Energie aus Abfall
Deutschland ist gut darin, Müll zu verbrennen, um daraus Energie zu gewinnen. Andere Länder könnten vom deutschen Know-how profitieren.

Erst wird sortiert, dann verbrannt und daraus Energie gewonnen. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Schon Ende des 19. Jahrhunderts verbesserte Müllverbrennung die Hygiene in den Städten und reduzierte Müllmengen. Bis heute ist die „thermische Abfallbehandlung“ eine verlässliche Entsorgungslösung für alles, was hygienisch bedenklich oder kontaminiert ist – oder einfach nicht zu recyceln ist. Ein weiterer Vorteil der Verbrennung: Sie kann zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Und helfen, CO2-Emissionen zu reduzieren. Bislang nutzen aber erst wenige Länder das Potenzial, das in „Waste to Energy“-Anlagen (kurz: WtE) liegt.
Dabei zeigt der Trend in die richtige Richtung: Immer mehr Länder in Europa reduzieren die Deponierung zugunsten von Recycling und Müllverbrennung. Doch erst neun EU-Staaten, darunter Deutschland, die Niederlande und einige skandinavische Länder, haben ihre Deponierungsquote auf unter 10 Prozent gedrückt, wie es die Deponierichtlinie in der EU bis 2035 vorsieht. In Ost- und Südosteuropa liegt der Anteil hingegen teils noch bei über 50 Prozent. Der Bedarf, Müllverbrennungsanlagen aufzubauen, ist vor allem in Ländern wie Bulgarien und Rumänien groß, aber auch in Polen, Tschechien, Ungarn oder Spanien. Die Marktforscher von Grand View Research erwarten für Europa ein dynamisches Wachstum: Das Marktvolumen für WtE soll von knapp 16 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 bis 2040 auf knapp 42 Milliarden US-Dollar steigen.
Globaler WtE-Wettbewerb
Deutsche Unternehmen wie die Martin GmbH haben viel Erfahrung im Bereich „Waste to Energy“ (WtE) gesammelt und genießen daher auch international hohes Ansehen. Erst im August gab die Martin GmbH die Lieferung von Feuerungstechnik für eine neue WtE-Anlage in Kanada bekannt. Vielfach sind deutsche Technologien in osteuropäischen Anlagen im Einsatz. Deutsche Unternehmen haben insgesamt gute Chancen, vom prognostizierten Marktwachstum zu profitieren.
Allerdings war zuletzt die Dynamik in China noch deutlich größer als in Europa. Das Land versucht, mit Strom-Einspeisesubventionen WtE rasch als saubere Energiequelle zu etablieren. Dort sind mittlerweile mehr als 1.000 Müllverbrennungsanlagen mit der weltweit höchsten WtE-Kapazität entstanden. Allerdings stehen bis zu 40 Prozent der Verbrennungskapazitäten ungenutzt still, da das Müllvolumen noch nicht so hoch ist. In China wurden vielfach Anlagen westlicher Bauart errichtet. Doch inzwischen haben heimische Hersteller nachgezogen. Der Marktanteil chinesischer Unternehmen bei Rauchgasreinigungssystemen beträgt schon rund 60 Prozent.
Auch Japan verfügt über rund 1.000 Verbrennungsanlagen, viele davon als WtE-Anlagen. Zu den Spitzenreitern dürfte aber Singapur gehören: Dort werden 100 Prozent des nicht recycelten Mülls verbrannt – mangels Deponieplatz.
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Deutsche Anlagen technologisch führend
Diese Länder könnten sich dabei an WtE-Technologie aus Deutschland oder Frankreich orientieren, wo fast die Hälfte der 500 „Waste to Energy“-Anlagen in Europa stehen. Beide Staaten gelten neben den Beneluxländern als Technologieführer. Hierzulande sind rund 100 Anlagen in Betrieb, die aus Müll Energie gewinnen. Jede vierte der mehr als 100 Millionen Tonnen Müll, die in Europa verbrannt werden, fällt in Deutschland an. In Frankreich gibt es sogar schon 117 WtE-Anlagen, deren Kapazität aber im Schnitt jeweils nur etwa halb so groß ist wie die der deutschen Anlagen. Doch auch in diesen reifen Märkten stehen Investitionen an: Viele Anlagen erreichen bis 2030 ihr technisches Lebensende. Sie müssen erneuert und technisch aufgerüstet werden. Der Vorteil: Weiterentwickelte Rostsysteme und Verbrennungsöfen erzielen höhere Wirkungsgrade und reduzieren die anfallenden Dioxinemissionen. Neue Filtersysteme, Katalysatoren und Wäscher verbessern die Schadstoffwerte.
