War es das mit der Diversity?
In den USA bekommen Unternehmen mit Diversity-Programm Gegenwind. Auch in Deutschland hat mancherorts ein Umdenken stattgefunden. Das muss nicht schlecht sein.
Vielfalt soll nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch mehr Erfolg bewirken. Die Studienlage ist unklar, der Gegenwind spürbar. Foto: adobe stock/Cienpies Design&Communication
Im Mai dieses Jahres hat SAP angekündigt, seine globale Frauenquote und weitere Diversity-Programme zu streichen. Bei einem aktuellen Frauenanteil von 36 Prozent wolle man die vormalige Zielquote von 40 Prozent nicht weiterverfolgen. Für die US-Belegschaft werde die Kennzahl „Frauen in Führungspositionen“ nicht mehr kommuniziert und entfalle als Kriterium für Vorstandsboni. Stattdessen hat SAP die Kenngröße „Business Health Culture Index“ eingeführt. Sie misst bereits seit 2009 auf Basis regelmäßiger Mitarbeiterumfragen die „allgemeinen kulturellen Voraussetzungen, damit Mitarbeiter gesund und ausgeglichen bleiben“.
Auch Volkswagen berücksichtigt bei den US-Tochtergesellschaften keine globalen Diversity-Kennzahlen mehr. In der Schweiz haben die beiden Pharmariesen Roche und Novartis ihre weltweiten Diversitätsziele aufgegeben. Roche stand kurz davor, die angestrebten Ziele für Frauenanteile zu erreichen. In Irland hat der Beratungsriese Accenture im Februar überraschend alle globalen Diversitäts- und Inklusionszielvorgaben abgeschafft. Und in Großbritannien nahmen mehrere dort tätige US-Finanzunternehmen ihre Vorgaben für die Einstellung ethnischer Minderheiten zurück. In fast allen Fällen wird der Rückbau mit einer „sich verändernden Landschaft in den USA“ begründet.
Seit der Unterzeichnung der Executive Orders 14151 und 14173, die die Beendigung von DEI-Programmen (DEI steht für Diversity, Equity, Inclusion) in US-Bundesbehörden und ihren Auftragnehmern vorschreiben, stehen auch die Vielfaltsprogramme europäischer Unternehmen unter Druck. US-Botschaften in Europa haben in eigens verfassten Briefen europäische Unternehmen zur Umsetzung der Executive Orders angemahnt, andernfalls drohe der Verlust von US-Regierungsaufträgen.
Doch bislang bleibt in Europa ein allgemeines Rollback von Diversity-Programmen aus. Eine Schnellumfrage des Vereins „Charta der Vielfalt“ im Frühjahr 2025 ergab, dass 90 der 100 befragten Großunternehmen in Deutschland ihre Initiativen unverändert fortführen. Dennoch seien viele Unternehmen verunsichert und rüsteten sich für eine kritische Kommunikation zu dem Thema. Sie würden sich juristisch beraten lassen, manche Begrifflichkeiten anpassen und nach weiteren Argumenten für ihre Aktivitäten und Ziele suchen.
An der Vielfalt gespart
Doch der Regierungswechsel in Washington ist Beschleuniger, nicht Auslöser des Wandels in den USA. Im Zuge von Sparmaßnahmen kam es in so manchem Tech- und Beratungsunternehmen bereits 2023/24 zu Kürzungen. Microsoft strich im Sommer 2024 Stellen im Diversity-Team, Google und Meta hatten bereits 2023 begonnen, ihre DEI-Budgets zu kürzen. Auch in anderen Unternehmen zeigte sich: Wenn gespart werden musste, fielen überproportional oft Diversity-Manager und -Programme weg. Um in der öffentlichen US-Diskussion nicht eindeutig Partei ergreifen zu müssen, betonen Unternehmen zwar weiterhin die Faktoren Chancengleichheit und Inklusion, verweisen aber stärker als in der Vergangenheit auf Leistung und Eignung. Die Bevorzugung einiger Gruppen werde schnell zu einer Benachteiligung anderer. Eine klare Absage an Diversitätsaktivitäten gibt es nicht, aber eine stärkere Betonung des Leistungsprinzips. So wird aus den Diversity-Abteilungen nun „Talent & Inclusion“.
Bislang bleibt in Europa ein allgemeines Rollback von Diversity-Programmen aus.
Abseits aller politischer Diskussionen bleibt die Frage: Haben sich die bisherigen Diversity-Aktivitäten, starre Quotenvorgaben und die Förderung ausgewählter Gruppen wirtschaftlich für Unternehmen gelohnt? Und wie erfolgreich waren die bisherigen Programme überhaupt?
Zuerst einmal sind die Folgen in etlichen Bereichen nicht zu übersehen: 46 Prozent der Board-Mitglieder der CAC-40-Unternehmen in Frankreich (vergleichbar den DAX-Unternehmen) waren 2024 weiblich. In Deutschland liegt der Anteil in den Aufsichtsräten nur leicht darunter, bei knapp 40 Prozent Anfang 2025. 2009 waren es nur 10 Prozent gewesen. Bei den DAX-Vorständen stieg der Frauenanteil zwischen 2020 und 2024 von 13 auf über 25 Prozent, erstmals werden drei DAX-Konzerne von weiblichen CEOs geführt.
