Nachfolge als Treiber für M&A-Deals: Von Boomern und New Germans

Das Thema Nachfolge im deutschen Mittelstand ist extrem präsent in den Wirtschaftsmedien. Beinahe immer geht es um alternde Unternehmer und die Frage, wer die gut etablierten Geschäfte weiterführt. Doch die multiplen Krisen und eine neue Generation von Gründern treiben ganz andere Unternehmensverkäufe.

Nachfolge als Treiber für M&A-Deals: Von Boomern und New Germans

Mit der Kutsche fing alles an, die Autos wurden weltberühmt: Karmann ist eine über 100 Jahr währende Erfolgsgeschichte eines Familienunternehmens. Fotos: Eura Mobil, Karmann, Volkswagen AG(4), BMW AG, mauritius images, picture alliance

Es gibt sie noch, die Unternehmer der alten Schule. Zu ihrem König könnte man Wolfgang Grupp ausrufen – den Inhaber von Trigema. Grupp ist ein streitbarer Charakter, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Eines seiner Zitate: „Wer ein großes Problem hat, ist für mich ein Versager.“ Schließlich gilt laut Grupp: „Jedes Problem war einmal klein, und hätte man es gelöst, als es klein war, hätte man kein großes.“

Das klingt plausibel und ist in vielen Lebenslagen gewiss richtig. Allein: Auf das aktuelle Unternehmerleben trifft die Einschätzung nur eingeschränkt zu. Zwar gibt es unter den rund 190 000 ungelösten Nachfolgeregelungen, die das Institut für Mittelstandsforschung errechnet haben will, zweifellos eine große Anzahl verschleppter Übergaben. Aber die aktuellen Treiber der Nachfolge sind andere als der demografische Wandel.

Neue Themen fordern die Unternehmer – und manchmal überfordern sie sie. Manche hatten auch nie vor, sich langfristig an ein Unternehmen zu binden. Wenn man etwas holzschnittartig auf die Motivation für den Verkauf schaut, lassen sich drei Gruppen von Unternehmern identifizieren.

Die von den multiplen Krisen erschöpften Kämpfer bilden die erste Gruppe. In den vergangenen Jahren häuften sich die operativen Herausforderungen für Unternehmer in einem bisher nicht gekannten Maß. Beginnend mit der Coronapandemie reihte sich Krise an Krise. Der Mittelstand kämpft mit Lieferengpässen, Inflation und hohen Energiepreisen – manch einer auch mit zurückhaltenden Kunden. Und keiner dieser Aspekte war erst klein und fein und wuchs durch Nichtstun zum Problem. Vielmehr waren die Probleme plötzlich da, von Beginn an groß und überwiegend bedingt durch externe Faktoren. Die Folge der vielfältigen Probleme sind überanstrengte und frustrierte Unternehmer, die einen Ausweg aus ihrem persönlichen Dilemma suchen. Kai Giesel, Leiter Unternehmensnachfolge Deutschland bei der Deutschen Bank, fasst die Auswirkungen auf die Firmeninhaber zusammen: „Die geballten operativen Probleme nehmen die Freude am Unternehmertum.“ Da fängt auch manch überzeugter Unternehmer plötzlich an, über die Trennung von seinem Lebenswerk nachzudenken.

Die zweite Gruppe sind die Unternehmer, die vor den strategischen Herausforderungen kapitulieren, nicht noch einmal eine komplette Transformation stemmen wollen – oder schlicht erkennen, dass für die Weiterentwicklung mehr Kapital notwendig ist, als sie selbst bereitstellen können oder als sie Fremdkapital auf die Bilanz nehmen wollen. Die Innovationszyklen werden kürzer (siehe unsere Titelgeschichte), viele Märkte verändern sich schnell und oft dramatisch. Neue internationale und nationale Wettbewerber treten auf den Plan und sind mitunter besser aufgestellt als die eigene Firma.

Zu viele Herausforderungen

Etlichen Unternehmern wird klar, dass sie ihren Betrieb nicht aus eigener Kraft in der bisherigen Position halten können. Noch ist die digitale Transformation von den meisten Mittelständlern gar nicht vollendet, da muss nun auch ein nachhaltiges Geschäftsmodell implementiert und kontrolliert werden – von dem Fachkräftemangel und der überbordenden Bürokratie ganz zu schweigen.

In dieser Gemengelage ist der Verkauf des Unternehmens oder von Unternehmensteilen plötzlich für viele Geschäftsführer eine attraktive Lösung – auch lange vor der Rente. Zu beobachten war diese Entwicklung jüngst unter großer medialer Teilnahme beim Heizungsbauer Viessmann. Der Konzern hatte die interne Nachfolgeregelung und die Übergabe an die nächste Generation bereits vorbereitet, angesichts neuer Wettbewerber im Wärmepumpengeschäft aus den USA und Asien aber umgesteuert. Die Klimasparte wurde letztlich für zwölf Milliarden Euro an den US-Konzern Carrier Global verkauft.

Wenn man etwas holzschnittartig auf die Motivation für den Verkauf schaut, lassen sich drei Gruppen von Unternehmern identifizieren.

