis stieg, weil in Summe weniger abgenommen worden war. Verbraucher waren aufgerufen, mehr Wasser zu verbrauchen.

In Bern wurde 2010 eine Preisstaffel („Berner Modell“) eingeführt, um Anreize für einen gewissen Wassergrundverbrauch zu geben: die gestufte „Wasser-Flatrate“. Bei Stufe eins sind bis zu 50 Kubikmeter Wasserverbrauch „inklusive“. Wer nur 30 Kubikmeter verbraucht, zahlt ebenso viel wie der Verbraucher von 50 Kubikmetern. Erst darüber fallen Mengenpreise an. Wie bei mobilen Datenverträgen können auch höhere Stufen für größere Verbrauchsmengen vereinbart werden. Der Fixpreis steigt entsprechend, ein darüber hinausgehender Verbrauch ist günstiger je Kubikmeter. Einen Anreiz zum Wassersparen bietet dieses Modell nicht, im Gegenteil: Wer unter der Flatrate-Obergrenze bleibt, zahlt je Kubikmeter deutlich mehr. Eine Verbrauchseinsparung wird sich darum in vielen Fällen nicht lohnen.

Die Industrie spart bereits

In Santa Fe (New Mexico, USA) hingegen wurde eine andere Preisstaffel eingeführt. Wer mehr Wasser verbrauchte, zahlte mehr. Deutlich mehr. Die Folge: Von 2001 bis 2015 ging der Wasserverbrauch um ein Fünftel zurück, obwohl die Einwohnerzahl um zehn Prozent wuchs. Eine Vielzahl kalifornischer Wasserversorger hat zwischenzeitlich ebenfalls eine Preisstaffelung eingeführt. Doch es gibt Bedenken gegen dieses Modell: Das kalifornische Recht verbietet es, dass Gebühren für staatliche Leistungen über den Bereitstellungskosten liegen.

Saisonale Preise und andere Preismodelle

Die Herausforderung für Mitteleuropa besteht darin, dass es in der Regel ausreichend Wasser gibt, also Sparen nicht immer erwünscht ist. Denn bei einer geringen Wasserabnahme können sich Keime und Ablagerungen in den Rohren bilden, und das Grundwasser könnte in Gebäude drücken. Wird grundsätzlich weniger Wasser verbraucht, steigen die Wasserpreise an, weil die hohen Fixkosten auf die Menge verteilt werden müssen. Im Sommer hingegen wird es immer wichtiger, Anreize für Wassereinsparungen zu schaffen. In einigen Ländern gibt es daher saisonal unterschiedliche Preise. In Frankreich beispielsweise liegt der Wasserpreis von Mitte Mai bis Mitte September deutlich höher. Allerdings sollten die Preise auch berücksichtigen, ob und wie viel Wasser in den „nassen“ Jahreszeiten gespeichert werden kann für den Sommer.

Und es geht noch komplizierter: Beim „hedonistischen Preismodell“ wird der implizite Preis für Wasser aus dem Gesamtpreis eines Guts berechnet. Dazu werden zum Beispiel Landwirtschaftsprodukte in „unbewässerte“ und bewässerte Komponenten zerlegt und der jeweilige Kostenanteil berechnet. So kann der Wert des Wassers aus dem Gesamtwert des Produkts abgeleitet und entsprechend bepreist werden. Mit diesem Wissen können Wasserpreise eventuell angehoben oder auch subventioniert werden, wenn beispielsweise die Landwirtschaft gefördert werden soll.

Eine Frage der Politik

Sollen Ineffizienzen in der Wassernutzung minimiert und damit der Wasserverbrauch in Dürrephasen reduziert werden, bräuchte es Preise, die das sinkende Angebot abbilden. Ein starrer Durchschnittspreis dürfte zunehmend an Grenzen stoßen. Mancher denkt über eine Wasserbörse nach. Doch dieser Ansatz hat größere Schwächen: eine mangelnde Planbarkeit für Verbraucher und soziale Härte.

Darum ist der Wasserpreis immer auch politisch. Bis der regulatorische Rahmen so flexibilisiert wird, dass Wasser über den Preis effizienter eingesetzt wird, ist es noch ein weiter Weg. Realistischer ist ein steigender Durchschnittspreis, der aber wenig helfen wird, Wasser zu rationieren. Auch das zeigen Beispiele aus den USA: In Fresno, wo es kein Stufenmodell gab, hatte auch eine deutliche Preiserhöhung den Wasserverbrauch wenig gesenkt.

Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass Wasser auch in Deutschland häufiger als in der Vergangenheit rationiert wird.

Die Unternehmen wissen, dass die Wasserfrage drängender wird, die EU arbeitet an einer Konkretisierung der Taxonomie im Bereich Wasserressourcen. Manche Investition in Wassersparsysteme und -aufbereitung wird sich angesichts möglicher Wasserpreisanstiege bereits rentieren.

Mindestens ebenso relevant könnte aber der Aspekt der Risikovorsorge sein. Unternehmen sollten sich daher darauf einstellen, dass Wasser auch in Deutschland häufiger als in der Vergangenheit rationiert wird. Eine interne Wasseraufbereitung, eine Minderung von Kühlwassermengen und eigene Wasserspeicher wären dann vor allem Maßnahmen zur Risikovorsorge. Laut einer weltweiten Umfrage unter börsennotierten Unternehmen, die im Rahmen des Carbon Disclosure Project über ihren Wasserverbrauch berichten, sehen 69 Prozent bereits wasserbedingte Risiken, die ihr Geschäft deutlich verändern könnten. Sie fürchten vor allem Einschränkungen in der Produktion.

06/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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