Auch die Internationalität hat zugenommen: 2024 hatten 38 Prozent der DAX-40-Vorstandsmitglieder einen internationalen Hintergrund. Und auch wenn keine genauen Quoten erhoben wurden, weisen qualitative Analysen auf eine höhere kulturelle Heterogenität hin. In Großbritannien hatten 2021 89 Prozent der FTSE-100-Konzerne mindestens einen „non-white director“. Doch das beantwortet noch nicht die Frage, ob ein weiblicheres, internationaleres Führungsteam, eine diversere Belegschaft auch erfolgreicher sind.
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Gewinnt Diversity wirklich?
Die Studienlage dazu ist nicht so eindeutig, wie es scheint. Oft gelten mehrere Untersuchungen von McKinsey zwischen 2015 und 2023 als Argument für Diversity. So hatte die Studie „Diversity Wins“ gezeigt, dass Unternehmen im Topquartil bei Diversität eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Dieses Ergebnis passte gut zum Zeitgeist: Bewerber bevorzugten Arbeitgeber, die als besonders inklusiv galten. Auch viele Kunden und Investoren sympathisierten eher mit diversitätsorientierten Unternehmen.
Weitere Studien legten eine Verbindung von Diversity und Erfolg nahe: Eine Untersuchung der Österreichischen Nationalbank fand 2023 einen „signifikant positiven Effekt des Frauenanteils im Aufsichtsrat auf die Profitabilität“. 2024 zeigte eine EY-Parthenon-Analyse (DEI-Index 2024) einen deutlichen finanziellen Mehrwert bei Vorreitern in Sachen Diversität: Europaweit waren 71 Prozent der Diversity Leader finanziell erfolgreich, aber nur 58 Prozent der weniger diversen Unternehmen. Auch mit Blick auf Innovationsfähigkeit und Produktivität gab es klare Vorteile für die Vorreiter.
Doch es gibt auch andere Befunde. Sekou Bermiss von der University of North Carolina analysierte 2024 gemeinsam mit Kollegen Daten aller S&P-500-Unternehmen aus zehn Jahren – und fand keinen statistisch belastbaren Zusammenhang zwischen höherer Vielfalt in der Führung und besseren Finanzkennzahlen im Folgejahr. Die Forscher testeten mehr als 270 Kombinationen von Diversity- und Performance-Messgrößen, mit dem Schwerpunkt auf ethnischer Diversität. Aber in gerade einmal fünf Prozent dieser Kombinationen fand sich überhaupt ein signifikanter Effekt. Das könnte ebenso gut Zufall sein.
Ohne das finanzielle Argument wird die Diversitätsstrategie angreifbarer.
Lediglich die Performance im Folgejahr zu messen mag etwas zu kurz gewesen sein. Außerdem betonen die Autoren, dass sie sich allein auf US-Börsenunternehmen beziehen und die Ergebnisse nicht automatisch zu verallgemeinern seien. Doch sie schreiben auch, dass die Kausalität wahrscheinlich andersherum ist: Erfolgreiche Firmen haben die Ressourcen, sich diverser aufzustellen. Je weniger Krisen, desto mehr Zeit und Geld für Diversity-Themen.
Neue Buzzwords: Inklusion und Zugehörigkeit
Ohne das finanzielle Argument wird die Diversitätsstrategie angreifbarer. In den USA sieht man die Gegenreaktion deutlich, aber auch in Europa warnen einige vor einer Polarisierung in der Belegschaft. Kritikern zufolge sei eine „Täter/Opfer“-Dichotomie entstanden, die der Produktivität abträglich sei.
Fernab der politischen Gräben bleibt die Erkenntnis: Damit Diversität neben den gesellschaftlichen Folgen auch für das Unternehmen wirtschaftliche Vorteile hat, sollte die Gleichstellungsstrategie verbessert werden. Dazu gehört die Erkenntnis, dass eine Quote allein noch kein erfolgreiches Team macht. Die neuen Buzzwords lauten: Inklusion und Zugehörigkeit. Führungskräfte sollten darin trainiert werden, heterogene Teams zu moderieren, um Reibungen und Konflikte produktiv zu nutzen. Statt Diversity heißt es jetzt vermehrt „Belonging“: Das ist der Anspruch, dass jede Stimme Gehör und Wertschätzung findet.
Auch muss die Veränderung messbar gemacht werden, sonst lässt sich nicht nachjustieren. Dabei geht es nicht mehr allein um quantitative Größen wie den Frauenanteil, sondern um qualitative Indikatoren wie Mitarbeiterbefragungsergebnisse, das Erfassen erfolgreicher Innovationen oder qualifizierter Bewerber. So kann ein Unternehmen besser feststellen, in welchen Bereichen Diversität echte Fortschritte bringt – und warum in anderen nicht. Vielleicht stellt sich heraus, dass eine diverse Finanzabteilung nicht erfolgreicher ist, ein diverses Innovationsteam aber schon.
Unstrittig ist: Mit dem Thema Diversity sind auch in Deutschland Herausforderungen verbunden, es ist aber noch längst nicht am Ende. Selbst wenn manchem Gleichstellungs- und Diversitätsverantwortlichen der aktuelle Gegenwind nicht behagt: Den Sinn und die Folgen konkreter Maßnahmen und Zielvorgaben weiterzuentwickeln und regelmäßig zu überprüfen ist im Sinne aller, nicht zuletzt des Diversity-Gedankens selbst.
11/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.