Moderne Müllverbrennungsanlagen arbeiten meist nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Sie erzeugen gleichzeitig Strom und speisen Nutzwärme ins Fernwärmenetz ein. In Deutschland gilt das für fast alle WtE-Anlagen, in Frankreich erst für rund zwei Drittel. Diese Anlagen erreichen einen Gesamtwirkungsgrad von bis zu 80 Prozent. Deutsche WtE-Anlagen liefern Strom für rund 18 Millionen Einwohner und Wärme für rund 15 Millionen.
Mehr als nur Verbrennung
Bislang wird nur rund die Hälfte der bei der Verbrennung erzeugten Energie als erneuerbar angesehen. Nur der „biogene“ CO2-Anteil von organischen Abfällen erfordert keine CO2-Zertifikate. Mit steigenden Preisen für CO2-Zertifikate verteuern sich die Emissionen aus der Verbrennung „fossilen“ Mülls. Kosten, die erst einmal vom Betreiber der WtE-Anlage aufzubringen sind. Ein Ansatz zur Reduzierung dieser Kosten liegt in einer sorgfältigen Vorsortierung, damit die Recyclingquote erhöht werden kann.
Begehrte Unternehmen
Deutschlands Müllverbrennungsunternehmen sind begehrte Übernahmeziele. So hat die chinesische Beijing Enterprises 2016 den Müllverbrennungsspezialisten EEW Energy from Waste aus Helmstedt für insgesamt 1,438 Milliarden Euro übernommen. Der Kesselspezialist Steinmüller Babcock Environment wurde erst von Nippon Steel Engineering erworben, bis er 2021/22 an das schweizerisch-japanische Greentech-Unternehmen Kanadevia Inova AG (HZI) ging. Auch das hessische Recyclingunternehmen B+T Group, das die gesamte Wertschöpfungskette über die Sammlung, Sortierung und Verwertung von Abfallströmen mit eigenen Verbrennungsanlagen abdeckt, hat Anfang dieses Jahres einen neuen Mehrheitsgesellschafter gefunden: Igneo Infrastructure Partners, der globale Infraastrukturmanager der australischen First Sentier Investors Group, hält nun 90 Prozent des Familienunternehmens. Stephan von Vultejus, der mit seinem Team im Corporate Finance der Deutsche Bank Corporate Bank die Transaktion begleitet hat, kommentiert: „Das Potenzial im Bereich WtE ist groß – nicht nur in Osteuropa, auch in Ländern wie Frankreich. Deutsche Spezialisten im WtE-Segment bieten gute Voraussetzungen, gemeinsam mit einem finanzstarken Partner, diese Wachstumschancen zu realisieren.“
Aber auch Alternativen zur bislang dominanten Verbrennung sind eine Möglichkeit. Dazu gehören „Advanced Conversion Technologies“, thermische Behandlungsmethoden wie die Abfallpyrolyse und Abfallvergasung. Unter Ausschluss von Luft oder nur mit geringer Sauerstoffzufuhr wird Müll bei hohen Temperaturen in ein brennbares Synthesegas zerlegt, aus dem sich chemische Produkte oder Treibstoffe gewinnen lassen. Mit der Pyrolyse könnten Kunststoffe, insbesondere Polyolefine, recycelt werden. Das sind gesättigte Kohlenwasserstoffe wie Polyethylen und Polypropylen, die zusammen rund die Hälfte der gesamten Kunststoffproduktion ausmachen. Diese Materialien werden bislang schon mechanisch recycelt, allerdings stößt dieses Verfahren bei Verbundstoffen und Verunreinigungen schnell an seine Grenzen. Chemisches Recycling hingegen kann die Polyolefine in ihre Grundbausteine zerlegen. Das ermöglicht beispielsweise eine spätere Wiedernutzung auch für lebensmitteltaugliche Verpackungen – ein weiterer Schritt zur Kreislaufwirtschaft.
Ein anderes Verfahren ist die Plasma-Vergasung, bei der extrem hohe Temperaturen mittels Plasmafackel erzeugt werden. Sie ermöglicht, problematische Abfälle wie gefährliche Rückstände vollständig aufzuschließen. Allerdings sind all diese Verfahren sehr komplex und energieintensiv – und erst in Pilotprojekten in der Erprobung. Das gilt auch für innovative Ansätze wie Carbon-Capturing-Module, die das CO2 aus dem Abgas abscheiden könnten. Damit ließe sich die Klimabilanz der Müllverbrennung deutlich verbessern. Bis 2030 dürften aber noch konventionelle Verbrennungsverfahren und Biogasgewinnung den Markt dominieren.
08/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.