Nicht alle haben das Problem gleichermaßen. Für besonders von den operativen und strategischen Herausforderungen betroffen hält Nachfolgeexperte Giesel vor allem Retail, Automotive und Maschinenbau. Der Handel kämpft schon jahrelang gegen die Übermacht von Amazon und Co., seit der Coronapandemie haben sich die operativen Probleme sehr schnell sehr deutlich verschärft. Es muss außerdem nach wie vor dringend investiert und modernisiert werden – und das gelingt häufig nur noch über einen Verkauf. Giesel beobachtet, dass erste Insolvenzen bekannter Marken dem Handel eine Lehre sind: „Die Vorbereitungen auf Verkäufe mehren sich, weil erkannt wird, dass die Überlebenschance in größeren Einheiten größer ist.“

Im Automobilsektor und im Maschinenbau sind es weniger operative als strategische Themen, die Verkäufe plötzlich äußerst attraktiv machen. Deutschland fertigt nach wie vor in hoher Qualität, doch es mangelt an Innovation. Wettbewerber aus dem Ausland drängen in den Markt. Sie wissen um den Wert der deutschen Marken, und gerade aus Asien gibt es zahlreiche lukrative Angebote.

Verkauf schon immer mitgedacht

Die dritte Gruppe läuft unter dem Namen „New German Mittelstand“. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine wachsende Kohorte vor allem jüngerer Unternehmer, die gar nicht planen, das eigene Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben, sondern einen Verkauf von vornherein mitdenken und an das Erreichen bestimmter Meilensteine knüpfen. Der nächste Eigentümer übernimmt dann die Weiterentwicklung.

Ein Beispiel für diesen Weg ist die Löwenstark Digital Group. Marian Wurm hat die Internetagentur 2006 gegründet und 2021 im zarten Alter von 40 Jahren auf eigenen Wunsch mehrheitlich an die Finanzinvestoren Hannover Finanz und Arcus verkauft. Und er hat – was durchaus ungewöhnlich ist – auch den CEO-Posten abgegeben und stattdessen eine Stiftung ins Leben gerufen. Wurm ist dennoch ein klassischer Vertreter des New German Mittelstand, der bisher nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz der Nachfolgeregelungen ausmacht, allerdings kontinuierlich wächst. Ein großer Vorteil dieser Unternehmer bei Übergaben ist ihre Weit- und Voraussicht: Sie sind in der Regel gut auf den Verkaufsprozess vorbereitet, haben den Markt gescannt und wissen um Wettbewerber sowie deren Kennzahlen. Zudem sind sie offen für alle Käufergruppen – Strategen und Wettbewerber kommen ebenso infrage wie Finanzinvestoren.

Auf den Prozess kommt es an

Das ist bei den ersten beiden Gruppen oft anders, die „Überforderungsverkäufer“ sind in der Regel keine M&A-Profis und gehen deutlich emotionaler und weniger gut vorbereitet in den Verkaufsprozess. Das liegt zum einen daran, dass die Mehrheit der Inhaber sich wünscht, an die eigene Familie zu verkaufen. Dass dieser Weg in vielen Fällen keine echte Option ist, weil die Kinder sich anders orientieren, verdrängen die Gründer gern. Sagen die angedachten Nachfolger dann endgültig ab, ist der Unternehmer überrascht und muss sich unter Zeitdruck anderweitig umsehen.

Auch das Käuferspektrum ist deutlich enger. Der Großteil des deutschen Mittelstands ist nicht bereit, alle Käufergruppen zu akzeptieren. Wie die Mittelstandsstudie 2022 des Bundesverbands Mergers & Acquisitions und der Lancaster University zeigt, sind beispielsweise nur 12,5 Prozent der Unternehmer bereit, an Private-Equity-Investoren zu verkaufen. Auch schließen einige vorschnell und kategorisch Interessenten aus bestimmten Märkten wie China aus. Giesel betont daher die Relevanz eines unabhängigen M&A-Experten: „Unternehmer brauchen gute Beratung und einen externen Blick auf die Firma.“

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„Die geballten operativen Probleme nehmen die Freude am Unternehmertum.“

Kai Giesel
Deutsche Bank

Allerdings: Auch der beste Experte kann nicht mehr helfen, wird er zu spät hinzugezogen. „Wichtig ist der rechtzeitige Entschluss zum Verkauf“, sagt Giesel. „Und zwar bevor das Unternehmen auf dem absteigenden Ast ist. Denn dann werden nicht mehr die Preise erzielt, die sich der Gründer für sein Lebenswerk wünscht.“ Zahlreiche Unternehmer betonten, sie würden in Generationen denken. Diesen Worten, das wünscht sich der Experte, sollten sie Taten folgen lassen: „Der Inhaber muss früh Entscheidungen treffen – vielleicht ist der Moment zu verkaufen gekommen, und es darf eben nicht gewartet werden, bis die nächste Generation chancenlos ist.“

Ist ein Verkauf dagegen gut gemacht, kann er das Unternehmen und den Industriestandort Deutschland stärken – auch das beweist das Beispiel Viessmann. Die Marke wird voraussichtlich weiter bestehen, weiteres Wachstum ist zu erwarten. Und selbst wenn Produktionskapazitäten künftig in die USA wandern sollten: Es bedarf auch in Deutschland eines Installations- und Servicenetzwerks. Das verspricht, steigende Umsätze zu generieren.

Der New German Mittelstand ist volkswirtschaftlich nicht das Problem – er treibt Innovationen und verkauft zum rechten Zeitpunkt. Die von akuten und strukturellen Problemen zum Verkauf getriebenen Unternehmer brauchen professionelle Unterstützung in der Vorbereitung und im Prozess, aber sie haben sich zumindest in den meisten Fällen schon fest entschieden. Das eigentliche Problem sind die Unternehmer, die verkaufen müssten, aber dazu nicht bereit sind. Natürlich sollte nicht jeder Firmenlenker wegen der aktuellen Herausforderungen gleich die Schlüssel weiterreichen – schließlich sind viele Unternehmer begnadete Kämpfer und Problemlöser. Aber sich so vorzubereiten, dass man einen Verkaufsprozess anstoßen könnte, auch das gehört zu verantwortungsbewusstem Unternehmertum.

04/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.


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